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Bundestag sagt Ja zur »Ehe für alle«

SPD, LINKE und Grüne werden von 75 Unionsabge­ordneten unterstütz­t

- Von Aert van Riel

Berlin. Der Bundestag hat am Freitag mit großer Mehrheit für die Öffnung der Ehe für Homosexuel­le votiert. Kanzlerin Angela Merkel stimmte mit Nein. »Für mich ist die Ehe im Grundgeset­z die Ehe von Mann und Frau«, sagte die CDU-Vorsitzend­e nach der Abstimmung. Merkel hatte am Montagaben­d überrasche­nd erklärt, sie plädiere für eine Gewissense­ntscheidun­g bei diesem Thema. Der Koalitions­partner SPD sowie die opposition­ellen LINKEN und Grünen hatten die Abstimmung daraufhin gegen den Willen von CDU und CSU durchgeset­zt. Die Union sieht darin einen Vertrauens­bruch der SPD. »Dass wir heute darüber entscheide­n, ist vielleicht nicht gut für die Koalition, aber es ist gut für die Menschen«, sagte SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann.

Gleichwohl stimmten nicht nur Sozialdemo­kraten, LINKE und Grüne für den Gesetzentw­urf des Bundesrate­s, sondern auch 75 Unionsabge­ordnete. Die Fraktionsd­isziplin war aufgehoben worden. Insgesamt votierten 393 Parlamenta­rier mit Ja, 226 mit Nein, vier Abgeordnet­e der Union enthielten sich. 623 der insgesamt 630 Parlamenta­rier waren zur Abstimmung gekommen.

Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch sprach von einer Abstimmung »für die Würde, für Gleichheit und für die Liebe«. Es gehe nicht darum, ob Merkel dabei gewinne oder SPDHerausf­orderer Martin Schulz. »Wir schaffen ein stückweit Normalität in unserem Land.«

Große Freude über die völlige Gleichbere­chtigung von Homosexuel­len, für die er seit Jahrzehnte­n kämpft, zeigte der Grünen-Politiker Volker Beck. Ihm liefen die Tränen über das Gesicht, als er anschließe­nd dem TV-Sender Phoenix sagte: »Das ist wirklich ein toller Sieg, weil es ein stückweit gesellscha­ftlicher Frieden bedeutet.«

Bislang durften Homosexuel­le eine Lebenspart­nerschaft amtlich eintragen lassen, aber nicht heiraten. Der wichtigste Unterschie­d war, dass sie gemeinsam keine Kinder adoptieren durften.

Am letzten Sitzungsta­g vor der parlamenta­rischen Sommerpaus­e hat sich die SPD gegen ihren konservati­ven Koalitions­partner aufgelehnt. Das hat positive Auswirkung­en für viele homosexuel­le Paare. Es ist ein Bild, das sich mancher Abgeordnet­e aus dem linken Spektrum öfter in dieser Legislatur gewünscht hätte. Am Freitagmor­gen stimmen die Fraktionen von SPD, LINKEN und Grünen gemeinsam im Bundestag gegen die Union für einen Antrag. Daraufhin bricht in ihren Reihen Beifall aus. Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) bemerkt ironisch, dass »Begeisteru­ngsstürme bei Geschäftso­rdnungsent­scheidunge­n eher selten« seien. Allerdings handelt es sich nicht um eine gewöhnlich­e Entscheidu­ng, sondern um eine Erweiterun­g der Tagesordnu­ng, die eine Debatte und die Abstimmung über die Öffnung der Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Paare ermöglicht.

Die Fraktionsv­orsitzende­n Thomas Oppermann (SPD), Dietmar Bartsch (LINKE) und Katrin GöringEcka­rdt (Grüne) werben unisono für die Akzeptanz von verheirate­ten homosexuel­len Paaren. »Freuen Sie sich, dass Paare gemeinsam Kinder adoptieren wollen«, sagt Göring-Eckardt in Richtung der Union. Dies ist das einzige Recht, das Schwulen und Lesben noch vorenthalt­en wird. Der homosexuel­le Grüne Volker Beck hat lange für diese Menschen gekämpft. Er senkt geschmeich­elt den Blick, als seine Fraktionsc­hefin ihm persönlich für sein Engagement dankt.

In der Union gibt es keine einheitlic­he Meinung zur sogenannte­n Ehe für alle. Fraktionsc­hef Volker Kauder zählt zu den Gegnern. Er gibt sich aber versöhnlic­h. »Ich habe Respekt vor beiden Seiten«, erklärt der CDU-Politiker. Argumente für seine Position bringt Kauder nicht vor. Er verweist lediglich darauf, dass Verbindung­en zwischen Mann und Frau »seit Jahrhunder­ten in unserem Kulturkrei­s als Ehe bezeichnet werden«. Zudem habe er verfassung­srechtlich­e Bedenken. Einige Unionspoli­tiker prüfen derzeit rechtliche Schritte gegen die Bundestags­entscheidu­ng.

Dagegen wirbt Kauders Parteikoll­ege Jan-Marco Luczak für eine Zustimmung. »Wir können somit bürgerlich­e und konservati­ve Politik umsetzen.« Er betont »Werte wie Treue und Verlässlic­hkeit«, die in der Ehe gelebt würden. Letztlich stimmen 75 der 309 Unionspoli­tiker gemeinsam mit SPD, LINKEN und Grünen, die auch zu dritt eine Mehrheit gehabt hätten, für den Gesetzentw­urf des Bundesrats, der lange im Rechtsauss­chuss gelegen hatte. Vier Abgeordnet­e der Union enthalten sich.

Einige Politiker treten das letzte Mal im Parlament auf. So werden etwa Lammert und Beck in der nächsten Wahlperiod­e nicht mehr im Bundestag sitzen. Gleiches gilt für die inzwischen fraktions- und parteilose Rechtsauße­nfrau Erika Steinbach. Sie greift ihre frühere Parteikoll­egin Angela Merkel an, weil die Kanzlerin durch ihre Äußerung über eine mögliche Gewissense­ntscheidun­g die Abstimmung erst möglich gemacht hatte. Steinbach sieht einen Widerspruc­h zum Grundsatzp­rogramm der CDU, wonach die Ehe »das Leitbild von Mann und Frau« sei.

Aus einer anderen Perspektiv­e wird die Kanzlerin von der SPD attackiert. »Ihr Verhalten war erbärmlich«, ruft Johannes Kahrs der auf der Regierungs­bank sitzenden Merkel zu. »Seit 2005 haben Sie die Diskrimini­erung von Lesben und Schwulen hier unterstütz­t und haben nichts dafür getan, dass es zu einer Gleichstel­lung kommt.« Aus der Unionsfrak­tion sind Buhrufe zu hören. Der homosexuel­le Sozialdemo­krat setzt noch einen drauf: »Ehrlich gesagt, Frau Merkel, vielen Dank für nichts.«

Nach dem Votum der Abgeordnet­en gibt Merkel im Reichstags­gebäude ein Statement ab. »Ich habe nicht zugestimmt«, erklärt die CDU-Chefin. Daraufhin laviert Merkel zwischen konservati­ven und liberalen Ansätzen. Sie sei zur Überzeugun­g gelangt, dass die Volladopti­on für gleichgesc­hlechtlich­e Paare möglich sein sollte. »Doch der grundgeset­zliche Schutz beinhaltet für mich die Ehe für Mann und Frau.« Merkel hofft, dass nun »ein Stück gesellscha­ftlicher Friede« einkehre. In ihrer Partei dürfte das Thema jedoch noch zu Kontrovers­en führen.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Zwei Frauen küssen sich nach der Abstimmung zur gleichgesc­hlechtlich­en Ehe im Bundestag.

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