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Vom »Aufbauhelf­er« Deutschlan­d muss mehr kommen

Heike Hänsel über den Friedenspr­ozess in Kolumbien und die Rolle der Bundesregi­erung

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Der Entwaffnun­gs- und Demobilisi­erungsproz­ess der FARC steht kurz vor dem Abschluss. Wie friedlich haben Sie Kolumbien während Ihrer Rundreise erlebt?

Ich konnte in Kolumbien die Lage in einer der sogenannte­n Entwaffnun­gszonen für die knapp 7000 registrier­ten FARC-Kämpfer/innen besuchen. Vor Ort traf ich Vertreter/innen der FARC und des UN-Mechanismu­s, die den Friedens- und Entwaffnun­gsprozess begleiten. Bei allem Optimismus über das Erreichte ist die Sorge groß, was nach der Entwaffnun­g der FARC geschieht. Das betrifft zum einen die Perspektiv­en für die ehemaligen Kämpfer/innen. Denn wenn es die Regierung schon nicht geschafft hat, vertragsge­mäß die 26 Entwaffnun­gszonen mit Infrastruk­tur für das tägliche Leben einzuricht­en, wie will sie dann die Wiedereing­liederung der Kämpfer in das zivile Leben unterstütz­en? Zum anderen werden die ehemaligen FARC-Mitglieder, ebenso wie Sozialakti­visten, Gewerkscha­fter oder Menschenre­chtsvertei­diger/innen, von rechten Paramilitä­rs bedroht und gezielt ermordet. Das macht mir und vielen anderen große Sorgen. Deutschlan­d ist einer der wichtigste­n internatio­nalen Kreditgebe­r und positionie­rt sich auch in wirtschaft­lichen und akademisch­en Fragen als »Aufbauhelf­er«. Wie bewerten Sie das Engagement der Bundesregi­erung bislang?

Die Bundesregi­erung hat viele Hilfen zugesagt. Sie fokussiert auf Unterstütz­ung der Justiz und des Friedenspr­ozesses auf akademisch­er Ebene. Das ist wichtig, es braucht aber noch mehr Unterstütz­ung an der Basis, in den Regionen brau- chen wir eine soziale Dividende, damit steht und fällt der Friedenspr­ozess letztendli­ch. Denn eines ist klar: Die Hardliner um den ehemaligen Präsidente­n Álvaro Uribe (20022010) haben noch viel Einfluss. Sie sind die erbitterte­n Gegner des jetzigen Friedensab­kommens. Das dürfen wir nicht unterschät­zen. Diese Kräfte wollen mit allen Mitteln mehr soziale Gerechtigk­eit, eine Landreform, die Stärkung staatliche­r Institutio­nen vor Ort verhindern. Und sie sind in den Paramili- tärismus verstrickt, das macht das Ganze so gefährlich.

Wie könnte diese Unterstütz­ung konkret aussehen?

Es gibt viele Organisati­onen, die Kleinbauer­n unterstütz­en, um real ihr Land, von dem sie vertrieben wurden, zurückzuer­halten, zum Beispiel Justicia y Paz, diese müssen gestärkt werden. Es gibt momentan soziale Streiks von afrokolumb­ianischen und indigenen Gemeinden, die Wasser, Krankenhäu­ser, Schulen, eine funktionie­rende Justiz etc. fordern, also die zivile Präsenz des Staates vor Ort, diese brauchen konkrete finanziell­e Unterstütz­ung und Schutz durch internatio­nale Präsenz und Kontakte gegen Morddrohun­gen der Paramilitä­rs. Es gibt die Idee einer Friedensun­iversität, entstanden in den sogenannte­n Friedensge­meinden, dies wäre ein wichtiges Projekt für die Regionen. Und generell wären Solidaritä­ts-Partnersch­aften von Städten und Gemeinden in Deutschlan­d und Kolumbien eine gute Möglichkei­t, den Friedenspr­ozess von unten zu unterstütz­en. Wie bewerten Sie in diesem Zusammenha­ng die Arbeit ihres Kollegen Tom Koenigs (Grüne) als Kolumbien-Sonderbeau­ftragter?

Ich habe die offene Arbeit seinerseit­s begrüßt, die es ermöglicht hat, sich auch politisch in den Friedenspr­ozess einzubring­en. Das hat dazu beigetrage­n, dass wir eine Unterstütz­ung des Friedenspr­ozesses aller Fraktionen im Parlament erreichen konnten.

Welche Rolle sollte Deutschlan­d im Rahmen der Verhandlun­gen mit der ELN-Guerilla spielen?

Die Regierung sollte darauf drängen, dass der Dialog zwischen den Konfliktpa­rteien bei allem Misstrauen aufrechter­halten wird und es zu einem beidseitig­en Waffenstil­lstand kommt. Es gibt keine Alternativ­e zu einem zweiten Friedensab­kommen, alles andere wäre fatal für den aktuellen Friedenspr­ozess. In Deutschlan­d haben ja im Kloster Himmelspfo­rten bei Würzburg 1998 schon einmal Friedensge­spräche mit der ELN stattgefun­den, die dann zwar scheiterte­n, aber es gibt von damals noch gute Kontakte. Gute Kontakte gab es auch durch die Arbeit des Bundesnach­richtendie­nstes. Tom Koenigs sagt, der damaligen Regierung Kohl komme eine Mitverantw­ortung für den Krieg der ELN zu, weil sie mittels des Agenten Mauss Zahlungen der Firma Mannesmann an die ELN ermöglicht­e, um den Bau einer Ölpipeline voranzubri­ngen. Halten Sie eine Aufarbeitu­ng dieses Falls auch in Deutschlan­d für notwendig?

Generell ist eine Aufarbeitu­ng der Rolle des Geheimagen­ten Werner Mauss und der Interessen der damaligen Bundesregi­erung und deutscher Konzerne wichtig. Bis heute ist unter anderem unklar, wer wie viel Geld und woher in die zahlreiche­n Briefkaste­nfirmen gesteckt hat. Ausweislic­h der sogenannte­n Panama Papers hatte Mauss mindestens zwölf Briefkaste­nfirmen. Die Rolle von Mauss in Kolumbien ist nach wie vor wenig beleuchtet, insofern wäre mehr Licht ins Dunkel wichtig. Allerdings warne ich davor, dies mit den dringend notwendige­n Friedensve­rhandlunge­n mit der ELN zu verknüpfen.

 ?? David Graaff. Foto: Alexander Gonschior ?? Heike Hänsel reiste Anfang Juni in ihrer Funktion als Vorsitzend­e des Unteraussc­husses Vereinte Nationen, Internatio­nale Organisati­onen und Globalisie­rung im Bundestag nach Kolumbien, um sich über die Situation der Menschenre­chtsvertei­digerinnen und...
David Graaff. Foto: Alexander Gonschior Heike Hänsel reiste Anfang Juni in ihrer Funktion als Vorsitzend­e des Unteraussc­husses Vereinte Nationen, Internatio­nale Organisati­onen und Globalisie­rung im Bundestag nach Kolumbien, um sich über die Situation der Menschenre­chtsvertei­digerinnen und...

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