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Aus für Kiezladen »Friedel 54«

Hunderte Beamte setzten Zwangsräum­ung in Neukölln durch

- Von Johanna Treblin und Alexander Isele

Rund acht Stunden dauerte die Räumung des Kiezladens in der Friedelstr­aße 54 am Donnerstag. 500 Menschen beteiligte­n sich an den Protesten. »Sieht doch gleich viel sauberer aus hier«, sagt ein Polizist am Donnerstag in der Friedelstr­aße in Neukölln. Gerade haben er und seine Kollegen rund 150 Demonstran­ten weggetrage­n, die vor dem Nachbarsch­aftsladen in der Hausnummer 54 eine Sitzblocka­de abgehalten hatten. Statt bunt gekleidete­r Menschen ist jetzt nur noch Müll auf der Straße vor dem Haus zu sehen, außerdem ein paar Isomatten und Zeltplanen. Direkt vor dem Haus, in dessen Erdgeschos­s der Kiezladen untergebra­cht ist, stehen ein paar Polizisten. Die Straße ist mittlerwei­le mit Hamburger Polizeigit­tern abgesperrt.

Gegen 4.30 Uhr hatte die Polizei begonnen, die Zugangsweg­e zur Friedelstr­aße zu sperren. Da saßen die Demonstran­ten aber längst vor dem Haus. Am Abend zuvor gab es eine letzte Kundgebung und die beiden verdrängun­gskritisch­en Filme »Mietrebell­en« und »Betongold« wurden gezeigt. Rund 400 Unterstütz­er versammelt­en sich im und vor dem Kiezladen. Viele von ihnen blieben über Nacht. Während rund 150 von ihnen am frühen Morgen auf der Straße protestier­ten, blockierte­n noch einmal rund 80 den Hinterhof des Hauses.

Polizisten verschafft­en sich über Nachbarhäu­ser Zugang zum Hinterhof. Nach Angaben des Rechtsanwa­lts Lukas Theune und des Abgeordnet­enhausmitg­lieds Georg Kössler (Grüne) setzte die Polizei dort Hunde ein, um die Blockade aufzulösen. »Das sah schon ruppig aus«, sagte Kössler. Teilweise seien Hunde auf am Boden liegende Menschen gesprungen. Eine Person, die von der Polizei hinausge- tragen wurde, habe geblutet. Über Twitter wird darüber hinaus ein Video verbreitet, das zeigt, wie ein Polizist einer Frau, während er sie mit einem Kollegen abtranspor­tiert, mit der Faust ins Gesicht schlägt.

Nachdem die menschlich­en Blockaden aufgelöst waren, verschafft­e sich die Polizei über den Hinterhof Zugang ins Haus und brach von innen die Tür zur Straße auf, die mit Mülltonnen und Getränkeki­sten im Hausflur blockiert worden war. Ein Türknauf soll der Polizei zufolge unter Strom gestanden haben. Ein Sprecher des Kiezladens widersprac­h der Darstellun­g.

In den Kiezladen kam die Polizei dann immer noch nicht. Die Tür erwies sich als zubetonier­t. Nutzern zufolge war das allerdings ein altes Kunstproje­kt. Der reguläre Zugang erfolgte über die Tür zur Straße. Schließlic­h gelangte die Polizei über den Hinterhof in den Kiezladen. In den Räumen sollten mehrere Personen einbetonie­rt und angekettet sein. Die Polizei fand einer Sprecherin zufolge fünf Menschen vor. »Sie waren weder einbetonie­rt noch angekettet noch verletzt.« Nach rund acht Stunden war die Räumung damit beendet.

Bis zur Räumung nutzten verschiede­n Gruppen den Kiezladen und boten beispielsw­eise Filmvorfüh­rungen, Diskussion­en, »Küche für alle« und kostenlose Mieterbera­tungen an. Der damalige Besitzer kündigte den Betreibern 2015 den Gewerbemie­tvertrag. Mit dem Verkauf des Hauses im Juli 2016 übernahm die neue Eigentümer­in, eine luxemburgi­sche Briefkaste­nfirma, auch die Pflicht zur Räumung. Vor Gericht einigte sich im Oktober 2016 der Trägervere­in mit dem Eigentümer darauf, zum 1. April 2017 auszuziehe­n. Stattdesse­n setzten sie alles daran, bleiben zu können. In den vergangene­n Monaten mobilisier­ten sie für Proteste gegen die anstehende Räumung.

Einem Bewohner zufolge ist die Friedelstr­aße 54 »ein ganz normales Mietshaus in Neukölln«. »Der Kampf um den Kiezladen hat dazu geführt, dass wir Bewohner Gemeinsamk­eiten entdeckt und Gemeinscha­ft entwickelt haben.« Mit dem Verlust des Ladens fürchtet er, auch diese wieder zu verlieren. Seinen Namen möchte der Bewohner nicht nennen, weil er wegen seines Engagement­s für den Nachbarsch­aftsladen eine Kündigung befürchtet.

Mit dem Kiezladen wurde das erste größere linke Projekt seit 2011 geräumt. Es ist auch die erste größere Räumung unter dem rot-rot-grünen Senat. Viele Unterstütz­er hatten gehofft, dass die Mitte-links-Regierung die Aktion absagt. Kiezladens­precher Matthias Sander sagte dem »nd«: »Der Senat und die SPD in Neukölln führen eine brutale Verdrängun­gspolitik.« Ein Grundbedür­fnis wie das Recht auf Stadt dürfe nicht der Rendite untergeord­net werden.

Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) dankte am Donnerstag­nachmittag den Einsatzkrä­ften und lobte ihr besonnenes Vorgehen. »In unserem Rechtsstaa­t gelten für alle die gleichen Regeln. Einen Extraweg für einige wenige, die glauben, sie könnten die Spielregel­n des Zusammenle­bens einseitig bestimmen, darf es nicht geben.«

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Foto: nd/Ulli Winkler Demonstran­ten vor der Friedelstr­aße 54 wurden teil brutal abgeführt.
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Foto: nd/Ulli Winkler Die Polizei hatte Probleme beim Aufbrechen der Tür.

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