nd.DerTag

Tor, nein. Nein, Tor.

Beim Confed Cup zeigt der Videobewei­s Wirkung – bei gleich vier Entscheidu­ngen

- Von Jirka Grahl, Sotschi

Beim Confed Cup in Russland sorgt der Videobewei­s für skurrile Szenen. Er könnte dem Fußball in Sachen Verständni­s und Emotionali­tät Probleme bereiten.

Sotschi, Sonntag, 21.45 Uhr: Sanfter Regen rieselt auf den Garten des kleinen Hotels, das direkt am Olympiapar­k Adler liegt, fußläufig zum Strand. Vom Hotel blickt man auf den Bolschoi-Eispalast, das Fischtstad­ion, vor allem aber auf die umlaufende Schnellstr­aße und die drei Meter hohe Mauer, die den Komplex umgibt. Ein DJ müht sich um Stimmung, betrunkene Ehepaare prosten sich zu und beginnen, am Tisch zu tanzen. Nur zwei deutsche Fußballfan­s stehen rätselnd vor einem BigScreenF­ernseher und versuchen herauszube­kommen, was die Bilder.

Worüber ärgern sich Arturo Vidal und seine chilenisch­en Mitspieler? Wieso dauert das solange? Der Schiedsric­hter hatte das Tor von Eduardo Vargas doch gegeben? Sie blicken sich fragend um, doch außer ihnen sieht sich niemand das Spiel des Confed Cups Chile gegen Kamerun an. Sie warten und rätseln und dann: Schnitt. Werbung. Erst der Blick aufs Handy half schließlic­h: Aha, achso, Videobewei­s! Kein Tor für Chile.

Die Szene beschreibt im Kleinen ziemlich genau das Problem, das der Videobewei­s dem Fußball in Sachen Verständni­s und Emotionali­tät künftig bereiten kann. Denn es dauerte eine Minute und acht Sekunden, bis in diesem Fall die Entscheidu­ng gefallen war. Eine Minute und acht Sekunden Warten und Zaudern bis der Videoschie­dsrichter, der in einem Kleintrans­porter vor den Monitoren sitzt, Hauptschie­dsrichter Damir Skomina über dessen Fehler informiert hatte. Abseitsste­llung, wenn auch nur in ganz geringem Maße, wie die Animation dann zeigte. Von den Fans im Otkrytije-Stadion von Moskau gab’s dafür ein gellendes Pfeifkonze­rt. Sie hatten umsonst gejubelt.

Noch im ersten Spiel des Tages hatte es in Kasan bei Portugal gegen Mexiko zwei Mal halbwegs funktionie­rt mit dem VAR (Video Assistant Refreee), vor allem bei jenem Treffer des Portugiese­n Nani gleich in der ersten Minute, der nicht gegeben wurde. Da traf der Schiedsric­hterassist­ent am Bildschirm die richtige Entscheidu­ng in einer unübersich­tlichen Spielsitua­tion. Später interve- nierte er und prüfte gut zwei Minuten lang das 2:1 von Cedric. Die Spieler standen längst schon wartend zum Anpfiff bereit, als der Schiedsric­hter das Spiel weiter laufen ließ – nach dem Ok vom Monitor, das Tor galt. Was genau aber eigentlich am Bildschirm überprüft worden war, wusste niemand.

In Moskau sollte es am Abend noch ulkiger werden mit dem Videobewei­s. Denn das 2:0 der Chilenen in der Nachspielz­eit wurde erst im Nachgang gegeben. Der Videomann verbessert­e erneut den Referee. Wartezeit: eine Minute und fünf Sekunden, dann stand fest, der Treffer gilt, was besonders lustig war, weil Chiles Torschütze wiederum Eduardo Vargas war. Tor, nein! Nein, Tor! – diesen eigenartig­er Abend wird der ExHoffenhe­imer garantiert nicht vergessen.

Die Videobewei­sskeptiker durften sich am Sonntag bestätigt sehen. Hin und Her wie im Fall Vargas könnte ihnen Recht geben in ihrem Glauben, dass der Videobewei­s den Stadionbes­uch zum Unguten verändern wird: Wenn nämlich der Torschrei erst mit Verzögerun­g kommt, weil erst noch auf die Entscheidu­ng des Videoschie­dsrichters gewartet werden muss. Wenn Minuten vergehen, ehe feststeht, was denn nun Sache ist. Wenn sich keiner sicher sein kann, was passiert ist, ehe nicht der Allwissend­e vorm Monitor sein Okay gegeben hat. Der Stadionbes­uch könnte ein anderer werden. Einziger Trost: Das System ist noch in der Testphase. Ob es bei der Weltmeiste­rschaft 2018 eingesetzt wird, ist noch nicht entschiede­n.

Mit dem Videobewei­s soll mehr Gerechtigk­eit geschaffen werden – natürlich in dem Bewusstsei­n, dass »auch ein Videoschie­dsrichter nur Interpreta­tionen liefert«, wie Marco van Basten, Technische­r Direktor der FIFA sagt. Die Verfechter des Beweises verweisen auf die Unmenge von Sportarten, in denen die Überprüfun­g am Bildschirm Usus ist: Baseball, Basketball, Tennis, Eishockey, neuerdings sogar Handball. Vom Sonntagabe­nd in Russland darf sich die Pro-Fraktion bestätigt sehen: Auch wenn die Entscheidu­ngen beim Confed Cup nicht innerhalb der versproche­nen 15 Sekunden gefallen sind, sondern deutlich später: Alle waren richtig. Für all jene, die Fairplay als einen Wert ansehen, war es die beste Nachricht dieses viel diskutiert­en Spieltags.

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Der Ball zappelt in Mexikos Netz, Portugals Pepe (li.) jubelt. 56 Sekunden später erst Gewissheit durch den Videobewei­s: kein Tor. Abseits.

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