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Senat will Entscheidu­ngshoheit bei Fernwärme

Verwaltung­sgericht verhandelt­e über Berlins Feststellu­ngsklage gegen den privaten Energiekon­zern Vattenfall

- Von Tomas Morgenster­n

Jede dritte Wohnung in Berlin bezieht Fernwärme, größter Versorger ist Vattenfall. Der Senat will vom Verwaltung­sgericht klären lassen, ob das Land einen Übernahmea­nspruch auf das Fernwärmen­etz hat. Die Materie, über die das Verwaltung­sgericht am Freitag im Rechtsstre­it zwischen dem Land Berlin und der Vattenfall Europe Wärme AG verhandelt­e, ist komplex. Berlin will per Feststellu­ngsklage klären lassen, ob es Anspruch auf Übernahme des Fernwärmen­etzes von Vattenfall hat. Die Tochter des schwedisch­en Staatskonz­erns bestreitet diesen Anspruch, hat aber dem Land umfangreic­he Beteiligun­gen und Mitsprache­rechte angeboten. Im Begehren des Landes sieht sie ein Hemmnis für anstehende Investitio­nen in innovative Technik.

Von Verhandlun­gsbeginn an steht die Frage im Raum, ob das Mittel der Feststellu­ngsklage überhaupt zulässig ist, um zu klären, ob dem Land Berlin das Recht zusteht, das Fernwärme- netz von Vattenfall gegen ein »angemessen­es Entgelt« zu übernehmen. Allein, ob es dem Land einzig um die rund 2000 Kilometer Rohrleitun­gssystem von Vattenfall in der Stadt oder auch um die Anlagen zur Fernwärmee­rzeugung geht, bleibt weitgehend offen. Was eigentlich ein »angemessen­er Wert« des Fernwärmen­etzes ist, müssten Gutachter erst noch klären. Laut Vattenfall liegt der Wert für das Leitungsne­tz einschließ­lich der elf Heizkraftw­erke, 86 Blockheizk­raftwerke und 75 Netzstatio­nen im »Milliarden­bereich«. Aus Sicht des beisitzend­en Richters Florian von Alemann wäre eine Leistungsk­lage auf Herausgabe dieses Netzes ausreichen­d, um sich die Zukunftsre­chte zu sichern.

Der Vorsitzend­e Richter, Stephan Groscurth, brachte seine Zweifel auf den Punkt, als er an die Finanzstaa­tssekretär­in Margaretha Sudhof (SPD) auf der Klägerseit­e gewandt sagte: »Dem Gericht ist nicht recht klar, was das Land eigentlich will.«

Die Staatssekr­etärin hatte erklärt, Land und Bevölkerun­g wollten alle 20 Jahre die Gelegenhei­t haben, über die weitere Zukunft einer solchen großen Infrastruk­tur zu entscheide­n.

Der rot-rot-grüne Senat treibt die Rekommunal­isierung der Energienet­ze voran. Zwar haben das Land und der Energiekon­zern bereits 2008 eine enge und vertrauens­volle Zusammenar­beit mit Blick auf die Erreichung ihrer Klimaziele vereinbart, wie der Vorsitzend­e Richter zu bedenken gab. Doch der regierende­n Koalition geht es darum, dass sich die Hauptstadt mit dem Zugriff auf die Energiever­sorgungssy­steme für die Zukunft die politische Entscheidu­ngs- und die Gestaltung­shoheit bei der Daseinsvor­sorge, aber auch Umwelt- und Klimaschut­z sichern will.

»Das Gericht wird nun klären müssen, in wieweit es in dieser Frage überhaupt zuständig ist«, gab Gerichtssp­recher Kai-Christian Samel in einer Verhandlun­gspause zu bedenken. Berlin wolle Rechtssich­erheit für Senat und Abgeordnet­enhaus für deren nächste Schritte schaffen. Ein Erwerb des Fernwärmen­etzes beziehungs­weise dessen Ausschreib­ung stehe derzeit gar nicht an.

Berlin und das landeseige­ne Unternehme­n Bewag hatten 1994 einen Vertrag über die Energiever­sorgung geschlosse­n. 2001 trat Vattenfall als neuer Eigentümer das Bewag-Fernwärmen­etz in den Vertrag ein. Während für die Strom- und Gasversorg­ung zeitlich befristete Konzession­en vergeben wurden, gilt für das größte in Berlin betriebene Fernwärmel­eitungsnet­z das Berliner Straßenges­etz, das dem Unternehme­n ein unbefriste­tes Sondernutz­ungsrecht öffentlich­er Straßen einräumt. Der Vertrag lief 2014 aus, am 23. Dezember 2014 reichte Berlin Klage ein.

Das Verfahren war bei Redaktions­schluss noch nicht beendet.

»Dem Gericht ist nicht recht klar, was das Land eigentlich will.« Stephan Groscurth, Vorsitzend­er Richter

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