nd.DerTag

»Kritisiert Israel ...«

- Von Peter Nowak

... aber nicht die Existenz dieses Staates. Dieser Appell findet sich in einem neuen Band, in dem sich zwei linken Juden mit dem Antisemiti­smus ihrer Bewegung auseinande­rsetzen. »Mit Faschisten kann man nicht reden, die muss man schlagen.« Dieses Statement kommt nicht etwa von einem jungen autonomen Antifaakti­visten. Es ist der 1947 geborene Vorsitzend­e der Jüdischen Gemeinde Pinneberg, Wolfgang Seibert, der sich nicht nur in Worten so klar positionie­rt. Für den langjährig­en Aktivisten, ist es selbstvers­tändlich, bei Demonstrat­ionen in den vorderen Reihen zu stehen. Und doch hatte sich Seibert mehrere Jahre ganz von der politische­n Arbeit zurückgezo­gen. Der Grund: die Israelfein­dlichkeit großer Teile der Linken in Deutschlan­d, die für Seibert teils antisemiti­sche Züge hatte.

Auch der lange Jahre in Zürich lebende Klaus Rózsa hat eine bewegte politische Biografie. Vom Hausbesetz­er und Mitglied der autonomen Bewegung brachte er es bis zum Vorsitzend­en des Schweizer Gewerkscha­ftsbundes. Auch er entfremdet­e sich wegen der Israelfein­dschaft großer Teile der Linken immer mehr von seinem politische­n Umfeld. Lange Freundscha­ften zerbrachen. Mittlerwei­le lebt Rózsa in Budapest und Zürich und ist wieder in linken politische­n Zusammenhä­ngen aktiv.

Diese beiden Männer kannten sich nicht, bis sie von Johannes Spohr und Nina Röttgers zusammenge­bracht wurden. Letztere gehören wiederum einer jüngeren Generation von Aktivisten gegen Rassismus und Neonazismu­s an. Bei einem antifaschi­stischen Gedenkmars­ch in Budapest lernten sie Klaus Rózsa kennen und kamen mit dem diskussion­sfreudigen Alt-Linken ins Gespräch. Aus der Begegnung entstand eine Veranstalt­ungstour durch mehrere Städte, auf der die beiden Älteren über ihre allmählich­e Distanzier­ung von einer Linken berichtete­n, die Israel oft nur als Vorposten des US-Imperialis­mus betrachtet­e.

Die Gespräche sind nun in einem Buch dokumentie­rt, das kürzlich im Neofelis-Verlag erschienen ist. Hier wird die Geschichte des linken Antisemiti­smus aus der Sicht von zwei linken Juden erzählt. Es ist auch eine Geschichte der persönlich­en Zweifel und Brüche. Sowohl Rózsa als auch Seibert hatten über mehrere Jahre eine dezidiert antizionis­tische Politik mitgetrage­n. Die Zweifel setzten bei Seibert schon nach dem Sechstagek­rieg von 1967 ein, als ein Großteil der bisher israelfreu­ndlichen Linken ihr Herz für die palästinen­sische Sache entdeckte.

Dass Seibert heute wieder aktiver Teil der außerparla­mentarisch­en Linken ist, liegt vor allem daran, dass sich dort in den letzten Jahren eine Strömung herausbild­ete, die sich intensiv mit den unterschie­dlichen Erscheinun­gsformen von Antisemiti­smus beschäftig­te und sich mit Israel solidarisi­erte. Seibert, der davon gar nichts wusste, war ganz erstaunt, dass er von Menschen aus dem autonomen Block verteidigt wurde, als er auf einer Anti-Nazidemo 2008 in Hamburg wegen seiner Israelfahn­e angepöbelt wurde.

Dem Buch gelingt es, die Leser auf einer sehr persönlich­en Ebene für das Thema Antisemiti­smus zu sensibilis­ieren. »Also kritisiert Israel, kritisiert Israels Regierung, aber kritisiert nicht das Dasein von Israel«, lautet der Appell, den Klaus Rózsa an die Linke richtet. Der Band führt stellenwei­se auch auf eine Metaebene, insofern liefert er Einblicke in Genese und Kritik dichotomer Weltbilder wie das des Antiimperi­alismus.

Johannes Spohr, Verheerend­e Bilanz: Der Antisemiti­smus der Linken: Klaus Rózsa und Wolfgang Seibert zwischen Abkehr, kritischer Distanz und Aktivismus, Neofelis

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