Borat und die Gegenpropaganda
Oliver Stones »The Putin Interviews« und die anti-russischen Kampagnen in den USA
Omran und Bana sind wieder da: Die beiden wohl prominentesten Hauptdarsteller westlich-islamistischer Kinderpropaganda aus Syrien spielten dieser Tage wieder eine Rolle. Derweil redeten sich am Donnerstag in den USA CNN-Mitarbeiter vor den versteckten Kameras der umstrittenen rechten News-GuerillaTruppe »Project Veritas« mutmaßlich um Kopf und Kragen – und beides fügt sich ein in die laufende Debatte über die Putin-Interviews des US-Regisseurs Oliver Stone: Es war eine Woche der besonders intensiven Wechselbäder von Propaganda und Gegen- propaganda um Wladimir Putin, um das von ihm regierte Russland, dessen Rolle in Syrien und die behaupteten russischen Einmischungen in die US-Politik.
»Das ist eine organisierte Hasswoche. Wie von einem Ministerium für Wahrheit organisiert«, sagte Stone zu den medialen (Über-)Reaktionen auf seinen vierstündigen Gesprächsmarathon mit Putin. Erwartungsgemäß droschen weite Teile der internationalen westlichen Presse von »New York Times« über »Bild« oder »Reuters« bis zu eigentlich intelligenten Einzelstimmen wie Steven Colbert auf Stone ein, als hätte dieser Putin eine amerikanische Kapitulationsurkunde überreicht. Der Tenor: Eigentlich sollte überhaupt niemand mit Putin reden, weil das die antirussische Heimatfront demoralisiert, und wenn, dann nur in einem Rahmen, der den »Metzger und Gangster« (John McCain über Putin) auf seinen Platz in der politischen Verdammnis verweist. Das tut Stone nicht. Er tut das Gegenteil und das ist inhaltlich zum Teil sehr fragwürdig und ästhetisch zum Teil unerträglich – unterm Strich aber ist es sehr interessant. Außerdem ist es ein weites Feld zwischen der Kritik an einer irrationalen Hass-Kampagne gegen Russland und naiver Bewunderung für Putin.
Oliver Stone hat seinen Film nicht im luftleeren Raum gemacht, man muss ihn im Zusammenhang mit den hier eingangs erwähnten Medienphänomenen betrachten. Die Interviews richten sich an ein US-Publikum, das (noch stärker als das deutsche) von einer täglich aufgefrischten antirussischen Propaganda umgeben ist. Die Substanzlosigkeit dieser Medienkampagnen haben gerade die CNN-Mitarbeiter John Bonifield und Van Jones bei Lauschangriffen preisgegeben – scheinbar, denn »Project Veritas« ist alles andere als ein glaubwürdiges »Medium«. Wenn sie aber authentisch sind (und diesen Eindruck machen sie), dann sind die Videos schockierend. CNN spielt wie kaum ein anderer US-Sender die antirussische Karte und füttert täglich aufs Neue eine gefährliche Hysterie. »Veritas« zeigt nun Bonifield und Jones, wie sie vertraulich sagen, die »ganze Russengeschichte« sei »nichts als heiße Luft«, es gäbe keine Beweise, Präsident Trump hätte Recht mit dem Begriff »Hexenjagd«, CNN würde die Geschichte aber zynisch und »wegen der Quoten« weitertreiben – und CNN-Chef Jeff Zucker würde in Redaktionssitzungen persönlich verfügen, dass andere Themen zuguns- ten von »Russia-Gate« abgewürgt werden.
Wie fast alle anderen westlichen Medien missbrauchte auch CNN das Schicksal des wehrlosen verletzten syrischen Jungen Omran, der im stylischen Orange eines Krankenwagens fixiert wurde, für bodenlose antirussische Propaganda. Dass sich dieser Tage Omrans Eltern gemeldet haben und den beteiligten Medien schwere Manipulationsvorwürfe machen, wird dann nicht mehr berichtet. Lieber wählte das »Time Magazine« das »Twitter-Mädchen« Bana aus Aleppo gerade zu einer der »wichtigsten Personen des Internets«. Dass Banas Geschichte extrem dubios erscheint, ruft keine mediale Skepsis hervor – ebenso wenig wie die ähnlich dubiosen »White Helmets«, die »InvestigativPlattform« Bellingcat oder die »Syrische Stelle für Menschenrechte«.
Man kann die Machart von Stones Film nur innerhalb dieser kaltschnäuzig organisierten und auf diskreditierten Quellen basierenden russenfeindlichen Hysterie verstehen. Hier sah der Regisseur offensichtlich dringenden Bedarf an Gegenpropaganda. Das kaschiert Stone auch gar nicht. Das Prinzip hat er schon bei seinen Filmen über die im Westen zu Teufeln stilisierten Staatsmänner Fidel Castro und Hugo Chávez angewandt. Er tritt Putin mit offener Freundlichkeit – Kritiker würden sagen: mit Opportunismus – gegenüber.
Für den vierteiligen Film führte Stone zwischen 2015 und 2017 zwan- zig Stunden Interviews an diversen Locations: in Kreml-Prunksälen, im Präsidenten-Jet, im Garten. Es ist tatsächlich die ganz große TV-Bühne für Putin. Unterbrochen werden die Gespräche immer wieder mit »historischen« Nachrichtenaufnahmen. Los geht es aber mit einem Bombast-Intro in blutroter Sowjet-Ästhetik. Und dann setzt ein Musikteppich ein, der teilweise auch dann noch dramatisch brodelt, wenn Putin redet.
Chronologisch arbeiten sich die beiden von den 1990er Jahren bis in die Gegenwart vor: Jelzin, Oligarchen-Terror, Staatskollaps, Syrien, Ukraine, Schwule, Putin als Premier, Präsident, Judokämpfer. An einer Stelle wird es unfreiwillig komisch: Stone zählt eine lange Reihe von Putins Verdiensten bei der Konsolidierung der russischen Gesellschaft auf – im Anschluss erwartet man dann die Frage: »Ehrenwerter Putin. Wie können Sie nur so sagenhaft erfolgreich sein?«
Der Film zeigt Triviales (Putins Schnack mit Castro über Attentate), Groteskes (Putin und Stone schauen gemeinsam »Dr. Seltsam«) und Dramatisches (Putins Kampf gegen Oligarchen). Der Vorwurf, die »amerikanischen Partner« würden den Terror fördern, erscheint brutal offen. Welche Ziele die USA aber Putins Meinung nach »tatsächlich verfolgen«, will er erst »in Rente« verraten.
Stone nutzt auch das Prinzip Borat: Durch eine geistig betont schlichte Kumpelhaftigkeit verführt er Putin zu hanebüchenen Äußerungen über Schwule – oder Frauen: »Ich habe keine schlechten Tage, ich bin ja keine Frau.« Stone darauf, fast schon triumphierend: »Sie haben gerade die Hälfte Ihres Publikums beleidigt!«
Die irritierende Emotionalisierung durch Stone erinnert an den US-Do- kumentarfilmer Michael Moore. Auch dessen Filme waren – trotz ihrer phänomenalen, auch positiven Wirkung – in ihrer parolenhaften Flachheit für europäische Augen schwer zu ertragen. Aber trotz aller (auch berechtigten) Kritik: Wer Putin besser verstehen will, sollte »The Putin Interviews« anschauen – mit Putin infizieren wird man sich schon nicht.