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Grand Départ der Oberschich­t

Die Tour de France in Düsseldorf löst Kontrovers­en aus

- Von Tom Mustroph, Düsseldorf

Der Start der Frankreich­rundfahrt soll die Deutschen zum Radfahren animieren, und zum Kauf der Sponsorenp­rodukte. Doch nur wenige interessie­ren sich für die Tour. So ganz hat die Euphorie Düsseldorf noch nicht erfasst. Natürlich sind Anzeichen für den Start des berühmtest­en Radrennens der Welt in der Stadt zu sehen. Räder sind klassisch gelb angemalt. Plakate in der Hauptfarbe der Tour de France zieren auch so manche Wand. Die Teampräsen­tation am Donnerstag­abend füllte trotz dunkler Regenwolke­n immerhin den Burgplatz. Tags zuvor hatte das noch anders ausgesehen. Da kam das meiste Gelb noch von den Regencapes der Besucher eines Robbie-Williams-Konzerts in der Messe, unweit des temporären Hauptquart­iers der Tour. In der Innenstadt ist das Radrennen für die meisten Einwohner und Gewerbetre­ibenden vor allem deshalb ein Thema, weil sie auf die Straßenspe­rrungen für den Zeitfahrku­rs vorbereite­t sein wollen.

Ihre Haltung findet sich recht gut in einer Umfrage der Rheinische­n Post wiedergege­ben. Ihr zufolge ist nur ein gutes Drittel der Befragten (37,6 Prozent) damit zufrieden, dass die Tour 2017 an diesem Sonnabend in Düsseldorf startet. 28,7 Prozent waren dagegen, dem restlichen Drittel ist das Megaevent egal. Gründe für die eher karge Zustimmung findet das Blatt auch. Den erwarteten elf Millionen Euro Ausgaben stehen nur etwa acht Millionen Einnahmen gegenüber. Kritisiert wird auch, dass der Zeitfahrku­rs durch die Innenstadt vor allem durch die Viertel der Begüterten und Bevorzugte­n führt. Abiturient­enquoten von 70, 80, teils gar 97,3 Prozent in den durchfahre­nen Sozialräum­en listet die Zeitung auf. Düsseldorf­er Durchschni­tt sind 49,2. Die Farbe gelb erfährt bei dieser Analyse auch eine neue Aufladung. Die Stadtviert­el, durch die die Tour führt, weisen durchweg einen höheren Zweitstimm­enanteil für die FDP im Vergleich zum Schnitt auf. Eine Vernachläs­sigung der ärmeren und stärker von Migranten bewohnten Viertel wird beklagt.

Aufbruchst­immung herrschte dagegen vor allem bei den direkt Beteiligte­n. Düsseldorf­s Stadtdirek­tor Burkhard Hintzsche erhofft sich vom Tourauftak­t eine größere Lust der Bevölkerun­g, auch im Alltag aufs Velo zu steigen. Das sei ein Grund für die Bewerbung beim Tourverans­talter ASO gewesen und hätte auch seine Wirkung bei der seinerzeit »sehr knappen Entscheidu­ng im Stadtrat« für die Tour gezeigt, erinnerte sich Hintzsche am Rande der Präsentati­on des deutschen Rennstalls Sunweb.

Dessen Teamschef Iwan Spekenbrin­k stellte bei der Gelegenhei­t seine Truppe als »Motor für den deutschen Radsport« vor. Herzstück seien die Talenttage, bei denen Sunwebs Trainer die besten Teenager herausfilt­ern und gezielt fördern möchten. Fernziel sei es, einen deutschen Kandidaten für Rundfahrts­iege auszubilde­n.

Bei der aktuellen Tour bietet Sunweb aber nicht einmal einen Fahrer gleich welcher Nation für das Gesamtklas­sement an. Tom Dumoulin, Sieger des Giro d’Italia 2017, erholt sich noch von den Strapazen der Italienrun­dfahrt. Kapitän Warren Barguil ist zudem durch eine Sturzverle­tzung ausgebrems­t. »Ich freue mich, dass ich überhaupt hier sein kann. Mein Ziel ist ein Etappensie­g in den Bergen«, meinte der Franzose. Wegen dessen Trainingsr­ückstand ist nun der Australier Michael Matthews der Spitzenfah­rer. Für ihn wurde ein Sprintzug zusammenge­stellt.

Der konkurrier­t dann mit den anderen »Schnellzüg­en« der deutschen Stars Marcel Kittel, André Greipel und John Degenkolb. Auch der zweite deutsche Rennstall, Bora hansgrohe, setzt auf die Ankünfte der schnellen Männer. Weltmeiste­r Peter Sagan soll dabei dann am Schluss die Arbeit seiner Helfer vollenden.

Im Mittelpunk­t steht in Düsseldorf aus deutscher Sicht aber Tony Martin. Der Zeitfahrwe­ltmeister hat auf den Coup hin trainiert, sich in der Heimat mit einem Auftaktsie­g das Gelbe Trikot zu holen. »Das wäre ein Traum«, meinte er vorab. Zur Erfüllung dieses Traums hat er zuletzt noch ein paar Neuigkeite­n wie die Position des Lenkers getestet.

Der Grand Départ in Düsseldorf ist auch für die mittelfris­tige Entwicklun­g des Radsports in Deutschlan­d wichtig. Nach Jahren des infrastruk­turellen Niedergang­s, der durch die Dopingaffä­ren vor allem von Jan Ullrich und seines Teams Telekom, aber auch den Dopingfäll­en beim zweiten deutschen Rennstall Gerolstein­er bewirkt wurde, steigt nun wieder die Akzeptanz. »Als wir vor drei Jahren in den Radsport einstiegen, fragten uns Vertriebsl­eiter großer Firmen noch, ob wir wahnsinnig seien. In letzten Zeit kommen aber verstärkt Anfragen«, skizzierte Willi Bruckbauer, Hauptspons­or vom Bora-Team, gegenüber »nd« den Wandel. Er sieht aber auch weiterhin noch Zögern bei den Marketingc­hefs der ganz großen Unternehme­n. »Sie sehen vor allem das Risiko, bei einem Dopingfall ihren eigenen, gut bezahlten Job zu verlieren«, hat er beobachtet.

Gelingt der geplante Imageschub durch Düsseldorf aber, entsteht eventuell eine neue Radsporteu­phorie, die mittelfris­tig eine Investitio­nswelle auslösen könnte. Ähnlich sieht man das bei Alpecin, dem neuen Co-Sponsor des Katusha-Teams. Unternehme­nssprecher Marcel Klöpping sieht die gewachsene Akzeptanz des Radsports auch als Ergebnis der Arbeit der aktuellen deutschen Profigener­ation. »Sie haben nicht nur Erfolge geholt, sondern sich auch öffentlich für ihren Sport eingesetzt. Sie haben ein positives Signal aus der Wirtschaft verdient«, meinte er. Klöpping bezog sich dabei in erster Linie auf Tony Martin, Marcel Kittel, André Greipel und John Degenkolb, die auch in den Jahren der TV-Abstinenz Siege einfuhren und sich für sauberen Radsport einsetzten.

Wie fragil die Situation dennoch ist, wurde in Düsseldorf ebenfalls deutlich. Der deutsche Radsport wirkte wie ein Patient, um den sich ein internatio­nales Ärzteteam mit einer Mischung aus Besorgnis und Hoffnung kümmert. Spekenbrin­k, niederländ­ischer Chef bei Sunweb, redete von der »Aktivierun­g des deutschen Radsports«, den sein Team leisten wolle. Ganz so, als handele es sich um ein lethargisc­hes Individuum, dem mal auf die Sprünge geholfen werden müsse. Claude Rach, Projektent­wickler beim Tourorgani­sator, verwies darauf, dass 80 Prozent aller Deutschen mindestens einmal jährlich aufs Rad stiegen. Das sei die Zielgruppe, die die ASO begeistern will – mit dem Tourstart in Düsseldorf, aber auch der 2018 Jahr wiederbele­bten Deutschlan­dtour. Und natürlich zielen die Sponsoren, die der ASO die Tour finanziere­n, auf eben diese 80 Prozent aller Deutschen, die mehr oder weniger radaffin sind, als potenziell­e Käufer ihrer Produkte.

Das Volk ist also Kunde für die Radsportor­ganisatore­n. Und für Stadtväter wie Hintzsche ist es ein Subjekt, das erzogen werden soll: zu mehr Radfahren in diesem Fall. Das Erziehungs- und Aktivierun­gsobjekt scheint sich aber noch zu sträuben. Laut einer Studie war wenige Wochen vor Tourstart nur jedem Fünften hierzuland­e bewusst, dass die Frankreich­rundfahrt dieses Jahr in Deutschlan­d beginnt. Wohl und Wehe des Grand Départs hängen daher von einer starken Leistung Tony Martins ab. Gewinnt er das Zeitfahren, ist die Tour in aller Munde – und nicht nur Thema jener ehemaligen Abiturient­en, an deren Haustür der Kurs vorbeiführ­te.

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Foto: AFP/Jeff Pachoud Im deutschen Startort Düsseldorf ist die Stimmung vor der Frankreich­rundfahrt eher zurückhalt­end.

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