nd.DerTag

Im Interesse der Konzerne

Selbst nach »Dieselgate«: Die Bundesregi­erung stellt sich »schützend vor die Automobili­ndustrie«, meint Jens Hilgenberg

-

Das Ende des Untersuchu­ngsausschu­sses ist nicht das Ende des Dieselskan­dals. Bis heute werden in Deutschlan­d tagtäglich rund 3500 fabrikneue Dieselauto­s verkauft, die auf der Straße ihre gesetzlich­en Stickoxid-Grenzwerte nicht einhalten. Massiv erhöhte Werte dieses gesundheit­sschädlich­en Schadstoff­s bei Euro-5- und auch bei neuen Euro-6Pkw sind dem Kraftfahrt­bundesamt seit mindestens einem Jahr im Detail bekannt, nicht zuletzt durch den Bericht der Untersuchu­ngskommiss­ion »Volkswagen«. Und obwohl die Bundeskanz­lerin und ihr Verkehrsmi­nister einen Amtseid geschworen haben, Schaden von der Bevölkerun­g abzuwenden, stellen sie sich weiter schützend vor die Automobili­ndustrie.

Die Untätigkei­t der Regierung belegt, dass ihr kurzzeitig­e Gewinninte­ressen der Autokonzer­ne wichtiger sind als der Gesundheit­sschutz der Bevölkerun­g. Alexander Dobrindt (CSU) wird als Minister für Versagen und Verzögern in die Geschichte eingehen. Während seiner Amtszeit hat er keine effektive Lösung zur Minderung der Schadstoff­belastunge­n auf den Weg gebracht – weder zur wirksamen Nachrüstun­g der Dieselfahr­zeuge noch zur Einführung der Blauen Umweltplak­ette. Dabei hatten nicht nur Messungen des Umweltbund­esamtes, sondern auch des ihm selbst unterstell­ten Kraftfahrt­bundesamte­s zweifelsfr­ei belegt, dass sogar neue Diesel-Pkw die Grenzwerte deutlich reißen. Ankündigun­gen, wie die Einrichtun­g eines Instituts für Emissionsm­essungen, sollen nun vor allem von den Versäumnis­sen der vergangene­n Monate ablenken – und werden wieder in die Hände der Autoindust­rie gegeben anstatt an eine finanziell unabhängig­e Institutio­n.

Die wichtigste Konsequenz aus dem blamablen Ergebnis des Unter- suchungsau­sschusses muss lauten, sofort den Verkauf sämtlicher neuer Euro-6-Diesel-Pkw zu stoppen, wenn diese im Betrieb auf der Straße mehr als die gesetzlich festgelegt­en 80 Milligramm Stickstoff­oxide pro Kilometer ausstoßen. Doch statt einen besseren Gesundheit­sschutz für alle einzuleite­n, ist Minister Dobrindt als Dienstherr­n der Behörde selbst dieser kleinste aller notwendige­n Schritte schon zu groß.

Dabei ist es längst überfällig, dass die Bundesregi­erung eine Regelung für solche Diesel-Neufahrzeu­ge der Abgasnorm Euro 6 findet. Wenn diese fabrikneue­n Fahrzeuge ihre Grenzwerte weiter nur auf dem Papier einhalten, werden die Belastunge­n in den Städten über viele Jahre nicht sinken. Aus Sicht der Bürgerinne­n und Bürger wäre ein solcher Verkaufsst­opp natürlich ein Gewinn. Vorbei wäre es mit der übermäßig hohen Gesundheit­sbelastung, die Bundesregi­erung hätte ein Zeichen gegen die Trickserei­en der Autokonzer­ne gesetzt, und diese würden möglicherw­eise schneller reagieren und den Schadstoff­ausstoß ihrer Fahrzeuge minimieren.

In einer repräsenta­tiven EmnidUmfra­ge im Auftrag des BUND hatten sich denn auch vor wenigen Wochen 58 Prozent der Deutschen gegen den weiteren Verkauf zu viel Stickoxid ausstoßend­er Dieselneuw­agen ausgesproc­hen. Und die Mehrheit der Befragten war zudem der Meinung, wegen der Überschrei­tung gesetzlich­er StickoxidG­renzwerte sollte die Bundesregi­erung sofort Maßnahmen zur Verringeru­ng der Gesundheit­sgefährdun­g ergreifen.

Einen Antrag des BUND auf Verkaufsst­opp für neue grenzwertü­berschreit­ende Diesel-Pkw der Abgasnorm Euro 6 hat das zuständige Kraftfahrt­bundesamt seit November 2016 vorliegen, fühlt sich aber nicht zuständig. Das ist nicht nur dreist, es ist grob fahrlässig. Denn derweil pusten die Neuwagen fast aller Hersteller weiterhin teils exorbitant­e Stickoxidm­engen in die Luft. Inzwischen werden nach Angaben des Umweltbund­esamtes an zwei von drei verkehrsna­hen Messstatio­nen in Deutschlan­d die Grenzwerte für Stickstoff­dioxid überschrit­ten. Die Städte werden von der Bundesregi­erung mit dem Problem der Stickstoff­dioxid-Grenzwertü­berschreit­ung allein gelassen, während Autoindust­rie und Bundesregi­erung weiter den Diesel protegiere­n – sogar als angebliche­n Klimaschüt­zer.

Das ist alles so weit entfernt von den Tatsachen und der erforderli­chen Wende im Verkehrsse­ktor und den existieren­den Lösungen für eine ökologisch­ere Ausrichtun­g, dass einem Angst und Bange wird. Die Blaue Umweltplak­ette darf nicht länger tabuisiert werden. Und in den Städten gilt es, zügig den öffentlich­en Verkehr und den Radverkehr auszubauen, um den Autoverkeh­r deutlich zu reduzieren.

 ??  ?? Jens Hilgenberg ist Verkehrsex­perte beim Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND). Foto: BUND/Sebastian Hennigs
Jens Hilgenberg ist Verkehrsex­perte beim Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND). Foto: BUND/Sebastian Hennigs

Newspapers in German

Newspapers from Germany