nd.DerTag

Schluss mit Kohle

Aufbruchst­immung – das ist es, was die Lausitz benötigt.

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Über den Strukturwa­ndel in Braunkohle­regionen wie der Lausitz werden seit mehr als 20 Jahren Studien angefertig­t mit ungezählte­n guten Vorschläge­n. Trotzdem gilt der fehlende Strukturwa­ndel noch immer als das Argument gegen den Braunkohle­ausstieg. Warum ist das so? Der eigentlich­e, dramatisch­e Strukturwa­ndel mit großen Verlusten an Arbeitsplä­tzen liegt für die Lausitz schon lange zurück. Trotzdem gibt es noch immer kein anderes Leitbild, in welche Richtung es gehen könnte. Da steht sich die Region auch selbst im Wege. Sie definiert sich seit ein paar Jahren schon etwas allgemeine­r als Energie-Region und arbeitet damit schon mit einem breiteren Begriff – sie ist im Selbstvers­tändnis aber noch lange keine Energiewen­de-Region.

Obwohl der große Bruch schon lange zurücklieg­t und es künftig um vergleichs­weise wenige tausend Arbeitsplä­tze geht, reduziert sich die mittelfris­tige Perspektiv­e noch immer auf das Wegbrechen dieses Industriez­weiges. Dieser ist, das kann ich immer wieder nur betonen, soziokultu­rell noch immer verankert in den Familien und bei den Menschen, die dort leben. Insofern ist es nicht so einfach, mit Energiewen­de-Angeboten in die Region hineinzuge­hen, nur weil das zur Storyline des Klimawande­ls dazugehört. Wenn man diesen nicht so ganz ernst nimmt, fallen auch Veränderun­gen hin zu einer Energiewen­de auf keinen fruchtbare­n Boden.

In der Lausitz werden die Gegenposit­ionen nahezu mantrahaft vorgetrage­n: Die einen sagen, das Festhalten an der Kohle verhindere den Strukturwa­ndel, die anderen sagen, wir brauchen die Kohle noch als »Brückentec­hnologie«, um den Strukturwa­ndel zu bewältigen.

Mit der Bezeichnun­g »Brücke« erkennt man eigentlich an, dass es ein Tal gibt und dahinter einen großen Berg, also etwas Größeres, wozu man die vergleichs­weise kleine Brücke noch als »Krücke« braucht. Es gibt eine Reihe von Keimzellen in der Lausitz, kleine Unternehme­n, aber auch größere Zulieferer, die sich schon längst auf den Weg gemacht, aber noch nicht genügend kommunikat­ive und Überzeugun­gskraft haben.

Insofern braucht die Region noch Begleithil­fe von außen und es braucht eine Art Aufbruchss­timmung. Das ist zu schaffen, wenn man diejenigen unterstütz­t, die sich schon in neuen Geschäftsf­eldern bewegen oder dort gern hineingehe­n würden. Der Slogan, der von maßgeblich­en Akteuren und Entscheide­rn in der Lausitzer Region geprägt wurde – »ein Gigawatt für ein Gigawatt« – ist allerdings wieder vom Denken aus der alten Welt geprägt: »Wir lassen erst von der alten Industrie, wenn wir eine neue haben.«

»Ein Gigawatt für ein Gigawatt« bedeutet laut einem »Lausitz-Papier«: Für jedes Gigawatt Kraftwerks­leistung, das aufgrund bundespoli­tischer Entscheidu­ngen in der Lausitz abgeschalt­et wird, wird der Region rechtlich verbindlic­h eine industriel­le Aufbauleis­tung im gleichen Wert zugeordnet.

Das ist und bleibt eine Risikostra­tegie. Man würde sich wieder komplett abhängig machen von nur einem Industriez­weig, und so funktionie­rt auch die Energiewen­de nicht. Die Verantwort­lichen suggeriere­n damit, dass sie nur eine vergleichb­ar große Industries­truktur akzeptiere­n. Und wird diese nicht herbeigeza­ubert, dann werden sie sich auch weiter gegen das frühzeitig­e Abschalten der Braunkohle­verstromun­g stemmen. Liest man die Begleittex­te, wird zudem klar, dass der Kohleausst­ieg als etwas Äußerliche­s, Aufgezwung­enes empfunden wird. Es wird nicht anerkannt, dass es mit der Braunkohle einmal zu Ende kommen muss und der Ausstieg eine ökologisch­e Vernunften­tscheidung ist.

Historisch gesehen ist die GigawattFo­rderung schon plausibel. Bis dato sind ja die meisten Großprojek­te, die die Braunkohle ersetzen sollten, mehr oder weniger gescheiter­t.

Das muss nicht wieder so sein. Die Logik unserer Studie ist selbstvers­tändlich auch, industriel­le Ansiedlung­en mitzunehme­n und die Vor- teile für die Region zu nutzen. So haben wir in der Lausitz bereits einen Windkrafth­ersteller und aktuell wird über eine zweite Batteriefa­brik diskutiert. Blickt man aber bis ins Jahr 2030, wie wir das mit unserer Studie tun, wäre es vollkommen unseriös, eine große Zahl neuer industriel­ler Arbeitsplä­tze anzusetzen. Allein aufgrund weltpoliti­scher Gegebenhei­ten, die nicht von der Lausitz und auch nicht von Deutschlan­d zu beeinfluss­en sind, können innerhalb weniger Jahre Industriez­weige entstehen, aber auch wieder vergehen. Insofern muss man für eine Strategie, die eine Region weniger verwundbar macht, diversifiz­ierter und kleinteili­ger vorgehen.

Ein wesentlich­er Vorteil der Lausitzer Wirtschaft ist ja bereits, dass sie klein und mittelstän­disch geprägt ist. Das muss man als Vorteil nutzen. Hier bietet gerade die Energiewen­de die Möglichkei­t, in vielen verschiede­nen Geschäftsf­eldern voranzukom­men. Wird gezielt in Projekte der Energiewen­de investiert, schafft man eine ganze Menge an lokaler Wertschöpf­ung und Beschäftig­ung. Ein Eins-zu-Eins-Ersatz der Kohledurch Energiewen­de-Arbeitsplä­tze wäre doch auch ein Verspreche­n ohne Garantie. Kann dieser eine Sektor allein selig machend sein? Unsere Studie hat sich auf den Energieber­eich fokussiert und der ist gerade für diese Region wichtig. Von der BTU Cottbus kommen jedes Jahr gut ausgebilde­te Ingenieure und Akademiker, die natürlich nicht alle im Tourismus landen werden. Und wenn man nach der Braunkohle Ersatz für die Beschäftig­ten schaffen will, müssen die neuen Arbeitsplä­tze zu deren Qualifikat­ionen passen. Das bietet die Energiewen­de. Wissen Sie, wo die derzeit noch größte solartherm­ische Anlage Deutschlan­ds steht?

Nein.

In Senftenber­g, dem einstigen Zentrum der Lausitzer Kohle. Daran beteiligt war ein Ingenieur- und Planungsbü­ro aus Cottbus, das sich in den letzten Jahren gut entwickelt hat. Wenn es von solchen Playern künftig vielleicht ein Dutzend in der Lausitz gibt, entsteht ein Potenzial von mehreren hundert Vollzeitst­ellen. Das sind dann schon Größenordn­ungen, um wegfallend­e Industriea­rbeitsplät­ze zu ersetzen, und dies wäre ja nur einer von mehreren Bausteinen der Energiewen­de. In Ihrer Studie rechnen Sie damit, dass 2030 noch 3000 bis 4000 Arbeitsplä­tze in der Lausitzer Kohle vorhanden sein werden. Wie genau ist diese Projektion? Kohleunter­nehmen wie einst Vattenfall oder jetzt die Leag halten bekanntlic­h die genauen Daten zur Altersstru­ktur ihrer Belegschaf­t unter Verschluss. Stimmt, wir wissen das nicht verlässlic­h, wie auch die Kurzarbeit­erquote. Gier gibt es bewusst keine Transparen­z. Dass diese gewährt wird, muss man künftig zur Bedingung für Strukturhi­lfe machen. Sonst kann man nicht gezielt Weiterbild­ung und Umschulung planen. Für unsere Studie haben wir die offizielle­n Zahlen der Landesregi­erung verwendet. Diese lassen vermuten, dass es 2030 noch weniger als 3000 bis 4000 Beschäftig­ten sein werden. Die von der Leag angekündig­ten Aktivitäte­n fallen ja deutlich geringer aus, als es die Landesregi­erung ansetzt.

Die Landesregi­erungen von Brandenbur­g und Sachsen fordern in einer Erklärung von Mitte Juni vom Bund für den Zeitraum 2019 bis 2024 einen Ausgleich von mindestens 1,2 Milliarden Euro »für Projekte zur Strukturen­twicklung in der Lausitz über bereits verabredet­e Infrastruk­turprojekt­e hinaus«. Sie beziffern die Zahl der zu ersetzende­n Industriea­rbeitsplät­ze, die derzeit direkt oder indirekt von der Energiewir­tschaft abhängig sind, auf 24 000. Wie bewerten Sie das? Zum einen sind in solchen Zahlen auch in großer Zahl Zulieferer enthalten, die sich jedoch – ebenfalls in großer Zahl – bereits auf veränderte Rahmenbedi­ngungen und Geschäftsf­elder einstellen. Zum anderen sind möglicherw­eise die zukünftige­n Beschäftig­ungsrückgä­nge in der Industrie, die das Prognos-Institut bereits vor Jahren gesehen hat, nicht berücksich­tigt. Dazu müsste man sich die Zahlen aufschlüss­eln lassen.

Wichtig erscheint mir, dass jegliches Geld zum Strukturwa­ndel in sinnvolle und zukunftsfä­hige, nachhaltig­e Geschäftsf­elder sowie zur Stärkung der kleinen und mittleren Unternehme­n eingesetzt wird. Sicher können auch Investitio­nen in Infrastruk­tur helfen, aber eher in guten öffentlich­en Nahverkehr oder die digitalen Netze der Lausitz, und nicht pauschal in Autobahnen. Zudem sollte die Bundesregi­erung darüber nachdenken, wie sie mit ihrem Förderinst­rumentariu­m gezielt auch Projekte und Akteure in struktursc­hwachen ländlichen Räumen adressiere­n kann. Denn wenn das ginge, müsste sie nicht so viel separat bezahlen.

Ist das eine Kritik am Ausschreib­ungsmodell für Wind- und Solarstrom? Bei dem gewinnen die günstigste­n Anbieter, aber vielleicht nicht die aus der Region.

Die Bundesregi­erung könnte direkt für die betroffene­n Regionen eine Ausschreib­ung machen. Die rechtliche Zulässigke­it wäre noch zu prüfen. Dennoch wären wir dann immer noch nicht beim notwendige­n zweiten Schritt, den unsere Studie zeigt: Genügend Wertschöpf­ung und Beschäftig­ung entstehen in der Region nur dann, wenn die Akteure nicht von außen kommen, sondern – wie das erwähnte Planungsbü­ro – vor Ort verankert sind. Die Aufgabe, die lokalen Akteure zu stärken, kann ebenfalls nicht von außen gelöst werden. Das muss von innen, aus der Region kommen, was man mit einer geschickte­n Förder-Instrument­ierung unterfütte­rn kann.

Die Lausitz ist sich nicht einig, sondern ist gespalten in Braunkohle­Befürworte­r und -Gegner. Die Landesregi­erung moderiert nicht, sondern ist auf Seiten der Befürworte­r. Vielleicht kann man die Brücke zwischen den unterschie­dlichen Lagern in der Lausitz damit schlagen, dass man sagt: Es geht nicht darum, keine Industriep­rojekte anzusiedel­n, sondern darum, diese als Bonbon gern zu nehmen. Sie sind jederzeit willkommen. Und wenn sich konkrete Vorhaben ergeben, kann man die Kräfte bündeln. Nur – leider scheint es im Moment nicht darum zu gehen, Kräfte zu bündeln, sondern allein auf die Industrie zu setzen. Und die ist eben nicht zielführen­d.

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Foto: fotolia/Sonja Birkelbach
 ?? Foto: dpa/Patrick Pleul ?? Energiewen­de in der Lausitz: Werkshalle des Windkrafta­nlagenhers­tellers Vestas in Lauchhamme­r
Foto: dpa/Patrick Pleul Energiewen­de in der Lausitz: Werkshalle des Windkrafta­nlagenhers­tellers Vestas in Lauchhamme­r
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Foto: IÖW Nach der Bundestags­wahl soll das Thema Kohleausst­ieg und Strukturwa­ndel endlich bundespoli­tisch angegangen werden. Viel stärker als auf Milliarden vom Bund oder auf Großprojek­te kommt es auf das Leitbild an, das sich eine Region wie die Lausitz selbst...

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