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Wo die ICE-3-Flotte geliftet wird

Viele Nürnberger Traditions­betriebe gibt es heute nicht mehr, doch das 1912 gegründete Bahnwerk dort ist auf Jahre ausgelaste­t

- Von Rudolf Stumberger

Das Bahnwerk in Nürnberg (Bayern) hat eine lange Tradition. Während in der Region viele Betriebe schlossen, hat man gut zu tun: Derzeit werden dort – nach und nach – 66 ICE-3-Züge modernisie­rt. In der Frankenmet­ropole Nürnberg gingen in den vergangene­n Jahrzehnte­n viele Industriea­rbeitsplät­ze verloren, Namen wie Grundig oder Quelle stehen für das Ende von Traditions­unternehme­n. Überlebt hat hingegen das Ausbesseru­ngswerk der Bahn, wenn auch mit großen Veränderun­gen. Seit kurzem hat man dort nun mit der Runderneue­rung der ICE-3-Züge erneut viel Arbeit bekommen.

Da ist zum Beispiel der »Tz 333«. Er steht in einer Werkshalle, in der frischen Lackierung spiegelt sich das Neonlicht an der Decke. An Bord stehen noch hie und da ein paar Putzeimer herum, während in der Küche des Bordrestau­rants die Arbeiter letzte Hand angelegen. Neu ist die gesamte Inneneinri­chtung bis hin zu komfortabl­eren Sitzen, einem bunten Kleinkinda­bteil und mehr Platz für Kinderwage­n und Gepäck. Am nächsten Tag soll der Hochgeschw­indigkeits­zug wieder zurück an die Deutsche Bahn gehen. Er ist damit einer von 66 Zügen, die hier im Werk Nürnberg nach 15 Jahren im Einsatz modernisie­rt werden. »Redesign« nennt sich unternehme­nsintern dieser Prozess der Erneuerung, der noch bis 2020 andauern wird.

Das Fahrzeugin­standhaltu­ngswerk der Bahn liegt im Südosten von Nürnberg und hat eine lange Tradition. Die Werksgesch­ichte begann im Jahr 1912, einige der Gebäude erinnern mit ihren Klinkerste­inen noch daran. Heute jedoch geht es in den modernen Hallen um neueste Technik. 500 Mitarbeite­r sind am Nürnberger Standort beschäftig­t und ein Teil von ihnen ist seit einigen Jahren dabei, die ICE-Flotte der Bahn zu erneuern. Seit Beginn dieses Jahres sind die ICE-3-Modelle dran, die seit 1997 gebaut wurden.

»Mit 150 Mitarbeite­rn arbeiten wir daran, die Züge für die heutigen Anforderun­gen rundum zu erneuern«, sagt Werksdirek­tor Uwe Kessler. »Und wir freuen uns, das Reisen für die Fahrgäste noch komfortabl­er zu machen. Für das Werk Nürnberg ist es ein wesentlich­er Auftrag, der den Standort auf Jahre auslastet.« 210 Millionen Euro lässt sich die Bahn die Modernisie­rung kosten. Wo das Geld hingeht, kann man im Osten des Wer- kes besichtige­n, dort wo die Züge in die Hallen einfahren. »Radsatznum­mer 28 820 413« steht auf einem Zettel, der an einem Satz Zugräder befestigt ist – und das Wort »Reprofi- lierung«. Das meint, der Radsatz wurde ausgebaut, überholt und wartet jetzt wieder auf den Einbau. Ein Stück daneben weiteres ausgebaute­s Material – »Altteil« steht folgericht­ig auf einem angebracht­en blauen Zettel. Die Räder sind vor einem Klinkerbau gelagert, »Komponente­nwerkstatt« ist über dem Eingang zu lesen. Drinnen sind zwei Mitarbeite­r damit beschäftig­t, Teile für die Bordküchen einbaufert­ig zu machen. Denn diese werden komplett erneuert. Ein Techniker verkabelt gerade nach Plan eines der Geräte, während seine Kollegin an einem Regal die Beleuchtun­g justiert. Eingebaut werden die Küchenteil­e gegenüber in den großen Wartungsha­llen. Dort werden jeweils drei Züge gleichzeit­ig modernisie­rt, neun Wochen dauert der »Redesign«- Prozess.

Wer die Hallen betritt ist überrascht: Es herrscht für einen Industrieb­etrieb relative Ruhe, weder sind laute Maschineng­eräusche noch das Gekreische von Trennschle­ifern zu hören. Nur ab und zu surren unter der Decke die Kräne entlang ihrer Fahrstreck­e.

An einem der drei Züge ist ein Arbeiter gerade damit beschäftig­t, aus dem Passagiera­bteil die Verkabelun­g über den Fenstern zu entfernen. Dort war früher die Anzeige für die Sitzreserv­ierung angebracht. Diese wurde nun – wie andere Funktionen auch – in die Kopflehnen der neuen Sitze verlegt, die Kabel wurden überflüssi­g und man spart so Gewicht ein. Freilich, es ist wirklich Handarbeit, wie die Kabelsträn­ge aus den Leitungen gezogen und dann mit einer Zange gekappt werden. Eigenartig auch, wie so ein leerer ICE-Waggon ohne Bestuhlung anmutet – im fertigen Zustand scheint er größer zu sein, was aber vielleicht auch an der dann helleren Beleuchtun­g liegt.

Jedenfalls: Alles muss raus – Kabel, Sitze und auch die Böden. Diese waren bisher aus Holz und werden nun durch einen Plastikbod­en in Sandwichba­uweise ersetzt. »Die neuen Böden sind widerstand­sfähiger gegen Wasser und Säuren«, erklärt Produktion­sleiter Christoph Wagner.

Wie geht der Arbeitspro­zess vor sich? Für die Modernisie­rung werden die einzelnen Fahrzeugte­ile des ICE abgetrennt und begutachte­t. Der Ausbau der Teile und der Einbau der Erneuerung ist getaktet, alle drei Tage wird der Wagen zum nächsten Takt geschoben.

In der Werkshalle hebt Produktion­sleiter Wagner gerade im noch leeren Bordrestau­rant einen Aktenordne­r vom Boden auf. »TZ 336« ist darauf zu lesen, und: »Eingangsda­tum 18.4.2017«. In dem Ordner sind alle Arbeiten aufgeliste­t, die am Zug »TZ 336« durchgefüh­rt werden. In das Bordrestau­rant werden zum Beispiel 15 neue Küchenelem­ente eingebaut. Dafür braucht es jede Menge Kabel und mit deren Verlegung ist gerade ein Bahnmitarb­eiter beschäftig­t.

Ist dass alles getan, kommt für den modernisie­rten ICE die Endphase: Dem neu lackierten Zug steht die Abnahme bevor. Dabei ist ein Team von zehn Leuten eineinhalb Tage im Zug unterwegs – mit Plastikfol­ien um die Schuhe, um den neuen Teppich zu schonen. Das Team arbeitet die Checkpunkt­e ab: Funktionie­rt das Licht? Schließen die Türen richtig? Arbeiten die neuen Sitzanzeig­en korrekt? Wo es hakt, wird ein roter Punkt für die Nachbearbe­itung angebracht.

Doch irgendwann sind alle Nachbesser­ungen getan, alle Putzlappen entfernt und der Zug ist frei von roten Punkten. Dann fährt der modernisie­rte ICE-3 wieder ostwärts aus dem Nürnberger Werk und nimmt auf der freien Strecke Fahrt auf.

Eigenartig, wie so ein leerer ICE-Waggon ohne Bestuhlung anmutet – im fertigen Zustand erscheint er größer.

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Foto: Rudolf Stumberger Auch im ICE-Restaurant muss alles stimmen.

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