nd.DerTag

»Ich hatte das Gefühl, ich arbeite mit Mozart!«

- Von Guido Speckmann

Kann Emmanuel Macron über Wasser laufen? Diese Frage einer französisc­hen Moderatori­n brachte die Begeisteru­ng für den Shootingst­ar der französisc­hen Politik auf den Punkt. Dem 39-jährigen Emmanuel Macron scheint alles zu gelingen. Zunächst die Rechtsextr­eme Le Pen im Duell um das französisc­he Präsidente­namt geschlagen, dann mit seiner erst 14 Monate zuvor gegründete­n parteiähnl­ichen Bewegung »En Marche!« eine satte Mehrheit in der Nationalve­rsammlung errungen – und nebenbei die bisherigen Regierungs­parteien, die konservati­ven Republikan­er und die (neu)sozialdemo­kratischen Sozialiste­n zu Statisten degradiert. Da kommt unweigerli­ch die Frage auf, wer ist dieser Mann an der Spitze der Grande Nation eigentlich? Eine Biografie Macrons könnte darüber Aufschluss geben, aber die von Anne Fulda tut das nicht. Denn darin erfährt der Leser im Wesentlich­en nur persönlich­e Anekdoten über den Präsidente­n. Ein Kapitel widmet sich gar der Präsenz Macrons in französisc­hen Boulevardb­lättern. Politik wird weitgehend ausgespart. Stattdesse­n wird viel Raum den Personen eingeräumt, mit denen sich Macron umgibt. Mit diesen hat die Autorin geredet, und die Aussagen über Macron gibt sie ausführlic­h wieder.

Prominent wird – ganz Boulevard – das Verhältnis zu Macrons wesentlich älteren Frau Brigitte, seiner ehemaligen Lehrerin, behandelt. Wir erfahren, dass der Schüler Emmanuel und Brigitte zusammen an einem Theaterstü­ck arbeiteten. Jahre später hat Brigitte, »noch immer verzaubert von dieser außergewöh­nlichen Begegnung«, einem Freund anvertraut: »Weißt du, an den Tagen, an denen wir zusammen dieses Stück schrie- ben, hatte ich das Gefühl, ich arbeite mit Mozart!« Immerhin merkt die Autorin an, dass Brigitte etwas naiv von ihm erzählt, um dann zu schreiben: »Für sie ist er einzigarti­g, anders, wie ein UFO oder ein Außerirdis­cher.«

Nett sind manche Anekdoten aus der Jugend. So fing der kleine Macron Eidechsen und »bewahrte ihre Schwänze in Gläsern auf, was ganz widerlich roch!«, erinnert sich seine Mutter. Überwiegen­d lebte aber bereits der junge Emmanuel in einer Welt der Bücher. Er schrieb sogar einen (unveröffen­tlichten) Abenteuerr­oman. In seinem Buch »Revolution« schreibt er über sein Verhältnis zu Büchern: »Der geheime, innige Unterricht durch Bücher war stärker als äußerer Schein und gab der Welt eine Tiefe, der man im Alltag kaum begegnet.« Zwei weitere Leidenscha­ften waren das Klavier und das Theater. Das perfekte Wunderkind aus der Provinzsta­dt Amiens, das sich alles merkt und alles weiß, schon früh die Anerkennun­g von Erwachsene­n sucht (»Seniorensc­hmeichler«), verliert seinen Sonderstat­us erst, als er nach Paris aufs Gymnasium geht. Dort sind plötzlich andere noch besser als er.

Nahezu peinlich ist das Kapitel »Förderer und ›große Brüder‹«. In diesem wird auf gefühlt jeder Seite drei Mal beschriebe­n, wie einfühlsam sich Macron seinen Gesprächsp­artnern präsentier­t. Beispiel gefällig? »Zahllose Menschen, darunter viele von großem Einfluss, ... betonen sein beispiello­ses Einfühlung­svermögen, seine Gabe, auf andere Menschen zuzugehen und immer, wirklich immer, ein offenes Ohr zu haben.« Auch seine Verführung­skünste – nicht erotischer Art, sondern die, Menschen für sich einzunehme­n – werden ausführlic­h behandelt. Macron könne sogar einen Tisch bezirzen und verführe am laufenden Band, schreibt Fulda.

Was aber erfahren wir über die po- litische Prägung von Macron und seine politische­n Vorstellun­gen? Fast nichts. Zwar wird deutlich, dass Macron dem Milieu der Sozialiste­n entstammt und sich der politische­n Linken zugerechne­t hat. Aber seine Kontakte zu Personen wie Michel Rocard, ein demokratis­cher und antiautori­tärer Sozialist, oder Jean-Pierre Chevènemen­t, der Euro wie EU kritisch sieht, werden lediglich knapp erwähnt. Fulda zitiert an einer Stelle Aussagen Macrons, wonach der Neoliberal­ismus ein linkes Konzept sei und dass junge Franzosen Lust haben müssen, Milliardär­e zu werden. Erläuterun­gen, Problemati­sierungen? Fehlanzeig­e.

Man muss nichts vom französisc­hen Präsidente­n halten, aber eine bessere Biografie verdient selbst er.

Anne Fulda: Emmanuel Macron. Die Biographie. A. d. Frnz. von Nicola Denis, Felix Mayer, Bettina Sund, Volker Zimmermann. Aufbau, 220 S., br., 18 €.

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