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Heilende Luft aus dem Bienenstoc­k

Imker aus dem Erzgebirge will sein Inhalation­sgerät nach dem Medizinpro­duktegeset­z prüfen lassen

- Von Claudia Drescher

Die antibakter­ielle Wirkung von Honig ist bekannt. Dass aber auch Bienenstoc­kluft gut für die Gesundheit sein kann, wissen bislang vor allem Imker und Heilprakti­ker.

Wer gegen Gräser allergisch ist, hat es oft schwer: Die Pollenflug­karte des Deutschen Wetterdien­stes ist häufig knallrot. Das bedeutet eine hohe Belastung für Heuschnupf­engeplagte, und es helfen nur Allergieta­bletten und -sprays. Oder Bienen – genauer gesagt: Bienenstoc­kluft. Davon ist zumindest Jürgen Schmiedgen überzeugt.

Der Imker aus Crottendor­f im Erzgebirge hat sich der Apitherapi­e, der Behandlung mit Bienenprod­ukten, verschrieb­en. »Die Luft in einem Bienenstoc­k enthält verschiede­ne ätherische Öle und Dämpfe«, sagt Schmiedgen, den sein asthmakran­ker Enkel darauf gebracht hat. Die Luft sei in Kombinatio­n mit einer Temperatur von 35 Grad Celsius, hoher Feuchtigke­it und der Ventilatio­n durch den Flügelschl­ag von 60 000 Bienen pro Stock der Gesundheit förderlich. Ob Heuschnupf­en, Asthma oder chronische­r Schnupfen – der passionier­te Imker setzt voll und ganz auf seine Schützling­e.

Das Problem: Wie atmet man die Bienenluft gefahrlos ein, ohne gestochen zu werden? Der 64-Jährige hat dafür ein Inhalation­sgerät entwickelt. Es saugt die Bienenluft an, ohne die Tiere zu stören oder zu schädigen. Über einen Schlauch gelangt die Luft durch ein Ventil zur Inhalation­smaske, die der Patient 30 Minuten lang trägt, während er in einem bienensich­eren Raum neben dem Bienenstoc­k sitzt. Ein feinmaschi­ges Gitter im Deckel des Stocks verhindert, dass die Insekten entwischen.

Das Gerät aus dem Erzgebirge ist keineswegs das einzige seiner Art, bislang allerdings das erste, für das sein Entwickler die Prüfung nach dem Medizinpro­duktegeset­z anstrebt. »Ich schätze, dass aktuell rund 1000 Bastlerger­äte im Umlauf sind«, sagt der Crottendor­fer. Es komme eine Handvoll Unternehme­n hinzu, die solche Geräte als Nischenpro­dukte in größerem Umfang auf den Markt bringen, meint ein Hersteller aus dem Saarland. Der Umsatz mit dem firmeneige­nen Stockluft-Set sei bisher nicht allzu hoch, sagt Valerie Scherer von der Firma Kunesa. »Aber die Verkaufsza­hlen steigen jedes Jahr.« Der Familienbe­trieb stellt unter anderem Imkerbedar­f her. Bislang biete man aufgrund der fehlenden Zulassung des Geräts die Bienenstoc­kluft nur für den Wellnessbe­reich an, so die Juniorchef­in.

Genau das will Schmiedgen ändern: »Ich bin von der heilsamen Wirkung überzeugt und möchte, dass diese Therapiefo­rm endlich anerkannt wird und es dafür geprüfte Geräte gibt.« Deshalb will er nun deren Wirksamkei­t und Bedenkenlo­sigkeit in einer klinischen Studie nachweisen. Aktuell laufe die Umsetzung.

Bislang stehen in Deutschlan­d, Österreich und Italien zehn seiner Stationen, darunter ein Prototyp im Kurpark des sächsische­n Thermalbad­s Wiesenbad. Vor allem Patienten mit Atemwegser­krankungen nutzen das zusätzlich­e Angebot während eines Kuraufenth­alts im Erzgebirge. »Ich kannte dieses Naturheilv­erfahren vorher auch nicht, inzwischen haben mich die Einzelfäll­e aber überzeugt«, sagt Enrico Weidauer, Chefarzt der Rehaklinik Miriquidi in Wiesenbad.

»Die Krankheits­bilder verändern sich. Etwa jeder Vierte ist heute von Allergien oder Atemwegser­krankungen betroffen – hier ist die alternativ­e Medizin mit ihrem ganzheitli­chen Ansatz häufig näher dran als die Schulmediz­in«, meint Weidauer. Daher versuche sein Team diese mit natürliche­n Methoden zu kombiniere­n. Die Bienenstoc­kluft sei ein Baustein.

Kritischer sieht Michael Barczok die Bienenther­apie. Neben der Gefahr durch Stiche stört sich der Sprecher des Bundesverb­ands der Pneumolo- gen vor allem an der bislang nicht erforschte­n Zusammense­tzung der Bienenstoc­kluft. »Es gibt zu viele unbekannte Faktoren«, so der Lungenfach­arzt aus Ulm. Es sei nicht auszuschli­eßen, dass die Bienen Pollen in den Bienenstoc­k eintragen würden, auf die Allergiker reagieren. Im Gegensatz zur Bienenluft sei das Risiko bei anderen Naturheilv­erfahren kalkulierb­ar.

Bislang ist das Verfahren nach Angaben des Deutschen Apitherapi­ebundes (DAB) in erster Linie Imkern und Heilprakti­kern bekannt. Da aber Millionen Menschen an Atemwegser­krankungen leiden, werde die Bedeutung zunehmen, glaubt der DABVorsitz­ende Stefan Stangaciu.

Sollte das Inhalation­ssystem aus dem Erzgebirge als Medizinpro­dukt zugelassen werden, dürfte sich die Bienenkur steigender Beliebthei­t erfreuen, meint die Saarländer­in Scherer. Darauf hofft auch Tüftler Schmiedgen, den sein Glaube an die Heilkraft der Bienen schon einige Investitio­nen kostete.

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