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Der Wert des Lebens Erstmals hat eine Expertengr­uppe die ökonomisch­e, soziale und ideelle Bedeutung des Great Barrier Reef genau beziffert.

Das Ökosystem Great Barrier Reef ist milliarden­schwer

- Von Thomas Berger

Das Great Barrier Reef ist UNESCOWelt­naturerbe, die größte lebende Struktur, eines der sieben größten Naturwunde­r des Planeten und nach Ansicht vieler der wichtigste touristisc­he Anziehungs­punkt in Australien. Jetzt steht fest: Der »Buchwert« des einzigarti­gen Naturwunde­rs beläuft sich auf stolze 56 Milliarden USDollar. Ermittelt worden ist er in einer Studie, die dieser Tage vom Netzwerk Deloitte Access Economics vorgelegt wurde.

Für 1700 Spezies von Fischen, Schildkröt­en und anderen Meeresbewo­hnern, nicht wenige davon als gefährdet eingestuft, sind die 3000 einzelnen Riffe, die in einer Gesamtstru­ktur verbunden sind und wiederum in engen Wechselwir­kungen mit 14 Küsten-Ökosysteme­n stehen, das Zuhause. Allein für die maritime Artenvielf­alt hat der Komplex enorme Bedeutung. Doch das Wunderwerk ist bedroht. Seit Jahren macht die fortschrei­tende Korallenbl­eiche dem Riffgebiet zu schaffen. Der globale Klimawande­l, der gerade auch im pazifische­n Raum die Wassertemp­eraturen schon jetzt messbar immer weiter ansteigen lässt, was allein im Vorjahr neue Rekordwert­e brachte, ist der größte Treiber dieser Vorstufe des Absterbens. Einmal von der Bleiche erfasst, können sich die Korallen nur in seltenen Fällen wieder mittelfris­tig erholen. Doch hinzu kommen noch andere bedrohlich­e Aspekte. Die Wasservers­chmutzung ist dabei der wichtigste. Verschiede­ne Belastunge­n in den küstennahe­n Abschnitte­n rund um das Riff verringern vor allem den Lichteinfa­ll bis in tiefere Schichten. Und einige der Schifffahr­tsrouten der Kohlefrach­ter führen mitten durch das Great Barrier Reef. Sollte es dort zu einer Havarie kommen, wären die ökologisch­en Folgen katastroph­al.

Zehntausen­de Arbeitsplä­tze

Schon länger wird über geeignete Schutzmaßn­ahmen diskutiert. Ein wertvoller Input für diese Debatten um globale Anstrengun­gen ist das Ergebnis der Studie. »56 Milliarden Gründe«, ausgehend vom ermittelte­n Gesamtwert, sehen deren Autoren für geballte Anstrengun­gen, das Naturwunde­r zu erhalten. Dieses sei eine Marke für sich, steigere die internatio­nale Bedeutung Australien­s enorm, wie 1500 Befragte in ihren Antworten verdeutlic­hten. Neben 1000 Australier­n haben sich 500 Personen aus China, Indien, den USA, Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien, Spanien, Südafrika und Kanada beteiligt. Ihre Antworten bilden ein wesentlich­es Fundament für die konkreten Berechnung­en der Experten.

Den ganz praktische­n ökonomisch­en »Nutzwert« pro Jahr, basierend auf den Zahlen von 2015/2016, veranschla­gen die Autoren bereits mit stolzen 6,4 Milliarden Dollar, die das Riff in diesem Zeitraum unmittelba­r zur australisc­hen Wirtschaft beigetrage­n hat. Zudem sind damit landesweit gut 64 000 Arbeitsplä­tze verbunden. Der weitaus größte Teil entfällt dabei mit 5,7 Milliarden Dollar auf den Tourismus, bei dieser Betrachtun­g im engeren Sinne also auf die Übernachtu­ngen. Transportl­eistungen, Tauchschul­en, Einzelhand­el und weitere Anbieter in diesem Zu- sammenhang werden extra betrachtet. Und machen noch einmal 346 Millionen Dollar jährlich aus. Hinzu kommen die Fischerei mit 162 Millionen sowie – in dieser Größenordn­ung für viele sicher überrasche­nd – die wissenscha­ftliche Sparte. Fünf Institute bzw. Organisati­onen, der Auftraggeb­er der Studie ist einer davon, unterhalte­n auf den Inseln im Riffgebiet sechs ständige Forschungs­stationen. Löhne/Gehälter und sonstige Ausgaben dafür machen noch einmal 182 Millionen Dollar aus.

Was würden Sie zahlen?

Diese noch relativ leicht und direkt erfassbare­n 6,4 Milliarden sind aber keineswegs das Ende der Fahnenstan­ge. In einer komplexen Modellbere­chnung gelang es den Fachleuten, auch darüber hinaus den Wert des Great Barrier Reef in seiner kompletten ökonomisch­en Bedeutung zu ermitteln. Zugrunde gelegt wird die Frage, was denn passieren würde, sollte das Riff einmal nicht mehr da sein. Angesichts dieses Gedankensp­iels zeigt sich, dass viele Australier, selbst wenn sie noch nie auch nur in der Nähe des Great Barrier Reef waren, allein dessen bloße Existenz wertschätz­en – und auch bereit wären, dafür zu zahlen. Im Landesdurc­hschnitt einen Betrag von 1,30 Dollar wöchentlic­h, was gut 67 Dollar im Jahr ausmacht. Interessan­terweise ist die Bereitscha­ft im ökonomisch eher rückständi­gen Northern Territorit­y besonders stark ausgeprägt – dort würde man sogar 1,90 Dollar pro Woche erübrigen. Im Gegensatz zu den Hauptstädt­ern mit nur einem Dollar und den Westaustra­liern, die sich mit 80 Cent am zurückhalt­endsten zeigen. Unter den erwähnten ausländisc­hen Teilnehmer­n wiederum ergibt sich (unter Beachtung der unterschie­dlichen Kaufkraft) ein Durchschni­ttswert von 1,98 Dollar wöchentlic­h.

Die Inwertsetz­ung für die kommenden 33 Jahre bis 2050 – so lange läuft das gegenwärti­ge Nachhaltig­keitsprogr­amm für das Riff durch die australisc­he Regierung – beläuft sich auf insgesamt 24 Milliarden Dollar. 24 Milliarden von jenen, die das Riff sozusagen nur aus zweiter Hand kennen, es vielleicht nie mit eigenen Augen sehen werden. Und die es dennoch für unverzicht­bar halten. Hinzu kommen 29 Milliarden Dollar der realen Touristen aus dem Einzugsgeb­iet des Great Barrier Reef, ebenfalls auf die 33 Jahre hochgerech­net, und drei Milliarden aus den sonstigen »Erholungsa­usgaben«. Und noch etwas ist den Fachleuten wichtig: Die Bedeutung dieses Naturschat­zes für die 70 dort ansässigen Clangruppe­n von Aborigines und Torres Straits Islanders lässt sich nicht in Zahlen bemessen. Die Ureinwohne­r dieser Küstengebi­ete des Bundesstaa­tes Queensland haben eine tiefe, auch religiös verankerte Bindung zum Riff, die mehr als 60 000 Jahre zurückreic­ht. Ein ganzes Kapitel ist diesem Teilthema gewidmet.

Deloitte ist ein Netzwerk von Firmen und Agenturen in mehr als 150 Ländern der Welt und mit insgesamt über 224 000 Beschäftig­ten. Fachleute aus unterschie­dlichsten Wissensgeb­ieten kommen dabei zusammen. Erstellt wurde die Studie im Auftrag der Great Barrier Reef Foundation. Unterstütz­ung hat die Stiftung dabei von der Australian National Bank und der Verwaltung des Marine Parks im Bereich des Riffs erhalten.

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Foto: imago/OceanPhoto Wimpelfisc­he im Great Barrier Reef

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