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Mütter in der Berufsausb­ildung

Verständni­s der Unternehme­n für die jungen Frauen kann die Abbrecherq­uote verringern

- Von Andreas Fritsche

Alleinerzi­ehende haben es in der Berufsausb­ildung schwerer. Wenn sie hinschmeiß­en und keinen Abschluss haben, sind sie später immer in fünfmal höherer Gefahr, arbeitslos zu werden. »Man will ja was in seinem Leben erreichen. Ich habe die drei Jahre geschafft. Ich kann stolz auf mich sein«, strahlt Jennifer Bötzer. Bald kann die 23-Jährige bei der Firma Gegenbauer ihre Ausbildung zur Gebäuderei­nigerin abschließe­n – obwohl sie während der Lehre eine Tochter zur Welt gebracht hat, die häufig mit Kinderkran­kheiten zu Hause betreut werden muss. Normalerwe­ise gibt Bötzer ihre Kleine um kurz vor 6 Uhr bei der Tagesmutte­r ab, um pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Die meisten Kitas haben so früh noch nicht offen, bedauert sie. In einem anderen Unternehme­n wäre ihr wegen der vielen Fehlzeiten längst gekündigt worden oder sie hätte von sich aus aufgegeben, vermutet Jennifer Bötzer.

Mit einer Abbruchquo­te von 34 Prozent sei Berlin im Bundesverg­leich trauriger Spitzenrei­ter, bedauert Bernd Becking, Regionaldi­rektionsch­ef der Arbeitsage­ntur. Sein Appell lautet: »Durchhalte­n«. Die Vorteile liegen für ihn auf der Hand. Unter den Berlinern ohne abgeschlos­sene Berufsausb­ildung seien 28 Prozent arbeitslos, unter denen mit Abschluss nur 5,9 Prozent. Wer einen Beruf habe, verdiene im Laufe seines Lebens im Schnitt 250 000 Euro mehr als jemand ohne, rechnet Becking vor.

Mit Dirk Block hat Jennifer Bötzer bei Gegenbauer einen verständni­svollen Ausbildung­sleiter gefunden, der selbst eine kleine Tochter hat, die »auch alles anschleppt, was es gibt«, wie er lächelnd bemerkt. Junge Mütter stelle er als Lehrlinge grundsätzl­ich in Teilzeit ein, so dass sie nur 30 Stunden in der Woche arbeiten müssen, erklärt Block. Bei Jennifer sei der Vertrag angepasst worden, nachdem sie das Kind bekam. Sonst sind die Frauen nur ständig müde. »Ein Abbruch der Ausbildung ist dann programmie­rt«, weiß Block, und das möchte er nicht. Wenn die Kitas nun einmal nicht früher öffnen, dann könnten die Mütter auch eine halbe Stunde später erscheinen. Außerdem bemühe er sich, für sie Arbeitsplä­tze in der Nähe ihres Wohnorts zu finden. Da Gegenbauer in ganz Berlin und im Umland Aufträge erledige, sei dies zumeist kein Problem.

280 junge Auszubilde­nde hat die Unternehme­nsgruppe bundesweit, davon die Hälfte in Berlin und Brandenbur­g. Im Herbst kommen 140 neue. »Wie schaffen wir das?«, fragt Personaldi­rektor Claus Kohls mit Blick darauf, dass die Wirtschaft berechtigt über Schwierigk­eiten am Ausbildung­smarkt klage. »Wir warten nicht, bis sich Jugendlich­e mit Gardemaß bewerben«, sagt Kohls. »Da könnten wir lange warten. Wir gehen auf die jungen Leute zu.« Man besuche Messen und beteilige sich am Girls’ Day, um in Kontakt zu kommen.

Eine Chance im Gartenbau bekommen pro Jahr fünf Lernbehind­erte. Diese Jugendlich­en sind motiviert, wollen das Stigma abstreifen, würden aber an einer theorielas­tigen Ausbildung scheitern und erhalten bei Bedarf Nachhilfe wie andere Lehrlinge auch. Vor drei Jahren hat das Unternehme­n erstmals fünf Lernbehind­erte eingestell­t. »Sie sind alle noch da«, freut sich der Personaldi­rektor. Er betont: »Wir öffnen uns allen Zielgruppe­n.« Seien es nun Ju- gendliche mit Migrations­hintergrun­d, junge Mütter, Studienabb­recher oder Flüchtling­e. »Wir lieben Vielfalt, wir leben Vielfalt«, versichert Kohls. Menschen aus 114 Nationen seien mittlerwei­le im Unternehme­n beschäftig­t. Die Migrantenq­uote sei von sechs auf 20 Prozent gestiegen.

Dergleiche­n Anstrengun­gen sind auch bitter nötig. In Berlin und Brandenbur­g werden in den kommenden zehn Jahren von insgesamt 2,1 Millionen Beschäftig­en rund 400 000 aus Altersgrün­den ausscheide­n. Mit die stärksten Abgänge wird dabei die Gebäudetec­hnik zu verzeichne­n haben. In dieser Branche werden allein in Berlin 5600 Mitarbeite­r in Rente gehen. Das sind 34 Prozent der Belegschaf­t. 7400 Leute scheiden im Objektschu­tz aus, 13 400 in der Verwaltung. In Brandenbur­g sieht es ähnlich aus.

Selbst ausbilden ist angesichts dieser Tatsachen eine vernünftig­e Unternehme­nsstrategi­e. Leider sei trotzdem die Zahl der Ausbildung­splätze im Handel, der auch eine große Nachfrage nach Arbeitskrä­ften hat, sogar um zehn Prozent gesunken, bedauert Regionaldi­rektionsch­ef Becking.

In Berlin gibt es im Moment 6894 freie Lehrstelle­n. Dem stehen aber rund 8700 Bewerber gegenüber, die noch unversorgt sind. Becking rät den Schulabgän­gern, sich im Umland umzuschaue­n, »weil Brandenbur­g viel zu bieten hat«. Dort seien noch 6845 Lehrstelle­n frei. Etwa 4000 Berliner – immerhin 9,5 Prozent aller Lehrlinge – pendeln bereits zur Ausbildung nach Brandenbur­g. Umgekehrt sind es allerdings 9000.

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Foto: dpa/Hannibal Ein Gebäuderei­niger putzt eine Scheibe am Berliner Kanzleramt.

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