Polens Hoffnungsträger für 2020 regiert in Slupsk
Der parteilose Bürgermeister Robert Biedron soll für das linke Lager einen »Macron-Effekt« erzielen
Vor dem tristen Hintergrund einer erschütterten Linken und zwei konservativen Parteien im Dauerkriegszustand stellt der besonnene Robert Biedron einen Lichtblick dar. Der jüngste Siegeszug des neuen französischen Präsidenten scheint auch in der polnischen Politik Potenziale freizusetzen. »In Polen gibt es nur einen, der Macron das Wasser reichen kann. Wenn wir uns in unserem Land nach einem jungen, dynamischen und zugleich erfahrenen Politiker umschauen, dann sehe ich nur einen – Robert Biedron«, versicherte Polens früherer Staatspräsident, Aleksander Kwasniewski, in einem Radio-Interview. Der einstige Anführer des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD) beschreibt Biedron als »versierten Innen- und Lokalpolitiker«, der dabei dennoch »europäisch« geblieben sei. »Er ist völlig unabhängig und trotzdem populär. Er hat das Zeug, ein polnischer Macron zu werden. Biedron wird 2020 unser nächster Präsident!«, meint der Ex-Politiker. Tatsächlich sehen linksliberale Medien in Biedron einen würdigen Herausforderer, der in drei Jahren Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda die Stirn bieten soll – oder zumindest wollen sie einen solchen kreieren.
Der parteilose Bürgermeister von Slupsk hält sich noch bedeckt, verfügt jedoch zweifelsfrei über das Charisma und die nötige Kompetenz, um das Muster einer regierenden konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und einer oppositionellen Bürgerplattform (PO) endgültig aufzubrechen. Der »Macron-Effekt« lässt sich allerdings nicht gänzlich auf die politische Realität in Polen übertragen. Frankreichs früherer Wirtschaftsminister war mitnichten immer »völlig unabhängig«.
Dennoch ist Kwasniewskis Kommentar charakteristisch für die Haltung eines krisengeschüttelten linken Lagers, das im Kampf gegen PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski händeringend nach einem frischen Gegenkandidaten sucht. Jeder, der sich ein rasches Ende der PiS-Herrschaft herbeiwünscht, schaut sich nach neuen wirbt auch international für Toleranz, wie hier 2014 im Zeichen des Regenbogens auf einer Demonstration für Menschenrechte im moldauischen Chisinau. Hoffnungsträgern um. Aber es sieht nicht gut aus. Das liberale Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) ist deutlich angeschlagen und dessen Zukunft ungewiss. Zwar wurde mit Krzysztof Lozinski ein prominenter Nachfolger für Mateusz Kijowski gefunden, doch der Solidarnosc-Veteran gilt als ausgebrannt. Den Nowoczesna-Chef Ryszard Petru hat laut Experten eine fatale Kombination aus Inkompetenz und liebestoller Freizügigkeit schon vor Monaten aus dem politischen Geschehen herausmanövriert. Und der Vorsitzende der Bürgerplattform Grzegorz Schetyna wirkt heute eher wie eine Fliege, die sich in Spinnweben verfangen hat.
Nicht viel anders sieht es im linken Raum aus. Der SLD-Vorsitzende Wlodzimierz Czarzasty, der die Wahlschlappe seines Bündnisses von 2015 rasch vergessen machen wollte, wirkt heute wie ein ergrauter König, der ein kleines verwüstetes Reich regiert. Seit den Parlamentswahlen sind die linken Splittergruppen zerstritten und wollen auch nicht unter einem gemeinsamen Dach auftreten. Ein Kongress im Herbst letzten Jahres konnte die Gräben nicht zuschütten.
Der besonnene Biedron erweist sich damit in der Tat als Lichtblick. Jeglichen Experimenten abhold, hat der Lokalpolitiker bewiesen, dass er sich »von unten« emporarbeiten kann, ohne von der Gunst der Parteipolitik abhängig zu sein. Die Einwohner von Slupsk galten bisher nie als besonders »fortschrittlich«, dennoch ist der homosexuelle Biedron dort inzwischen überaus beliebt.
Obwohl der gebürtige Rymanower das Thema Präsidentschaft meidet, verrät eine Lektüre »zwischen den Zeilen« eine sorgsam geplante Strategie. Wie Biedron einräumt, ist er derzeit zur Genüge mit »Slupsk und ökologischem Eigenmarketing« beschäftigt. Biedron gelingt es, sich an die Erfordernisse der Zeit anzupassen und dabei an die Tradition anzuknüpfen, ohne in Dogmatismus zu erstarren.
Biedron fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit und packte unlängst in einer Müllaufbereitungsanlage medienund stilsicher mit an. Er fühlt sich dabei keinesfalls in den Hintergrund ge- drängt, ist er doch auf nationaler Ebene stets präsent. Gerade hat er sein neues Buch »Pod prad« (Gegen den Strom) herausgebracht und ist auf landesweiter Promo-Tour. Zugleich ist er weiterhin Dauergast in den bekanntesten Talkshows des Landes und hat für die Regierung klugerweise sowohl Lob als auch Tadel übrig. So will Biedron in seiner Stadt die an Sowjetzeiten gemahnenden Straßennamen beibehalten – im Gegensatz zu den lokalen PiS-Bonzen. Andererseits lobt er die sozialen Reformen der nationalkonservativen Regierung, wie die Einführung des Kindergeldes. Dann runzelt er wieder die Augenbrauen und kritisiert schonungslos die geplante Justizreform.
Bezeichnenderweise greift Biedron immer häufiger Staatspräsident Duda an. In seiner Haltung gegenüber den Linken bleibt er unverändert kritisch. Überhaupt versteht es der 41-Jährige – und hier kann man ihn wohl mit Macron vergleichen – geschickt aus dem Lager auszuscheren, das ihn hervorgebracht hat. Er kritisiert dann die uferlose Arroganz des untergehenden Linksbündnisses, als ob er damit nichts zu tun gehabt hätte. Außer Biedron und Duda wird 2020 aber noch ein Dritter im Spiel sein: Wird EU-Ratspräsident Donald Tusk in drei Jahren nach Warschau zurückkehren? Doch auch dann kann Biedron Zünglein an der Waage werden. Wenn nämlich Duda und Tusk im zweiten Wahlgang gegeneinander antreten, kann der frühere Premier auf die Wählerschaft eines erstarkten Biedrons zählen. Nach einer Wahlniederlage kann der Lokalpolitiker gleichwohl eine starke neue Linke aufbauen. Wie auch immer: Der »Biedron-Effekt« hat Einzug gehalten und wird so schnell nicht verpuffen.