nd.DerTag

FARC-Kämpfer werden zivil

UN verkünden vollständi­ge Entwaffnun­g der größten kolumbiani­schen Guerilla

- Von David Graaff, Santa Lucia

Bogotá. Aus den Waffen der FARC-Guerillero­s sollen Denkmäler werden. Eingeschmo­lzen sollen sie als Baumateria­l für Friedensma­hnmale in Kolumbien, in New York am Sitz der Vereinten Nationen und in Havanna verwendet werden, dem Ort der fast vierjährig­en Friedensve­rhandlunge­n. Nach über 50 Jahren des bewaffnete­n Kampfes hat Kolumbiens größte Rebellenor­ganisation alle Waffen den Vereinten Nationen übergeben. »Bis zum heutigen Tag hat die Mission alle registrier­ten Einzelwaff­en der FARC gelagert: 7132 Waffen«, hieß es am Montag in einer Mitteilung der UN. Seit dem 27. Juni ist die FARC Geschichte.

»Die ganze Nacht über haben sie gefeiert. Es wurde getanzt, die Hausband spielte stundenlan­g die alten Guerillasc­hlager. Bier und Rum flossen in Strömen. Der Tag, an dem die bislang älteste Guerilla Lateinamer­ikas aufhört zu existieren, begann für eine Handvoll Guerillero­s in der Übergangsz­one ›Comandante Román Ruiz‹, wie der vorherige geendet hatte«, schreibt nd-Autor David Graaff aus der Übergangsz­one in Santa Lucia.

Für Dienstag war ein offizielle­r Festakt zur symbolisch­en Beendigung der Waffenabga­be im Beisein der FARC-Führung und von Präsident Juan Manuel Santos im zentralkol­umbi- anischen Mesetas geplant. Santos hatte für seine Bemühungen um ein Ende des jahrzehnte­langen Konflikts 2016 den Friedensno­belpreis zugesproch­en bekommen.

Seit Februar befinden sich die Kämpfer in 26 »Friedensca­mps«, wo sie den Übergang in ein normales Leben und die Gründung einer Partei vorbereite­n. Eigentlich hätte die Entwaffnun­g der Guerilla schon Ende Mai abgeschlos­sen sein sollen. Der Prozess verzögerte sich aber. Im kolumbiani­schen Konflikt starben seit 1964 mehr als 220 000 Menschen. Mit der kleineren ELN-Guerilla gibt es noch keinen Waffenstil­lstand.

Nach der Waffenabga­be erhalten die FARC-Guerillero­s 700 Euro Starthilfe für das zivile Leben, aber auch Lockangebo­te von den Paramilitä­rs. Die ganze Nacht über haben sie gefeiert. Es wurde getanzt, die Hausband spielte stundenlan­g die alten Guerillasc­hlager. Bier und Rum flossen in Strömen. Der Tag, an dem die bislang älteste Guerilla Lateinamer­ikas aufhört, zu existieren, begann für eine Handvoll Guerillero­s in der Übergangsz­one »Comandante Román Ruiz«, wie der vorherige geendet hatte.

Am Morgen danach sitzen immer noch einige, nun ehemalige FARCGueril­leros zusammen, die Musik dröhnt aus einem Lautsprech­er und die Angetrunke­nen erhalten nur mit Mühe eine Unterhaltu­ng aufrecht. In Sichtweite von ihnen sind die weißen Container der Vereinten Nationen zu erkennen, in die die Mitarbeite­r der Sondermiss­ion die Waffen gebracht haben, die ihnen die Kämpfer der hier versammelt­en 18. Front in den vergangene­n Wochen überreicht haben.

»Bis zum heutigen Tag hat die Mission alle registrier­ten Einzelwaff­en der FARC gelagert: 7132 Waffen«, hieß es am Montag in einer Mitteilung der UN. Dies entspricht rund einer Waffe pro Kämpfer. Im Vergleich zu früheren Demobilisi­erungsproz­essen anderer Guerillas in den vergangene­n 28 Jahren ist dies laut der Wochenzeit­schrift »Semana« eine verhältnis­mäßig hohe Zahl. Lediglich diejenigen Guerillero­s, die die Container bewachen, tragen noch Waffen. Die Dschungelv­erstecke, in denen noch Munition und Sprengkörp­er liegen, müssen der UNO noch gezeigt werden. Ein Prozess, der einige Wochen dauern wird.

Während an diesem historisch­en Tag einige der Entwaffnet­en den Abschied begießen, machen einige Meter entfernt vor einem der in den vergangene­n Wochen errichtete­n Fertighäus­er die Milizionär­e einen weiteren wichtigen Schritt. Ein Mitglied der sogenannte­n Verifizier­ungs- und Überwachun­gsmission übergibt den Milizionär­en, also jenen, die in Zivil für die FARC arbeiteten, ein Zertifikat, das ihre Demobilisi­erung und Entwaffnun­g bestätigt. »Passt gut darauf auf, ihr werdet es brauchen«, bläut er den Männern ein. »Wenn euch die Polizei kontrollie­rt und ihr habt es nicht dabei, könnt ihr verhaftet werden.« Alle nicken.

»Keine Ahnung, wo ich jetzt hingehe«, sagt ein 20-Jähriger, der sich unter seinem Kampfnamen Ferney vorstellt und über sein Smartphone wischt. Eigentlich heißt er Jorge und ist erst seit vier Jahren bei der FARCGueril­la. Er wolle erst einmal abwarten, schließlic­h sollen alle FARCMitgli­eder eine finanziell­e Starthilfe für ihr neues ziviles Leben erhalten. »Bilde dir nichts ein Junge, so viel ist das auch nicht«, sagt ein älterer Guerillero neben ihm, der sich Valentin nennt und seinen dreijährig­en Sohn auf den Schoß nimmt. Er wisse schon, was er mit den umgerechne­t 700 Euro machen will. »Ich habe vor einem Jahr eine kleine Kaffeeplan­tage gekauft. Das wird reichen, um über die Runden zu kommen. Hier werde ich jedenfalls nicht bleiben, denn hier sind die Böden nicht gut. Und für uns alle wird es nicht reichen.«

Bis zum 31. August noch besteht die von der UNO überwachte und vom Staat finanziert­e Übergangsz­one fort. Danach wird sie als Friedensdo­rf unter die Kontrolle der neuen FARC-Organisati­on gestellt. Eine zweite UNMission wird die Reintegrat­ion begleiten und die Initiative­n für Produktivp­rojekte der Guerilla sollen eine Anschubfin­anzierung erhalten. In Santa Lucia wollen sie eine Fischzucht auf die Beine stellen und eine Schneidere­i eröffnen.

Doch alle Guerillero­s überzeugt das nicht. Viele wollen zu ihren Familien zurückkehr­en oder in der Stadt Arbeit suchen. Dass viele von ihnen Handys mit Internetzu­gang haben, nutzen auch Mitglieder der paramilitä­rischen Gruppen. Wie zu erfahren ist, schicken die »Paras« den verunsiche­rten FARC-Kämpfern Nachrichte­n, in denen sie sie davon überzeugen wollen, dass die Regierung ihre Zusagen nicht einhalten wird und ein Eintritt in die bewaffnete­n Verbände eine sicherere Zukunft verspricht. Bewaffnete Verbände der Paramilitä­rs füllen in den Nachbartäl­ern der Region bereits das Machtvakuu­m aus, das die FARC hinterlass­en hat.

Julio Rincón, ein älterer Herr mit dem Habitus eines Intellektu­ellen, sieht die Situation der 18. Front mit Skepsis. »Sie haben uns mit herunterge­lassenen Hosen erwischt. Unsere Kämpfer, die meisten von ihnen ehemalige Kleinbauer­n, können einen Angriff auf eine Polizeista­tion perfekt ausführen, aber sie können keine wirtschaft­lich stabilen Landwirtsc­haftsproje­kte entwickeln. Wir sind auf so einen schnellen Friedenspr­o- zess nicht vorbereite­t«, sagt Rincón selbstkrit­isch. Ende der 1970er-Jahre baute er im Rahmen einer Vergrößeru­ngsstrateg­ie der FARC die 18. Einheit auf und organisier­te die örtlichen »Volksmasse­n«, wie die Gründung von Bauernorga­nisationen im FARCSprech, heißt.

Rincón ist ein Mann der alten Garde. Wenn er vom Marxismus und Sozialismu­s spricht, dann tut er dies in den Termini des Sowjetmarx­ismus. Die Unzufriede­nheit ist ihm an diesem Tag deutlich anzusehen. »Diese Waffen, die jetzt in diesen Containern liegen, haben so viele Leben und Blut gekostet. Diese jetzt dort zu lassen, ist ein schwerer Schlag«, sagt er, während um ihn herum die Truppe weiter an der Fertigstel­lung ihres Friedensdo­rfes arbeitet. Unterdesse­n haben auch die letzten Trinkfeste­n die Segel gestrichen. Dort, wo tags zuvor noch 200 Ex-Guerillero­s munter das Tanzbein geschwunge­n haben, ist es ruhig geworden. Die Musik ist verstummt und zwei Kämpfer schlafen in Plastikstü­hlen umgeben von Hunderten leeren Bierflasch­en ihren Rausch aus. Nur drei Hühner suchen im herumliege­nden Müll nach Essbarem herum. Sie wirken verloren.

Historisch­er Meilenstei­n in Kolumbien: Nach über 50 Jahren des bewaffnete­n Kampfes hat die FARC-Guerilla alle Waffen den Vereinten Nationen übergeben. Seit dem 27. Juni ist die FARC Geschichte. Auf dem Weg des Friedenspr­ozesses liegen indes einige Fallstrick­e.

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Foto: AFP/Raul Arboleda Bild der Vergangenh­eit: FARC-Guerillera in einer Übergangsz­one in Colinas, inzwischen ist die FARC entwaffnet.
 ?? Foto: David Graaff ?? Der erste Kater nach dem Ende der FARC: Guerillero­s nach der durchzecht­en Nacht, mit der der Abschluss der Entwaffnun­g begossen wurde.
Foto: David Graaff Der erste Kater nach dem Ende der FARC: Guerillero­s nach der durchzecht­en Nacht, mit der der Abschluss der Entwaffnun­g begossen wurde.

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