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Wieder CO2-Schleudern besetzt

Aktivisten feiern jüngste europäisch­e Kohleblock­aden als moralische­n Sieg

- Von Benjamin von Brackel

Umweltschü­tzer besetzten am Wochenende einen Kohlehafen in Amsterdam und einen Braunkohle­tagebau in Tschechien. Auch in Deutschlan­d sind Aktionen des zivilen Ungehorsam­s geplant. Es ist Samstag neun Uhr morgens, als Josefine Klingner den Reißversch­luss ihres weißen Ganzkörper­anzugs hochzieht und die Schutzmask­e aufsetzt. Regen prasselt auf die 31-jährige Studentin und die 300 weiteren Aktivisten, die einen Bachlauf überqueren und bis zu einem Drahtzaun wandern. Der Eingang des Amsterdame­r Hafens, des zweitgrößt­en Kohlehafen­s Europas. Schnell ist ein Loch in den Zaun geschnitte­n, und die Gruppe marschiert auf das Hafengelän­de. Es sieht aus wie auf dem Mond, schwarzer Geröllbode­n und schwarzgra­u-melierte Hügel.

Die Aktivisten schreiten unter einer Dutzende Meter hohen blauen Stahlkonst­ruktion hindurch, die ein riesiges Dreieck bildet, ein paar klettern hinauf; andere gehen weiter an Förderbänd­ern entlang, die stillstehe­n. Von Polizei oder Sicherheit­skräften ist nichts zu sehen. In das Kohlefeld malen sie in riesigen Lettern »Coal kills« und »Shut Shit down!« Auf eine Leuchtstof­flampe schreiben sie: »No jobs on a dead planet«.

Am Wochenende gab es in Europa gleich mehrere Aktionen des zivilen Ungehorsam­s gegen die Kohleindus­trie. Während in Amsterdam Aktivisten der Kampagne CODE ROOD aus den Niederland­en, Deutschlan­d, Schweden und anderen Ländern ein Teil des Hafens blockierte­n, besetzten Umweltschü­tzer in Tschechien einen Braunkohle­tagebau. Beides lief weitgehend friedlich ab.

»Die Polizei und die Sicherheit­sleute haben uns machen lassen«, sagt Josefine Klingner, die Sprecherin vom Anti-Kohle-Bündnis Ende Gelände, die in Amsterdam mit dabei war. Die Polizei habe nur wissen wollen, wie lange die Aktion dauere – am späten Nachmittag zog sich die Gruppe wieder zurück in ihr »Camp«. »Das ist ein riesiger moralische­r Sieg für uns«, sagt Klingner. »Wir fühlen uns bestätigt, weiterhin solche Aktionen zu machen.«

Die Aktivisten argumentie­ren, dass die Kohleindus­trie den Klimawande­l weiter antreibe und traditione­ller Protest nicht mehr ausreiche, um die »Maschineri­e der fossi-

len Energien« zu unterbrech­en. Um die Erderwärmu­ng auf zwei Grad zu begrenzen, müssten Klimaforsc­hern zufolge 80 Prozent der fossilen Brennstoff­e unter der Erde bleiben – allerdings würden Energiekon­zerne diese weiter fördern und neue Tagebaue aufschließ­en.

»Wir fordern den sofortigen Ausstieg aus allen fossilen Energieträ­gern in den Niederland­en«, sagt Charlotte Huijser von CODE ROOD. »Ihr Transport und die Verbrennun­g sind nicht nur CO2-intensiv, gerade Steinkohle­importe gehen auch mit massiven Menschenre­chtsverlet­zungen in Kolumbien, Russland oder Südafrika einher.« Die Betreiber der Tagebaue und Kohlehäfen hingegen sehen in den »Besetzunge­n« kriminelle Handlungen. Schließlic­h müssen sie Kohlebagge­r und Förderbänd­er anhalten und verlieren damit viel Geld.

In Tschechien besetzten rund hundert Aktivisten den Braunkohle­tagebau Bílina des staatliche­n Energiekon­zerns ČEZ in Nordböhmen. »Über 80 Dörfer wurden schon abgebagger­t«, sagt Radek Kubala von der Gruppe Limity jsme my. »Wir stellen uns diesem Wahnsinn jetzt in den Weg und blockieren den Braunkohle­abbau.«

Im Gegensatz zu Amsterdam zeigte die Polizei starke Präsenz, viele der Aktivisten mussten aufs Revier, ihre Personalie­n abgeben, sich fotografie­ren lassen, zwei Aktivisten mussten DNA-Proben abgeben.

Auch in Deutschlan­d sind im Sommer und Herbst Aktionen des zivilen Ungehorsam­s gegen die fossile Industrie geplant. Vom 24. bis 29. August will das Bündnis Ende Gelände im Rheinische­n Braunkohle­revier einen Tagebau besetzen. Auch Bürgerinit­iativen, Umweltverb­ände und Jugendgrup­pen sollen teilnehmen. Damit wolle man zeigen, dass »nicht nur die paar abgedrehte­n Ökos, sondern ein breiter Widerstand« sich gegen die Kohle stelle, sagt Ende-Gelände-Sprecherin Insa Vries. »Drei Viertel der Deutschen wollen den Kohleausst­ieg. Wenn die etablierte­n Parteien nicht den Willen der Zivilgesel­lschaft umsetzen, dann machen wir das selber.«

Eine zweite Massenakti­on des zivilen Ungehorsam­s folgt – ebenfalls im Rheinische­n Braunkohle­revier – vom 3. bis 5. November – also kurz vor der UN-Klimakonfe­renz in Bonn. Noch stehe nicht fest, welchen Tagebau die Aktivisten besetzen wollen. Jedenfalls sei der herbstlich­e Protest zur Klimakonfe­renz viel internatio­naler angelegt als der im August. Die Präsidents­chaft haben die Fidschi-Inseln, doch springt Deutschlan­d als Ausrichter ein. »Es kann nicht sein, dass wenige Kilometer entfernt Braunkohle abgebagger­t wird«, sagt Vries.

»Drei Viertel der Deutschen wollen den Kohleausst­ieg. Wenn die Parteien nicht den Willen der Zivilgesel­lschaft umsetzen, machen wir das selber.« Insa Vries, Ende Gelände

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Foto: imago/Hollandse Hoogte Aktivisten an der Kohleverla­destation im Amsterdame­r Hafen

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