Gefangen in der Visumfalle Nur auf einen Besuch
Wenn Menschen hierzulande Partner außerhalb des eigenen Landes lieben, kann es schwer werden mit dem Zusammenleben in Deutschland. Trotz Trauschein
Die Ehe für alle sorgt für euphorische Bekenntnisse und überwindet sogar den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien. Doch das Recht auf Familie schwankt, wenn sie über Ländergrenzen hinwegreicht. Partner werden sogar am Zusammenleben gehindert – Ehe hin oder her.
Die Zahl der Visa, die deutsche Botschaften erteilen, steigt an. Aber selbst verheiratete Paare müssen mit Hindernissen rechnen. Die Behörden hegen eine tiefe Abneigung, Daueraufenthalte zu erlauben. Alle nennen ihn Pero. Der Name lässt es ahnen, Petar Ilic stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Er wurde in Serbien geboren. Doch in Deutschland lebt er seit Jahrzehnten, schon in der DDR gründete er mit einer deutschen Frau seine Familie. Der Mann hat goldene Hände, er ist Trockenbauer, hat irgendwann eine Prüfung zum Werkpolier abgelegt, er darf jetzt Baustellen leiten. Pero kann alles, was man am Bau zu tun kriegen kann. Und einiges mehr. In seinem Garten an einem Bahndamm in Leipzig wachsen nicht nur Peperoni, Gurken und Tomaten, da stehen zwei Hütten zum Übernachten und eine dritte mit der Sanitäreinrichtung.
Als nach 25 Jahren seine Ehe zerbrach, war das eine Katastrophe für ihn. Doch nun hat er eine zweite Chance. Sie heißt Milijana und stammt, wie er, aus Sremska Mitrovica. Mit ihr will er alles teilen, den Garten, die Wohnung, sein Leben.
Vor einem Jahr haben sie geheiratet, in Serbien. Lieber noch hätte Pero in Deutschland geheiratet, er ist hier zu Hause, hat drei Kinder, schon zwei Enkel. Aber Milijana war es lieber so und in Deutschland zu heiraten, wäre viel schwieriger gewesen, hätte noch länger gedauert.
Lange gedauert hat es trotzdem. Als sie heirateten, war es Mai. Der Wonnemonat. Doch ihrer Hochzeit folgte die Trennung. Um gemeinsam in Leipzig zu leben, brauchte Milijana ein Visum zur Familienzusammenführung. Es waren nicht die Unterlagen, die sie aufhielten, obwohl sie wie ein Hindernis vor ihnen aufgetürmt wurden. Nicht die Antragsformulare, die vorgeschriebene Deutschprüfung, Arbeitsverträge, Lohnbescheinigung, Peros Miet- und Betriebskostenrechnungen, seine Jahresmeldung zur Sozialversiche- rungod er die» Negativ bescheinigung« des Job centers, die sie brauchten, um zu beweisen, dass er nicht arbeitslos ist. Denn dann wäre es nichts geworden mit der Familienzusammenführung. Es war nicht der Stress, all die Papiere zu besorgen, der an den Nerven zerrte. Nein, vor allem belastete beide, dass es Monate dauerte, bis Milijana einen Termin in der deutschen Botschaft in Belgrad erhielt, um den Antrag zu stellen.
So war es ein Touristenvisum, mit dem Milijana zunächst drei Monate zu Pero nach Leipzig kam. Jeden Tag schauten sie gemeinsam auf der Internetseite der Botschaft in Belgrad nach einem Termin. Es gab keinen. Zurück in Sremska Mitrovica, erfuhr Milijana dann schließlich im November, dass eine Agentur in Belgrad solche Termine vermittelt. »Wie schnell soll es gehen?«, fragte der Mann von der Agentur am Telefon. Danach bestimmte er den Preis. Es sollte schnell gehen: 8000 Dinar. Etwa 70 Euro. In Serbien beträgt der Monats durchschnitts verdienst brutto etwas über 500 Euro. 70 Euro sind da eine Menge Geld.
Weltweit haben die deutschen Auslandsvertretungen einen Teil ihrer Arbeit an Agenturen übertragen, vor allem mit der Terminvergabe und der Information der Kunden über benötigte Unterlagen sind diese betraut und unterhalten damit ein lukratives Geschäft. Seit Jahren kritisiert die Opposition im Bundestag, dass die Bundesregierung auf diese Weise Personalkosten spare und sieden Antragstellern auf bürde. Da die Teilprivatisierung mit einer regelmäßigen Überschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen zur Visumentscheidung einhergeht, sieht die LINKE hier einen Verstoß gegen EURecht. Denn nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2013 haben Reisende einen Anspruch auf Erteilung eines sogenannten Schengen-Visums. Dieses erlaubt den Aufenthalt im EU-Raum. Die im Urteil anklingende Einschränkung lautet: »...soweit kein rechtlicher Versagungsgrund vorliegt«. Davon wird noch die Rede sein.
Die Zahl der von deutschen Auslandsvertretungen weltweit erteilten Visa überstieg im Jahr 2013 erstmals die Zwei-Millionen-Grenze. Doch ein Visum zu bekommen, ist keine Selbstverständlichkeit: Die Ablehnungsquote betrug in jenem Jahr 8,55 Prozent und war damit um fast zwei Drittel gestiegen. Die deutschen Botschaften scheinen besonders misstrauisch über die Einreisewilligen zu wachen. Bei Schengenvisa, die mehr als 90 Prozent aller erteilten Visa ausmachen, betrug die Ablehnungsquote 7,9 Prozent (2016: 6,09 Prozent); sie liegt deutlich höher als im EUDurchschnitt, wo die Quote 2013 bei 4,8 Prozent lag.
Die meisten Antragsteller wollen Deutschland nur besuchen. Doch ihre Rückkehrbereitschaft wird systematisch angezweifelt. Rückkehrbereitschaft ist ein festes Kriterium bei der Visumvergabe vor allem in sogenannten Drittländern, also Staaten außerhalb Europas und der westlichen Welt. Fehlende Rückkehrbereitschaft ist einer der genannten »Versagungsgründe«, der Gründe, ein Visum zu verweigern.
Visa zur Familienzusammenführung sind die Premiumvariante unter den Visa, hier ist der Daueraufenthalt in Deutschland das erklärte Ziel. Entsprechend hoch sind die Hürden. So ist ein Sprachnachweis erforderlich, der Partner muss die Grundlagen der deutschen Sprache mit der Sprachkundigenprüfung A1 nachweisen. Das wird für die Betroffenen leicht zum Problem. Denn oft sind es allein die deutschen Goethe-Institute, die erschwingliche Sprachkurse anbieten. Die in den Großstädten angesiedelten Institute sind für Menschen auf dem Land häufig schlicht unerreichbar.
Milijana und Pero haben es mittlerweile geschafft. Acht Wochen wartete Milijana noch auf ihren Termin an der Belgrader Botschaft, dort erhielt sie ein Visum zur Familienzusammenführung. Ein Dreivierteljahr war seit ihrer Hochzeit vergangen, eine gefühlte Ewigkeit. Und doch nur ein Bruchteil der Zeit, die andere Paare warten müssen.
Pero kann freilich immer noch nicht verstehen, wieso man es Leuten wie ihnen so schwer macht. Milijana hatte bereits einen zugesicherten Arbeitsplatz in einer Leipziger Pflegeeinrichtung. Als Pflegerin übt sie einen Beruf aus, der in allen Politikerreden als Beispiel dafür dient, dass Deutschland seinen dringenden Bedarf an Arbeitskräften nicht aus eigener Kraft decken kann. Dass Arbeitskräfte aus dem Ausland dringend nötig sind.
Wenn liebende Menschen über Monate aufeinander warten müssen, ist das für sie eine ernste Belastung. Wenn der Staat die Einreise eines Partners verweigert, ist es für die Betroffenen schier unerträglich. Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Kriegsflüchtlinge erleiden dieses Schicksal derzeit, wenn ihre Familien von ihnen getrennt im Kriegsgebiet oder irgendwo auf der Fluchtroute nach Europa feststecken.
Das Recht auf Familienzusammenführung ergibt sich aus dem Grundgesetz, wo es heißt, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Der Bundestag hat den Nachzug der Flüchtlingsfamilien deshalb auch nicht verboten, sondern für zwei Jahre ausgesetzt. Den Betroffenen ist das ein geringer Trost.
Noch weniger Verständnis bringen Menschen mit einem dauerhaften Aufenthalt in Deutschland oder gar Deutsche auf, die ihre ausländischen Partner zu sich holen wollen und denen das nicht gelingt. Sie sehen sich getäuscht, verstehen schier die Welt nicht mehr.
So wie Wilhelm Völlmecke. Als Experte für die Programmierung von Maschinensteuerungen hat der 61Jährige 40 Jahre lang in den verschiedensten Ländern gearbeitet. Wilhelm Völlmecke ist ein Mensch voller Tatendrang, die Welt lag ihm zu Füßen, so schien es. Dass er das Recht hätte, eine Ausländerin zu lieben, stand fest. Dass es ihm passieren könnte, natürlich nicht. Aber als es passierte, als er 2012 in Singapur die Philippinerin Edralyn kennengelernt hatte, war es eine Frage der Zeit, bis er ihr seine Heimat zeigen wollte. Nichts anderes als Zeit, so glaubte Wilhelm, sei auch nötig, um den Besuch Wirklichkeit werden zu lassen. Noch nie hat sich Wilhelm Völlmecke derart geirrt.
Er nutzte einen Arbeitsaufenthalt in Singapur im Juni 2013, um seine Geliebte im Anschluss an ihr Arbeitsvisum für einen dreimonatigen Urlaub nach Deutschland einzuladen. Eine Verpflichtungserklärung zur Übernahme der Unterhaltskosten war ausgefüllt und eine Reise-Krankenversicherung abgeschlossen, um Edralyn auf seiner Rückreise gleich mitzunehmen.
Doch es folgte, womit der Mann nicht gerechnet hatte. In der deutschen Botschaft in Manila mit sämtlichen Unterlagen vorstellig geworden, wird die Frau weggeschickt; sie möge telefonisch einen Termin in einem zuständigen Callcenter vereinbaren. Wilhelm Völlmecke reist allein nach Hause. Edralyn wohnt 20 Busstunden von Manila entfernt in der Region Sorsogon. Immer wieder ruft sie die drei angegebenen kostenpflichtigen Telefonnummern an. Nach wochenlangen Versuchen und »100 Euro später«, wie Völlmecke beschreibt, schickt sie alle Unterlagen per Post an die Botschaft mit der Bitte um einen Termin. Sie erhält keine Antwort, die Unterlagen seien nicht angekommen, heißt es später. Bei einem Visa-Agenten, der mit guten Beziehungen zur deutschen Botschaft prahlt, schöpft sie neue Hoffnung. Doch die angegebene Gebühr von 2000 Euro für ein Besuchervisum veranlasst Wilhelm Völlmecke zum kurzen Entschluss: Für 2000 Euro nimmt er die Sache lieber selbst in die Hand. Auf nach Manila!
»Ende November an einem Mittwochmorgen sind wir mit allen Formularen zur Botschaft gegangen, dort wollte uns das Empfangspersonal wieder mit dem Verweis auf die externe Terminvergabe abwimmeln. Nach einigem Hin und Her wurden wir dann doch in die Botschaftsräume vorgelassen. Zweimal pro Woche
»Wie schnell soll es gehen?«, fragte der Mann von der Agentur am Telefon. Danach bestimmte er den Preis. Es sollte schnell gehen: 8000 Dinar. Milijana Ilics Beschreibung, wie sie ihren Termin an der Belgrader Botschaft erhielt