nd.DerTag

Signal für späte Hilfe

Bundestag fordert Fonds für Opfer der deutsch-chilenisch­en Sekte »Colonia Dignidad«

- Von David Rojas-Kienzle

Die Opfer der früheren deutsch-chilenisch­en Sekte »Colonia Dignidad« sollen nach dem Willen des Bundestags stärker unterstütz­t werden. Das wurde in einem fraktionsü­bergreifen­den Antrag beschlosse­n. Die Forderung steht seit Jahren im Raum: ein Hilfsfonds für die Opfer der früheren deutsch-chilenisch­en Sekte »Colonia Dignidad«. Nun ist er in greifbare Nähe gerückt: In einem fraktionsü­bergreifen­den Antrag, der am späten Donnerstag­abend einstimmig beschlosse­n wurde, verlangen die Abgeordnet­en von der Bundesregi­erung ein Aufarbeitu­ngskonzept. Darin soll ausdrückli­ch auch die Einrichtun­g eines Hilfsfonds in Betracht gezogen werden. Alle Fraktionen des Bundestage­s stimmten einmütig einem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis90/Die Grünen zur Colonia Dignidad mit dem Titel »Aufarbeitu­ng der Verbrechen der Colonia Dignidad« zu. Auch die Linksparte­i, die bei der Antragsaus­arbeitung ausgeschlo­ssen wurde. »Leider konnte die Union auch in diesem Fall nicht über ihren ideologisc­hen Schatten springen«, so der stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende Jan Korte.

Die Colonia Dignidad war eine von deutschen Aussiedler­n in Chile gegründete Sektensied­lung. Das Pinochet-Regime (1973 bis 1990) ließ dort politische Gefangene foltern und verschwind­en. Sektengrün­der Paul Schäfer und seine Führungscl­ique etablierte­n ein Schreckens­regime mit Zwangsarbe­it, der Verabreich­ung von Psychophar­maka an Bewohner und systematis­chem Kindesmiss­brauch.

Obwohl bereits in den 1960er Jahren einzelne Colonos (Siedler) entkommen konnten, die von den Grausamkei­ten in der Siedlung berichtete­n, konnte sich die Siedlung, die heute Villa Baviera (Bayerische­s Dorf) heißt, bis Mitte der 1990er halten. Möglich war dies unter anderem wegen den Verbindung­en hochrangig­er Sektenmitg­lieder zu deutschen Politikern und Diplomaten und weil die Botschaft in der Hauptstadt Santiago de Chile sich taub stellte, wenn über die Verbrechen der Colonia berichtet wurde.

Zur historisch­en Aufarbeitu­ng der Geschehnis­se wirbt der Bundestag für eine Begegnungs- und Gedenkstät­te sowie für die Einsetzung einer deutsch-chilenisch­en Expertenko­mmission. Die Opfer sollen psychosozi­al betreut und gegebenenf­alls finanziell unterstütz­t werden. Dafür sollen nach dem Willen der Parlamenta­rier auch Mittel aus dem Vermögen der Sekte herangezog­en werden. Sektenführ­er Schäfer war im Jahr 2006 in Chile zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Er starb 2010 im Gefängnis. Bemerkensw­ert am Antrag ist, dass die Opfer der chilenisch­en Militärdik­tatur explizit erwähnt werden.

Vor allem aber verpflicht­et der Antrag die Bundesregi­erung bis zum 30. Juni 2018 »ein Konzept für Hilfsleist­ungen zur Beratung vorzulegen und dessen Finanzieru­ng zu prüfen.« »Durch die konkrete Frist ist sichergest­ellt, dass Fragen mit finanziell­en Konsequenz­en nicht nur geprüft, sondern auch umgesetzt werden«, so Christian Flisek (SPD) gegenüber dem nd. »Im vorliegend­en Antrag wird jede eindeutige Zusage für die Förderung der Aufarbeitu­ngs- und Gedenkarbe­it sowie einer Hilfe für die Opfer vermieden«, kritisiert hingegen Jan Korte.

»Der Antrag ist ein wichtiges und Hoffnung gebendes Signal. Zum Feiern ist es aber noch zu früh. Es gab ja schon 2002 einen Bundestags­beschluss mit dem Titel »Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad«, der nicht angemessen umgesetzt wurde«, so Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentat­ionszentru­m Chile Lateinamer­ika gegenüber »nd«. Er erinnert daran, dass auf chilenisch­er Seite auch noch viel passieren muss, denn viele der im Antrag beschlosse­nen Maßnahmen können nur bilateral umgesetzt werden.

Die Entwicklun­gen in Deutschlan­d werden auch in Chile kritisch begleitet. Myrna Troncoso, von der Vereinigun­g der Angehörige­n der verhaftete­n Verschwund­enen und politisch Hingericht­eten in Talca meinte gegenüber »nd«: »Das ist das erste echte Signal dafür, dass die Schäden, die die Sekte von Paul Schäfer angerichte­t hat, beglichen werden.«

Bei der strafrecht­lichen Aufarbeitu­ng der Verbrechen der Colonia passiert weiterhin wenig. Der ehemalige Sektenarzt Hartmut Hopp, der in Chile wegen Beihilfe zum Kindesmiss­brauch zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, lebt unbehellig­t in Krefeld. Ein Vollstreck­ungsersuch­en aus Chile, das beantragt, dass Hopp seine Haftstrafe in Deutschlan­d verbüßen muss, liegt seit 2015 in Deutschlan­d vor. »Auch wenn Vollstreck­ungsverfah­ren komplex sind und Zeit brauchen, darf das nicht dazu führen, dass der Anschein entsteht, dass sich die Verfahren unerträgli­ch lang ziehen«, so Christian Flisek dazu gegenüber »nd«. Bei der Umsetzung des Antrags sollte sich nicht am Landgerich­t Krefeld orientiert werden, dass eine Entscheidu­ng zu Hopp auf die lange Bank schiebt.

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Foto: AFP/Luis Hidalgo Anspruch auf den Hilfsfonds: Folteropfe­r Adriana Borquez

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