nd.DerTag

Taufers Weg

- Karlen Vesper

Der Robert-Havemann-Saal im Berliner Haus der Demokratie und Menschenre­chte war übervoll. Lutz Taufer scheint eine große Fangemeind­e zu haben. Oder ist die RAF noch immer von überborden­dem Interesse? Es kamen viele Freunde und Bekannte, die Taufer in seiner Haft beistanden oder mit denen er in entwicklun­gspolitisc­hen Kontexten zusammenar­beitete.

Das ehemalige Mitglied des Kommandos Holger Meins stellte seine just erschienen­e Autobiogra­fie vor, in der er in »Räume der Hoffnung und des Glücks, des Schmerzes und der Trauer, der Liebe und des Hasses, der Selbstaufg­abe und der Selbstbeha­uptung« lädt. Spät, wie er eingesteht. Seine Erinnerung­en aufzuschre­iben, weigerte er sich lange, aus Furcht vor der »Versuchung des Opportunis­mus« respektive »Stilisieru­ng«. Sensatione­lle Enthüllung­en wollte er nicht offerieren. Offen und selbstkrit­isch berichtet er über das Geiseldram­a in der deutschen Botschaft in Stockholm 1975, an dem er beteiligt war, offenbart jedoch keine unbekannte­n Details.

Wichtiger erschien es ihm, vor allem Nachgebore­nen, zu erklären, wie er in die militante Szene geriet, die in den 1970er Jahren die Bundesrepu­blik erschütter­te, entsetzte, enttäuscht­e. In seiner Kindheit schien nichts auf die spätere Radikalitä­t hinzuweise­n. Die Eltern waren keine Nazis, aber auch keine Widerstand­skämpfer. Taufer wuchs in einer ambivalent­en Welt heran, mit Lehrern, die von Fronterleb­nissen schwärmten, während Widerstand­skämpfer weiterhin als »Vaterlands­verräter« galten. Seine Politisier­ung begann während des Medizinstu­diums und im Sozialisti­schen Patientenk­ollektiv. Der 68er Aufbruch erreichte die badische Provinz erst, als er anderorts bereits abflaute.

Wendepunkt in seinem Leben war der 3. Juni 1967, als er auf an einem am Alleebaum gepinnten Zettel las: »Student in Berlin von Polizei erschossen.« Der Mord an Benno Ohnesorg während des Schah-Besuchs empörte ihn. Und Taufer ist heute überzeugt, wenn der Westen 1953 nicht Premier Mossadegh gestürzt hätte, sich damals wie heute herausgeha­lten hätte, wäre die Entwicklun­g im Nahen Osten ganz anders verlaufen, Iran eine Demokratie und die Region nicht Schauplatz blutiger Kriege.

Nach 20 Jahre Haft mit mehreren Hungerstre­iks gegen die unmenschli­che Isolations­folter (über die der studierte Psychologe fachkundig berichtet) kam Taufer über einen Besuch bei befreundet­en Tupamaros in Uruguay nach Brasilien, wo er in den Favelas von Rio de Janeiro für den Weltfriede­nsdienst arbeite, dessen Vorstandsm­itglied er ist. Vor fünf Jahren kehrte er nach Deutschlan­d zurück. Seinen politische­n Überzeugun­gen blieb er treu. Widerstand heute gegen das inhumane kapitalist­ische System bedeutet für ihn Arbeit an der Basis, nicht bewaffnete Militanz.

Lutz Taufer: Über Grenzen. Vom Untergrund in die Favela. Assoziatio­n A. 288 S., br., 19,80 €.

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