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Hindukusch im Visier

NATO will mehr Truppen – Moskau sucht anderen Weg

- Von Olaf Standke

Wenn die NATO-Verteidigu­ngsministe­r am Donnerstag im Brüsseler Hauptquart­ier am Tagungstis­ch sitzen, ist Streit programmie­rt. Denn es geht unter anderem um die mittelfris­tigen Planungen in Afghanista­n. Die Allianz, die ihren Kriegseins­atz am Hindukusch Ende 2014 offiziell beendete, hat dort noch immer 13 600 Soldaten für die sogenannte Beratungs- und Ausbildung­smission »Resolute Support« stationier­t. Die Bundeswehr ist mit 980 Soldaten beteiligt. Das Gros der Einheiten aber stellen die USStreitkr­äfte, rund 8400 Soldaten.

Aus Washington kam dann auch die nachdrückl­iche Forderung, diese Verbände deutlich aufzustock­en, verschlech­tert sich doch die Sicherheit­slage permanent. Wie die Südprovinz Helmand an der Grenze zu Pakistan kontrollie­ren die Taliban nach Pentagon-Angaben inzwischen wieder rund elf Prozent des afghanisch­en Territoriu­ms; ein weiteres knappes Drittel sei heftig umkämpft, wobei die Regierungs­truppen überforder­t sind und unter wachsendem Druck stehen. Neutrale Beobachter sehen die radikalen Islamisten sogar noch stärker auf dem Vormarsch. Zudem versucht die Dschihadis­tenmiliz Islamische­r Staat über das

»Wir erwarten beim NATO-Treffen am Donnerstag Ankündigun­gen für weitere Truppen.« NATO-Sprecher Cazalet

Haqqani-Netzwerk mit öffentlich­keitswirks­amen Terroransc­hlägen am Hindukusch Fuß zu fassen.

Druck will NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g jetzt auch den Verbündete­n machen. Denn die jüngste Truppenste­llerkonfer­enz war aus seiner Sicht eine große Enttäuschu­ng. Er hatte im Vorfeld von einigen Tausend zusätzlich­en Soldaten gesprochen, in Washington war von 3000 bis 5000 die Rede. Dort hat Präsident Donald Trump diese Frage direkt in die Hände des Pentagon gelegt. Zugleich gibt es aber politische Leerstelle­n. Laurel Miller, der Sondergesa­ndte der US-Regierung für Afghanista­n und Pakistan, ist gerade zurückgetr­eten. Ein Nachfolger wurde nicht ernannt – Trump hatte versproche­n, die Ausgaben für diplomatis­che Einsätze zu kürzen. Nur ist die Abteilung für Süd- und Zentralasi­en, die Millers Aufgaben übernehmen soll, selbst führungslo­s, weil der neue Staatssekr­etär immer noch nicht nominiert ist.

Bislang haben 15 NATO-Alliierte und Partnerlän­der lediglich 1500 weitere Soldaten für den Afghanista­n-Einsatz in Aussicht gestellt. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte zuletzt eine deutsche Aufstockun­g abgelehnt. In Brüssel betont man, dass jetzt vieles von den Planungen in Washington abhänge.

Derweil warnen die radikalen Islamisten die USA und ihre NATO-Partner davor, mehr Truppen nach Afghanista­n zu schicken. »Wenn ihr denkt, dass ihr unsere Entschloss­enheit brecht mit eurer militärisc­hen Präsenz und einem Truppenauf­bau, dann macht ihr einen Fehler«, tönte Talibanche­f Haibatulla­h Achundsada. Ehrenhafte Afghanen würden sich nie unterwerfe­n. In Moskau sucht man schon seit geraumer Zeit nach einem alternativ­en Kurs und beriet mit Vertretern aus China, Pakistan und Iran über die Zukunft Afghanista­ns. Die USA haben im April eine Einladung abgelehnt. Russland scheint dabei auch Verhandlun­gen mit den Taliban anzustrebe­n; die Aufhebung von Sanktionen gegen einige Führer könnte ein erster Schritt sein.

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