Ehelos in Deutschland
gebe es eine kostenlose Terminvergabe, Mittwoch- und Donnerstagnachmittag für je eine Stunde. Also heute! Und der zweite Gedanke: Die Möglichkeit muss es drei Monate zuvor auch schon gegeben haben!
Es ist der 27. November. Sie erhalten einen Termin fünf Wochen später. Der 2. Januar kommt. Der Bearbeiter stellt fest, dass das Flugticket fehle und dass trotz gültiger deutscher Versicherung eine weitere Reiseversicherung (120 Euro) besorgt werden müsse. Neuer Termin: 6. Januar 2014. Die Unterlagen werden hingebracht, alles scheint endlich in Ordnung. Am Visum-Abholtermin, 14. Januar, erklärt die Botschaft, man habe die Bearbeitung nicht geschafft. »Kommen Sie morgen wieder.« Damit ist der für den nächsten Tag geplante Rückflug geplatzt.
Die Zeitschrift des »Vereins binationaler Familien und Partnerschaften« untersuchte im November 2016 die Online-Terminvergabe von 37 deutschen Botschaften. Persönliches Erscheinen ist in jedem Fall Pflicht, schon wegen der verlangten Fingerabdrücke. »Als deutsche Muttersprachlerin, 24 Jahre alt und internetaffin, machte ich mich auf den Weg und wühlte mich durch Webseiten ausgewählter deutscher Auslandsvertretungen«, beschreibt die Autorin ihre Recherchevoraussetzungen. Ohne diese Voraussetzungen wäre sie wohl bald gescheitert. Viele Formulare und teils umständliche, nicht nachvollziehbare Wege erschwerten die Suche. In zwölf der recherchierten Botschaften waren keine Termine verfügbar, sie seien geschlossen oder verfügten über keine Konsularabteilungen. In diesen Fällen waren andere Vertretungen zuständig, meist im Ausland, was zusätzliche Reisen und Kosten verursacht. »Es bedrückt mich zu sehen, was Menschen, die nur zu ihren Familien möchten, alles bewältigen müssen«, schreibt die Verfasserin.
Am 15. Januar 2014, mehr als ein halbes Jahr nach dem Entschluss zum Besuch in Deutschland, wird Edralyn Dela Fuente nach erneut stundenlanger Wartezeit in der deutschen Auslandsvertretung in Manila die schriftliche Mitteilung ausgehändigt: Ihr Visum ist abgelehnt. Mit Stempel vom Vortag, an dem die Botschaft sie wegen Überlastung weggeschickt hatte. Der Entscheid ist als winziges Kreuz auf einem Vordruck vermerkt. Dieser enthält eine Liste aller behördlich denkbaren Ablehnungsgründe. Angekreuzt ist: »Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden.«
Drei Jahre ist das her. Edralyn und Wilhelm sind inzwischen verheiratet. In Deutschland war Edralyn bis heute nicht, die Hochzeit fand auf den Philippinen statt. Die Botschaft in Manila lehnte den letzten Visumantrag im Januar ab. Doch Wilhelm Völlmecke gibt nicht auf. Er kämpft um das Besuchervisum. Er hat gelernt, was eine Remonstration ist und hat eine solche »Einwendung« gegen die erste Ablehnung erhoben. Die Botschaft ersetzte ihren Visumbescheid daraufhin durch einen neuen. Eine erneute Ablehnung. Und die gleiche Begründung. »Hinweise auf die fehlende Rückkehrabsicht ergeben sich aus tatsächlichen Indizien in der Person der Antragstellerin, aufgrund derer auf eine mangelnde Verwurzelung im Herkunftsstaat geschlossen werden kann.« Und: »Vorreisen in den Schengenraum konnten nicht nachgewiesen werden, so dass nicht von früheren Reisen auf Ihre Rückkehrbereitschaft aus dem Schengenraum geschlossen werden kann.« Die Antragstellerin war noch nie in Europa, also gibt es keinen Nachweis, dass sie Europa je wieder verlassen hat.
Wilhelm Völlmecke klagte. Das Gericht bestätigte Monate später die Ablehnung. Wilhelm Völlmecke legte im November 2014 Revision ein. Seither liegt die Entscheidung beim Oberverwaltungsgericht. Seit zweieinhalb Jahren bereits. Völlmecke wandte sich an Hinz und Kunz, schrieb Briefe – an den SPD-Kanzlerkandidaten, der viel über Gerechtigkeit redet, an den Außenminister, an den Justizminister. Er wandte sich an Gregor Gysi, an das Institut für Menschenrechte, an ein EU-Bürgerbüro. Wilhelm Völlmecke will sich nicht damit abfinden, dass seine Frau ihn nicht besuchen darf. Ob sie beide zusammenziehen wollen oder nicht, das geht den Staat nichts an, meint er.
Ein Visum zur Familienzusammenführung könnte mittlerweile beantragt werden, denn das Paar ist ja nun verheiratet. Doch Edralyn will Wilhelm in Deutschland tatsächlich erst einmal nur besuchen. Sie hat eine Tochter zu Hause, die bei ihren Eltern lebt. Die sagt Daddy zu Völlmecke, aber ob Edralyn in ein Land wie Deutschland ziehen möchte, das ihr die Einreise so schwer macht, weiß sie nicht recht. Außerdem würden die Hürden noch einmal höher, denn hinzu käme die Sprachprüfung, die Edralyn nur in Manila ablegen könnte. Wilhelm Völlmecke findet, sie sollte den Sprachkurs hier in Deutschland machen. Ein Besuchsvisum über drei Monate würde dafür reichen.
Der Europäische Gerichtshof urteilte 2015, dass es mit EU-Recht unvereinbar sei, wenn von einem Sprachtest abhängig gemacht wird, ob Ehepartner zusammenziehen dürfen oder über Jahre aufeinander warten sollen. Sprachtests im Ausland dürften nicht zu einer Auswahl der Personen führen, denen die Familienzusammenführung erlaubt wird, hieß das. Die deutsche Praxis hat es nicht geändert.
Wenn Wilhelm Völlmecke seine Geschichte erzählt, klingt er nicht mehr zuversichtlich. Der Mann, der Probleme im Handstreich zu lösen pflegte, ist wütend. Er fühlt sich belogen. Nur ein einziges Mal wurde ihm gegenüber die Wahrheit klar ausgesprochen. Als Wilhelm Völlme- cke zu Beginn seiner Behördenodyssee bei der Bürgersprechstunde des Auswärtigen Amtes in Berlin anruft, erhält er von der freundlichen Dame am Telefon die schnörkellose Auskunft: »Ja, wenn das Ihre Freundin ist und diese kein ausreichendes Einkommen erwirtschaftet, bekommt sie sowieso kein Besuchervisum.« Noch heute kann Völlmecke seine Erregung nur mühsam unterdrücken: »Die Botschaft könnte doch gleich mitteilen, dass sie kein Besuchervisum ausstellt!« Stattdessen verlangt sie Flugtickets! Dieses Besuchervisum für seine Frau habe ihn mittlerweile rund 2000 Euro gekostet, und sie habe immer noch keins.
Ein seit 2009 in der EU geltender Visakodex verpflichtet die Mitgliedsstaaten zu einem kundenfreundlichen Dienstleistungsangebot im Visumverfahren. Jedoch gilt die Einschränkung: Eine Rückkehrbereitschaft darf geprüft werden. Die Entscheidungen provozieren den Widerspruch der Betroffenen vor Gericht. Doch was sollen die Gerichte für sie tun, wenn die Prüfung der Rückkehrbereitschaft praktisch ins Belieben der Behörde gestellt ist? »Dort, wo die Behörde frei ist, hat das Gericht nichts zu prüfen«, schlussfolgert die LINKE, die die Bundesregierung regelmäßig nach den Visaentwicklungen befragt. Insbesondere in ärmeren Regionen oder Ländern, aus denen viele Asylsuchende kommen, werden Visumanträge überdurchschnittlich häufig abgelehnt. Während die Ablehnungs- quote im Jahr 2014 weltweit nur 5,7 Prozent betrug, lag sie zum Beispiel in Afghanistan bei 24,9 Prozent. Auf den Philippinen lag die Ablehnungsquote 2016 bei 9,09 Prozent, rund 2,3 Prozent über dem Durchschnitt. In Senegal oder Nigeria wurden weit über 40 Prozent der Visumanträge abgelehnt.
Janit Beltran Sevellina war schon ein paarmal in Deutschland. Auch sie ist Philippinerin, auch sie mit einem Deutschen verheiratet. Ihre Ehe wurde am 29. Juli 2015 geschlossen, vor bereits fast zwei Jahren. So lange wartet das Paar auf die standesamtliche Registrierung in Deutschland, und so lange das so ist, kann auch Janit ihren Ehemann nun nicht mehr besuchen. Im Kleiderschrank hängen ihre Sachen. »Es sieht aus, als sei sie nur kurz einkaufen«, sagt Ehemann Günter Göbel.
Wenn er mit seiner Ehefrau Janit per Skype telefoniert, fließen regelmäßig Tränen. Echte Tränen. Dies festzustellen, ist nicht so abwegig, wie es scheint. Günter Göbel beendet seine Mails mit einer Art trotziger Parole: »Meine Frau ist keine Fälschung!« Grund ist der behördliche Zweifel, der ihm und seiner Frau in seinem Heimatort Bad Laasphe entgegengebracht wird. Hier hat er die Beurkundung der Ehe beantragt. Hier fordert man umfängliche Beweise, dass bei Göbels Frau alles mit rechten Dingen zugeht. Er habe nicht alle nötigen Unterlagen eingereicht, wirft ihm die Standesbeamtin vor. Er habe eine amtliche Eheurkunde vorgelegt, hält Göbel dagegen.
Janit und Günter Göbel heirateten in Dänemark. Dass der Aufwand dort nur halb so groß sei wie in Deutschland, hieß es. Eine Agentur in Heilbronn wirbt mit dem Heiratsservice in Dänemark: schnell, kostengünstig und unbürokratisch. »Eine in Dänemark geschlossene Ehe wird europaweit problemlos anerkannt«, heißt es auf ihrer Homepage beruhigend.
Wenn das stimmt, dann gehört Bad Laasphe in Nordrhein-Westfalen nicht zu Europa. Die Kleinstadt im Kreis Siegen-Wittgenstein verfügt mit ihrer Standesbeamtin Monika Treude über eine besonders gründliche Aktenbeurkunderin. Oder eine besonders misstrauische. Die Beamtin verweigerte zunächst die Anerkennung der Ehe, Günter Göbel zog vor Gericht. Dort wurde festgestellt, dass die Ehe unter Einhaltung der formellen Rechtsvorschriften geschlossen wurde. Also gültig ist. Zugleich stellte das Gericht fest, dass eine materielle Prüfung der Standesbeamten »wohl« vorbehalten bleibe.
Was das bedeutet, darüber gehen die Meinungen auseinander. Während die Anwältin von Günter Göbel die Auffassung vertritt, dass laut mündlicher Vereinbarung vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg noch eine Geburtsurkunde und eine Ledigkeitsbescheinigung ihres Heimatlandes verlangt werden dürfe, wickelt die Standesbeamtin ein umfangreiches Verfahren ab. Zweifel an der Authentizität der Ehefrau sind letzter Grund für dieses Vorgehen. Unter den von Frau Treude verlangten Dokumenten sind nicht nur Janits, sondern auch die Geburtsurkunden ihrer fünf Geschwister aufgelistet, die Passfotos der Eltern – und da der Vater verstorben ist, seine Sterbeurkunde, schließlich Janits Taufschein, der Beleg ihrer Einschulung und gar die Eheurkunde ihrer Eltern. Was könnten diese Unterlagen an zusätzlicher Bestätigung für Janits Glaubhaftigkeit erbringen, fragt sich Günter Göbel. Welche Bestätigung als die, dass den Beteiligten ein möglichst großer Stein in den Weg gelegt werden soll?
Am Ende wird die Standesbeamtin Monika Treude alle Unterlagen mit dem Kurierdienst des Außenministeriums zur Botschaft nach Manila schicken. Diese wird einen Vertrauensanwalt mit der Prüfung der Unterlagen beauftragen. Günter Göbel musste hierfür bereits vorsorglich das Honorar in Höhe von 300 Euro hinterlegen. »Die Überprüfung dauert nach bisherigen Erfahrungen vier Monate (in Einzelfällen auch sechs Monate)«, heißt es in einem Merkblatt der deutschen Botschaft in Manila.
Günter Göbel scheint seine Zuversicht nicht zu verlieren. Diese Prüfung habe ihn und seine Frau zusammengeschweißt, sagt er. Natürlich sei es schwer, aber eine Gefahr für seine Ehe, nein, die sieht er nicht. Fast täglich kommunizieren beide. Alltagsprobleme in so verschiedenen Alltagen und über eine solche Entfernung sind nicht leicht zu teilen. Janit musste sich eine neue Arbeit suchen, weil sie nach der Hochzeit gekündigt hatte. Zu optimistisch, wie sich zeigte.
Welches Recht hat ein Staat, die privaten Beziehungen von Menschen zu unterbinden? Das Scheidungsrisiko bei Partnern aus unterschiedlichen Ländern liegt um 64 Prozent höher als bei Ehen zwischen Personen derselben nationalen Herkunft, ermittelten Forscher vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des demografischen Wandels und der University of Liverpool. Ein Grund könnte sein, dass Paare sich gezwungen sehen zu heiraten, selbst wenn sie sich einander noch nicht völlig sicher sind, weil dies ihre einzige Chance ist zusammenzuleben. Dann erst folgt das Kennenlernen. Kulturelle Unterschiede und Erwartungen kommen hinzu.
In ihrer Recherche für die Zeitschrift des Verbandes binationaler Partnerschaften gelangt die Autorin am Ende zu einer ernüchternden Überlegung: »Wenn ich mir vorstelle, dass ich auf so viele Hürden stoße, nur weil ich mit einem Mann aus einem Drittstaat verheiratet bin und mit ihm in Deutschland zusammenleben will, dann überkommt mich große Ratlosigkeit. Warum wird es mir als Deutscher so schwer gemacht, mit meiner künftigen Familie in meinem Land zu leben? Wir sind scheinbar hier nicht erwünscht ...«