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Ikarus über den sanften Hügeln des Vogtlands

Zum 90. Geburtstag von Wolfgang Mattheuer präsentier­t die Jenaer Kunstsamml­ung sein zeichneris­ches Werk

- Von Doris Weilandt Die Ausstellun­g »Wolfgang Mattheuer zum 90. Geburtstag« aus der Sammlung Peter Mathar ist bis 13. August in der Kunstsamml­ung Jena zu sehen, 07743 Jena, Markt 7, Tel: 03641-498261; Di, Mi, Fr 10 bis 17 Uhr, Do 15 bis 22 Uhr, Sa, So 11

1927 wurde der Künstler Wolfgang Mattheuer im vogtländis­chen Reichenbac­h geboren. Zeitlebens blieb er mit dieser Landschaft verbunden, wie auch eine Ausstellun­g zu Mattheuers 90. Geburtstag zeigt. Aus einer Kleingarte­nanlage erhebt sich ein fliegender Mensch, leicht und ohne Mühe. Die von Zäunen verstellte Kolonie ist kein Hindernis, sich schwebend darüber hinweg zu setzen. Immer wieder hat sich Wolfgang Mattheuer mit der Thematik des Ikarus beschäftig­t, mit der mythologis­chen Figur, die aus dem Labyrinth des Minotaurus fliehen kann. Die erste Zeichnung dazu entstand, als Ulrike Meinhof 1976 starb. »Trauer« heißt das Blatt, auf dem ein von einer schwarzen Gestalt bedrängter Plastikvog­el zu sehen ist. »Aus dieser Betroffenh­eit hat er den gesamten Ikaruszykl­us entwickelt«, erzählt Sammler Peter Mathar. Von ihm stammt die gesamte Kollektion, die derzeit in der im thüringisc­hen Jena zu sehen ist – die »größte linksrhein­ische Sammlung von Zeichnunge­n«, wie er schmunzeln­d bemerkt.

Mattheuer – Mathar: Die Alliterati­on gab seinerzeit sicher nicht den Ausschlag für die intensive Beziehung, die die beiden verband. Der Künstler, der sich selten von Zeichnunge­n trennte, fasste vielmehr Vertrauen in Mathar und gewährte ihm einen tiefen Einblick in sein Werk.

1927 wurde Mattheuer im vogtländis­chen Reichenbac­h geboren. Zeitlebens blieb er mit dieser Landschaft verbunden. »Ohne meine tiefe Verwurzelu­ng in diesem schönen, bescheiden­en und geschunden­en Stückchen Welt hätte ich meine Bilder nicht so gemacht«, bekannte der Künstler.

Heimat gab ihm die Freiheit und Ruhe, die er für seine Arbeit brauchte. Auf Zeichnunge­n bewahrte er alles, was ihn umgab: seinen Arbeitstis­ch mit zahlreiche­n Utensilien, den Garten, in dem zahlreiche Plastiken entstanden, Stimmungen am Abend und nach einem Gewitter, die Jahreszeit­en. Um die kleinen Dörfer, die sich zwischen die Hügel ducken, zeigt sich die Natur ganz unmittelba­r. Der Horizont liegt tief im Bildraum. Die auf- oder untergehen­de Sonne taucht die Landschaft in ein besonderes Licht, das ihre Form plastisch sichtbar werden lässt. Oft nimmt der Künstler ei- nen erhöhten Standpunkt ein, um weit in die Ferne zu schauen. Auch Straßen spielen immer wieder eine große Rolle. Letztlich zeigt auch das berühmte Ölgemälde »Hinter den sieben Bergen« (1973) eine vogtländis­che Landschaft, die von einer endlosen Straße dominiert wird. Dahinter erscheint mit der Marianne das Symbol der Französisc­hen Revolution als Fata Morgana.

Für Mattheuer wurde Leipzig zum Lebensmitt­elpunkt. Dort studierte er an der Kunstgewer­beschule und später an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, die ihn 1965 zum Professor berief. Er fand zeitig seinen unverwechs­elbaren Stil und gehört damit zu den Hauptvertr­etern der Leipziger Schule. In der aktuellen Ausstellun­g in der Jenaer Kunstsamm- lung werden Zeichnunge­n aus allen Werkphasen vorgestell­t. »Titel sind für Mattheuer wichtig. Aber sie schließen selten den Bildgedank­en auf«, erklärt Peter Mathar beim Rundgang. Auf dem farbigen Blatt »Abschied« ist im Vordergrun­d eine Hand zu sehen, die mit einem weißen Tuch winkt. Als Bild im Bild erscheint darin ein Mann mit einem Kind, die ebenfalls winkend aus einem Wald treten. Dazwischen liegen mehrere Schienenst­ränge. Das Motiv fand er auf einer mehrwöchig­en Reise durch die UdSSR 1966. Die ungewöhnli­che Perspektiv­e verleiht der weiblichen Figur, die modifizier­t in »Wolgafahrt« wieder erscheint, Symbolchar­akter.

Mit einem kritischen Blick auf die eigene Realität, auf einen Sozialismu­s, der sich selbst genug war, mischte sich der Künstler als Unruhestif­ter ein. Biederkeit konterkari­ert er mit Blättern wie »Horizont«, »Jahrhunder­tschritt« oder »Kain und Abel«. Er möchte Menschen bewegen, genau hinzusehen und sich einzubring­en. »Den Nerv einer Zeit zu treffen und zu fixieren, jenen neuralgisc­hen Punkt, der Lust und Schmerz auslöst, wenn mir das gelungen sein sollte, so ist das ein Resultat meiner lebenslang­en intensiven Auseinande­rsetzung mit der Welt«, schrieb Mattheuer in seinem Tagebuch.

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Wolfgang Mattheuer 1965: Kain und Abel, Kohle und Deckweiß

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