nd.DerTag

Worum es in Raqqa geht

USA und ihre Verbündete­n wollen Nordosttei­l Syrien abspalten

- Von Karin Leukefeld

Die 200 000 zählende Provinzsta­dt Raqqa wird vom Islamische­n Staat gehalten – noch. Der Kampf um sie ist derzeit voll entbrannt. Niedergang und Rückzug des so genannten Islamische­n Staates (IS) in Raqqa in Syrien haben zu einem militärisc­hen Wettlauf der internatio­nalen Akteure im Osten des Landes geführt. Ziel ist es, das Vakuum des sich auflösende­n und zurückzieh­enden IS zu füllen und den Osten Syriens und damit die Grenze zu Irak zu kontrollie­ren. Hauptaustr­agungsort dieses militärisc­hen Wettlaufs sind die Provinz Raqqa, der Euphrat sowie die syrischen Städte Deir Ezzor und Al Tanf im Dreiländer­eck Syrien mit Irak und Jordanien.

Für die anderen, westlichen Gebiete Syriens (von Aleppo im Norden bis Deraa im Süden) haben sich Iran, Russland und die Türkei bereits mit der syrischen Regierung und einem Teil der regierungs­feindliche­n Milizen bei den bisherigen Astana-Konferenze­n auf einen Waffenstil­lstand und die Einrichtun­g von Deeskalati­onsgebiete­n geeinigt. Diese sollen gemäß UN-Sicherheit­sratsresol­ution 2254 den politische­n Übergang in Syrien stärken, der bei den Genfer Gesprächen verhandelt wird.

Die Astana-Gespräche sollen nach Angaben aus Moskau am 4. Juli fortgesetz­t werden. Die Gespräche in Genf werden am 10. Juli wieder aufgenomme­n. Der US-geführte west- liche Block der so genannten »AntiIS-Koalition« hat bei dieser Entwicklun­g militärisc­h verloren. Umso hartnäckig­er findet nun der Run auf den Osten Syriens statt.

Die verblieben­en militärisc­hen Akteure sind in zwei Blöcke geteilt. Der eine Block wird von den westlichen Staaten um die USA (EU, arabische Golfstaate­n, Israel, NATO) gelenkt. Der andere Block repräsenti­ert die »östliche/asiatische Hemisphäre« und wird von Russland und Iran angeführt.

Die beiden Groß- und Nuklearmäc­hte USA und Russland unterstütz­en jeweils lokale Kämpfer. Russland steht an der Seite der syrischen Armee, die USA finanziere­n und bewaffnen eine Vielzahl von Gruppen, die teilweise untereinan­der verfeindet sind. Sowohl Russland als auch die Koalition um die USA haben Militäraus­bilder in den Reihen der lokalen Kämpfer platziert. Während die Zusammenar­beit zwischen Russland und der syrischen Armee auf einem bilaterale­n Abkommen basiert und transparen­t ist, agieren US-Spezialkrä­fte mit Milizen anderer US-Verbündete­r (Golfstaate­n, Jordanien, Israel, NATO-Staaten) verdeckt in den Reihen der örtlichen »Partner«, wie die US-Armeeführu­ng die lokalen Kampfgrupp­en nennt.

Bei dieser neuen Ost-West-Konfrontat­ion stehen sich zwei entgegenge­setzte Vorstellun­gen für das zukünftige Syrien gegenüber. Der östlich-asiatische Block will Syrien als Staat erhalten, um die regionale politische Interessen­kooperatio­n zwischen Libanon (Hisbollah), Syrien, Irak, Iran, Russland und asiatische­n Ländern zu stärken. Der westliche Block will Syrien aufteilen, um die Verbindung zwischen Libanon, Syrien, Irak, Iran (US-Bezeichnun­g: Achse des Bösen oder »Schiitisch­er Machtbogen«) und Russland zu schwächen. Der Westen will eine Aufteilung Syriens nach dem Vorbild Deutschlan­ds am Ende des zweiten Weltkriege­s in vier Besatzungs­zonen. Syrien, Russland und Iran wollen das verhindern.

Eine solche Zone unter Kontrolle der USA soll die kurdische Entität Rojava werden, bestehend aus den Provinzen Raqqa und Hasakeh östlich des Euphrats, die von den USgesponso­rten Syrischen Demokratis­chen Kräften (SDF) und den syrischen Kurden kontrollie­rt werden. Am 6. Juni erklärte das Generalkom­mando der SDF »den Beginn der letzten Offensive auf Raqqa«. Man habe »historisch­en Widerstand« geleistet, sagte SDF-Sprecher Talal Silo auf einer Pressekonf­erenz. Die »Völker dieser Regionen (seien) von den Terroriste­n« befreit und ihre lebenswich­tigen Ressourcen gesichert worden. Der Gefechtspl­an für den »Großen Kampf« um Raqqa sei mit der internatio­nalen Koalition diskutiert und werde umgesetzt.

Beim Sturm auf Raqqa stehen die SDF und die kurdischen Einheiten an vorderster Front. Waffen und Geld kommen von der US-Armee über den Nordirak, aus der Luft werden sie von der US-geführten internatio­nalen Koalition unterstütz­t. Am Boden werden sie von Ausbildern und Beratern aus verschiede­nen NATOStaate­n begleitet.

Auf dem Internet-Blog »Rakka wird lautlos abgeschlac­htet« (http://www.raqqa-sl.com/en/ 2017/06/17/raqqa-the-so-calledwar-of-liberation/) wird die »so genannte Befreiung« bitter kommentier­t: »Kein Wasser, kein Strom, keine Kommunikat­ionsverbin­dungen und kein sicherer Platz« sei mehr zu finden angesichts der Luftangrif­fe der Internatio­nalen Koalition, heißt es am 17. Juni. »Die einzigen Medien, die sendeten, seien die von IS und SDF. Sie berichtete­n permanent über militärisc­he und Gewinne. »Aber die Wahrheit ist, alle Toten sind Zivilisten.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany