Krieg der Geschlechter
Im Kino: »Die Verführten« von Sofia Coppola
Es gibt tausend Arten, den Wald zu filmen. Bei Sofia Coppola ist er eine schweigende Drohung, in der die Äste sich verschlingen zu einem einzigen Labyrinth. Wenn ein leiser Luftzug zwischen den alten modrigen Stämmen hinauf bis zu den grünen Blattspitzen fährt, dann meint man, die Luft klirre, als wäre Eis in ihr.
Diese Atmosphäre prägt den Film, noch bevor ein Wort gesprochen ist. Eine im amerikanischen Bürgerkrieg umkämpfte Gegend 1864 in Virginia. Ein Mädchenpensionat im Südstaatenstil. Die Melancholie ist mit Händen zu greifen. Nur noch fünf Schülerinnen stehen unter der Aufsicht der Schulleiterin Martha Farnsworth (Nicole Kidman) und der einzigen verbliebenen Lehrerin Edwina Dabney (Kirsten Dunst).
Das Pensionat scheint eine Insel im gefährlichen Meer der Zeit. Doch das große Eisentor wird es nicht vor den Kanonen der Armeen schützen. Umso entschlossener pflegt man anachronistische Rituale. Alle sieben weiblichen Personen des Pensionats, von der elfährigen Amy (Oona Laurence) bis zur Schulleiterin, tragen konsequent lange weiße Kleider.
Die schlichte Vornehmheit von gestern ist gepaart mit einem Fingerzeig auf die eigene Unschuld. Unterricht heißt in diesem aristokratischen Schlupfwinkel, liebgewonnene Konventionen zu verteidigen inmitten einer sich auflösenden Welt. Der immer gleiche Tagesablauf: Erst übt man die Konjugation französischer Verben – mit einem leichten Hauch von Geistesabwesenheit –, dann versammelt man sich zu Tisch, wo man streng nach Protokoll tafelt. Alles nur, um die chaotische Welt draußen vor der Tür zu lassen.
Die eigene Existenz ist unzeitgemäß – na wenn schon! Eine Existenz, gemacht aus lauter Privilegien, so wissen hier alle, hat keine Zukunft. Aber tun wir eine Weile noch so, als bliebe alles wie immer. Bis der Krieg dann doch ins Pensionat kommt. Amy findet beim Pilzesuchen einen verwundeten Soldaten der Nordstaaten. Sein Bein ist verletzt, er kann nicht mehr gehen. Die sieben Frauen des Hauses beschließen: Barmherzigkeit ist gefordert, sie müssen ihn aufnehmen und gesundpflegen. Mit dem Soldaten John McBurney (Colin Farrell) bricht ein feindliches Element in die falsche Idylle, diese Welt der mühsam aufrecht erhaltenen Fassaden, ein. Obwohl er gar nichts dafür kann: Er ist eben ein Mann.
Regisseurin Sofia Coppola kann, was wenige können: Filme ganz aus einer Grundatmosphäre heraus schaffen. Es passiert wenig, aber das wenige, das Alltägliche, ist das eigentlich Unerhörte. Wenn dann wirklich einmal etwas Außergewöhnliches, geradezu Handfestes passiert, nimmt man es als Zuschauer dagegen fast gleichgültig hin. Aber all die sich plötzlich verändernden Bewegungen der weiblichen Wesen, die Blicke, das Sich-Belauern, sind das eigentliche Geschehen. Wie es nun eine nicht für möglich gehaltene Dynamik entwickelt!
Was an diesem Film fasziniert, ist, wie traumsicher Coppola eine gespenstische Szenerie erschafft. Der Soldat schaut dann auch bald so irritiert, als wäre er in ein Totenhaus geraten – und alle kämpfen darum, an seinem lädierten Körper wieder zum Leben zu erwachen. Wenn das kein Fall von angewandtem Vampirismus ist! Und wenn Vereinigung nicht gelingt, soll wenigstens verhindert werden, dass eine andere zum Ziel kommt. Man kämpft mit tödlichem Ernst um den Mann, aber man bleibt eisern höflich. Gelernt ist gelernt.
Das Drehbuch zu »Die Verführten« schrieb Sofia Coppola nach dem Roman »A Painting Devil« von Thomas P. Cullinan. Die Vorlage wurde 1971 schon einmal unter dem Titel »Betrogen« mit Clint Eastwood in der Hauptrolle verfilmt. Einige Kritiker sehen darum in Coppolas Film ein kurzgriffiges Remake. Denn Eastwood war als McBurny ein eisenharter Kerl, Colin Farrell wirkt in der Rolle eher wie aus einem Frauenmagazin entstiegen. Geradezu soft spiegelt er einen Mann von heute, der einer Frau nur dann hinterhersteigt, wenn er ausdrücklich (am besten schriftlich) von dieser dazu aufgefordert wird.
Ja, der Mann besitzt (für einen Soldaten erstaunlich) Charme und Manieren, ist alles andere als dominant. Und doch kommt es am Ende zu einem Kampf auf Leben und Tod zwischen den Frauen und dem Mann. Aber wer hat Schuld daran? Zweifellos die besitzergreifenden Frauen, die ihre militante Lüsternheit nur mühsam hinter der antrainierten Fassade aus Konventionen verbergen.
Seltsamerweise sprachen Kritiker (»Die Verführten« erhielt in Cannes den Regie-Preis) davon, hier werde weibliche Solidarität unter feministischem Vorzeichen auf die Leinwand gebracht. Nichts könnte falscher sein! Es handelt es sich um ein stilsicher verfilmtes Bestiarium weiblicher Erotik, dem etwas durch und durch Gespenstisches anhaftet.
Ein Wort zu Sofia Coppola, Tochter der Regie-Legende Francis Ford Coppola (»Apocalypse Now«, »Der Pate«). Schon als Baby war die 1971 Geborene in der »Pate« Teil eins zu sehen, im Teil drei, achtzehn Jahre später, spielte sie ihre erste (und letzte) größere Filmrolle. Die Kritiker mochten sie, in der sie bloß Papas Liebling sehen wollten, gar nicht und wählten sie zur schlechtesten Nebendarstellerin. Ihr einziger Schauspielerpreis blieb also 1991 die »Goldene Himbeere«.
Vielleicht war das heilsam, jedenfalls ging sie fortan eigene Wege, begann zu schreiben und Regie zu führen. Ihr erster Spielfilm »The Virgin Suicides«, von der Kritik 1999 mehrheitlich geschnitten, überwältigte mich, wie das selten geschieht. Der Film unterlief wie selbstverständlich alle gängigen Handlungsmuster, zeigte – schon damals das gleiche Sujet wie heute! – mehrere Mädchen, die von ihren besorgt-autoritären Eltern wie gefangen gehalten werden und schließlich, das kommt völlig abrupt, fast beiläufig, gemeinsam Selbstmord begehen. Sofia Coppola, die Mädchenfilmerin der anderen Art.
Da ist ein gehöriges Maß an Melancholie im Spiel, wie auch ihr Regie-Durchbruch »Lost in Translation« 2003 zeigte. Ein Mann und eine Frau sind so umstellt von lauter falschen Handlungen, dass sie selbst aufhören zu handeln. Stattdessen geben sie sich anderen unverständliche Zeichen. So kommt Poesie ins ansonsten bis zum Schluss ausrechenbare Spiel. NichtMitspieler aller Länder vereinigt euch, aber lasst dabei einen kleinen Abstand, der atmen lässt!
»Die Verführten« ist ein Film für sieben Schauspielerinnen und einen Schauspieler, die im darstellerischen Minimalismus eine Meisterschaft entwickeln, für die man die eigenen Sinne erst wieder schärfen muss. Wo Begierden im Spiel sind, da wachsen auch Intrigen und Verrat. Das muss auch der verwundete Soldat erleben, der anfangs so aufopfernd vom weiblichen Element des Hauses gepflegt wird. Er macht schnelle Genesungsfortschritte, so dass er eines Tages von der Lehrerin Edwina Dabney in flagranti bei der achtzehnjährigen Alicia (Elle Fanning) erwischt wird, weil Dabney selber in Erwartung des Mannes hellwach liegt.
Kirsten Dunst zeigt uns eine resignative, nicht mehr ganz junge Frau, die sich im Fortgang der sich anbahnenden weiblichen Rache gleichsam selbst opfert, wenn auch nicht uneigennützig. Im Moment der ernüchternden Überraschung stößt sie den noch nicht ganz trittsicheren Soldaten die Treppe hinab. Wieder ist sein Bein kaputt, aber die erzürnten Amazonen sind diesmal ganz ohne Mitleid mit dem Kerl.
Die sibyllinische Nicole Kidman als Herrin Hauses beschließt: Hier hilft nur noch eine Amputation! So sägen sie dem Bewusstlosen kaltblütig das Bein ab (das sie dann feierlich im Garten beerdigen). Spätestens hier weiß man, dass Dämonen geweckt wurden, die sich nicht mehr befrieden lassen. Denn der Soldat wird, wenn er erwacht, über das Fehlen seines Beines wenig erfreut sein. Also herrscht Krieg auf Leben und Tod, nun auch auf dieser Insel des falschen Friedens.
Ein stilsicher verfilmtes Bestiarium weiblicher Erotik, dem etwas durch und durch Gespenstisches anhaftet.