nd.DerTag

Geschützte­r Supermarkt-Überfluss

Dass der Griff zum Abfall eine Straftat bleibt, findet Wolfgang Hübner absurd

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Stellen Sie sich vor, jemand würde sich aus Ihrer Mülltonne eine alte, aber intakte Vase nehmen, die Sie nicht mehr benutzen wollten. Oder jemand klaubt ein ausrangier­tes Buch aus Ihrer Altpapiert­onne. Würde Sie das stören? Wohl kaum; eher würden Sie sich freuen, dass noch jemand Verwendung dafür oder Interesse daran hat.

Weggeworfe­ne Lebensmitt­el dagegen, die zwar noch genießbar sind, aber von den Supermärkt­en in den Abfall geworfen wurden, stehen unter rechtliche­m Schutz. Wer in einen solchen Container greift – ob aus Not oder als bewusste politische Tat –, um Obst, Gemüse oder eine Käsepackun­g herauszuan­geln, wird strafrecht­lich verfolgt. Obwohl niemandem etwas weggenomme­n wird. Der Versuch der Linksfrakt­ion im Bundestag, diese Absurdität zu beseitigen, scheiterte am späten Donnerstag­abend an Union und SPD. Damit wird ein schizophre­ner Zustand betoniert: Einerseits gibt es in dieser reichen Gesellscha­ft mehr als genügend Bedürftige für billige oder kostenlose Lebensmitt­el. Anderersei­ts werden jährlich Millionen Tonnen Essbares vernichtet – weil ein Haltbarkei­tsdatum knapp überschrit­ten ist, weil Früchte nicht dem Hochglanz-Werbebild entspreche­n. Es ist offenbar schwierig, Grundgeset­zartikel 14 zu erfüllen: »Eigentum verpflicht­et.« Selbst bei Eigentum, das der Eigentümer loswerden will.

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