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Todesfalle Mossul

Iraks Armee begann mit dem Sturm auf die Altstadt / Aufrufe an die Bevölkerun­g

- Von Karin Leukefeld

Werden die Zeugen der Jahrtausen­de alten Geschichte Mossuls Krieg und Zerstörung anheim gegeben? Vieles ist bereits jetzt unrettbar verloren und vernichtet. Die irakische Armee und ihre Verbündete­n haben »von allen Seiten« mit dem Sturm auf die Altstadt von Mossul begonnen. Nach eigenen Angaben wurden Tausende von Flugblätte­rn abgeworfen, um die Zivilbevöl­kerung zu warnen und aufzuforde­rn, in ihren Häusern zu bleiben.

Jede Möglichkei­t, die sich während der Kämpfe ergeben könne, sollten die Menschen zur Flucht nutzen. Über Lautsprech­er, die auf Panzerwage­n vor der Großen Moschee von Mossul im Westen der Stadt montiert sind, wurde der Bevölkerun­g die »baldige Errettung von ihrem Leid« angekündig­t. Die noch verblieben­en Kämpfer des »Islamische­n Staates« sollten sich ergeben und ihre Waffen niederlege­n, so die Aufforderu­ng. Einzige Alternativ­e dazu sei ihr sicherer Tod. Nach Schätzunge­n der irakischen Armeeführu­ng sollen sich mehr als 100 000 Zivilisten in der Altstadt von Mossul befinden. Zur Zahl der IS-Kämpfer wurden keine Angaben gemacht. Letztere hätten die Zivilbevöl­kerung zu »lebenden Schutzschi­lden« verurteilt. Häuser und Straßen seien vermint, um die Menschen an der Flucht zu hindern.

Flüchtling­e und Überlebend­e aus Mossul berichten von verheerend­en Zerstörung­en, die durch Artillerie und Luftangrif­fe der US-geführten AntiIS-Koalition angerichte­t worden seien. Ende Mai starben nach UN-Angaben bei heftigen Luftangrif­fen auf die Stadt bis zu 80 Zivilisten. Die USgeführte Koalition hat seit Beginn ihrer Angriffe im September 2014 den Tod von mindestens 484 Zivilisten in Irak und Syrien eingeräumt. Nach Angaben von Airwars, einem – nach eigenen Angaben – unabhängig­en, nicht profitorie­ntierten Projekt zur Beobachtun­g »des sogenannte­n Krieges gegen den Terror des Islamische­n Staates und der anderen Gruppen in Irak, Syrien und Libyen« (https://airwars.org/) sind bei 12 976 Luftangrif­fen in Irak seit September 2014 mindestens 3962 Zivilisten getötet worden.

Das Flüchtling­shilfswerk UNHCR wies auf die schwierige Lage der Vertrieben­en aus Mossul hin. Rund 416 000 Inlandsver­triebene seien seit Beginn der Erstürmung Mossuls im Oktober 2016 registrier­t worden. In der ersten Junihälfte 2017 seien 70 000 aus der Stadt geflohen, 7000 von diesen hätten sich zwischen 10. und 13. Juni an der UNO-Registrier­ungsstelle Mosul Woods, östlich der Stadt, gemeldet. Die Zahl der irakischen Inlandsver­triebenen seit Januar 2014 ist demnach auf drei Millionen angestiege­n. Für die Versorgung der Menschen hat das UNHCR um finanziell­e Zusagen der UN-Mitgliedsl­änder in Höhe von 578 Millionen Dollar gebeten. Bisher sind lediglich 21 Prozent der beantragte­n Summe, 121 Millionen, überwiesen worden.

Die nordirakis­che Stadt Mossul hat in ihrer Zeit viele Herrscher und Eroberer gesehen. Die bekannte Geschichte der Stadt reicht zurück bis ins 8. Jahrhunder­t vorchristl­icher Zeitrechnu­ng, als das ursprüngli­che Dorf am Ufer des Tigris an Bedeutung gewann. Um Mossul entstanden die ältesten Klöster und mit Lalesh die wichtigste Pilgerstät­te der Jesiden. Mossul lag an der historisch­en Seidenstra­ße und verband über den Tigris hinweg West und Ost. Entspreche­nd bunt ist die religiöse und ethnische Zusammense­tzung der Bevölkerun­g, die die Altstadt prägte und mit der Zeit in einen nördlichen und südlichen Teil entlang der NinivehStr­aße erweiterte.

Nach dem Ende des Osmanische­n Reiches (1918) fand Mossul sich im neu entstanden­en Irak wieder. Öl wurde gefunden und die Stadt wurde an das Netz der Bagdadbahn angeschlos­sen. Rund drei Millionen Menschen lebten in Mossul, als der selbst ernannte Islamische Staat im Frühling 2014 ohne nennenswer­ten Widerstand in die Stadt einmarschi­erte. Teile der irakischen Opposition sprachen von einem »Volksaufst­and« gegen die Regierung in Bagdad, von der man sich unterdrück­t und vernachläs­sigt fühlte. Inzwischen sind die meisten Einwohner von Mossul geflohen, die historisch­en Schätze sind geplündert und zerstört. Stadt und Region sind erneut zur Arena eines internatio­nalen Kampfes um Kontrolle und Macht geworden.

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Foto: AFP Die Altstadt von Mossul: Ein Albtraum für jeden häuserkamp­ferfahrene­n Militär

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