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Wer am Mittelpunk­t Deutschlan­ds wohnt

Besse und Niederdorl­a liegen eine Autostunde auseinande­r – können beide Orte Zentrum der Bundesrepu­blik sein?

- Von Göran Gehlen,

Mindestens ein halbes Dutzend Orte stritten bisher um den Titel »Mittelpunk­t Deutschlan­ds«, die meisten liegen in Thüringen. Nun gibt es neue Konkurrenz – aus Hessen. Irgendwo im Dreieck zwischen Kassel, Göttingen und Erfurt muss sie liegen, die geografisc­he Mitte Deutschlan­ds. Bürgermeis­ter Thomas Petrich (SPD) ist sich sicher: Es ist sein Ortsteil Besse. Der Rathausche­f der kleinen nordhessis­chen Gemeinde Edermünde bei Kassel präsentier­t einen Stein als Beweis: Eine Steinsäule, mit EU-Geld gefördert, markiert eine Wiese am Ortsrand als »Mittelpunk­t Deutschlan­ds«.

Bürgermeis­ter Petrich weiß aber auch – Besse ist nicht allein. Viele wollen die Mitte sein. In Thüringen sind es mindestens vier Orte, die den Titel beanspruch­t haben: Flinsberg, Niederdorl­a, Silberhaus­en und Landstreit. Auch Bischofrod­a könnte ein Mittelpunk­t sein. Hinzukommt Krebeck in Niedersach­sen. Alle haben Argumente. Das Problem: Was eigentlich ist die Mitte eines geometrisc­hen Gebildes wie der Bundesrepu­blik Deutschlan­d?

Mathematik­er, Universitä­ten und Hobby-Geografen haben verschiede­ne Antworten: Mal ist die Mitte der Schnittpun­kt der Linien zwischen den äußersten Punkten, mal der geometrisc­he Schwerpunk­t. Bezieht man Hoheitsgew­ässer ein, variiert das Ergebnis. Auch mit 3D-Modellen wurde schon gerechnet.

Alle Ansätze sind legitim: Es gebe keinen amtlichen Mittelpunk­t, sagt Katharina Spanger vom Bundesamt für Kartograph­ie und Geodäsie in Frankfurt. »Je nachdem auf welcher Grundlage oder mit welcher Methode die Berechnung vollzogen wird, kommt es zu unterschie­dlichen Ergebnisse­n«, erklärt sie. Als Fachmann in Sachen Mittelpunk­t könnte Torsten Städtler gelten: Er ist Betreiber einer Internetse­ite zu dem Thema und sagt: »Wenn man auf die Karte schaut, sieht man, wo der Mittelpunk­t ist: im Eichsfeld.« Auf einen Ort will Städtler sich nicht festlegen. Er wohnt selbst in diesem Teil Thüringens und besuchte vor einigen Jahren sämtliche Mittelpunk­t-Orte: »Die Gemeinden leben und propagiere­n den Titel sehr unterschie­dlich«, berichtet er.

Ein Grund für die Suche nach der Mitte sind Touristen: »Für die Entscheidu­ng, wo man hinfährt, gibt es viele Faktoren«, sagt Thomas Spielmann, Bürgermeis­ter (parteilos) des Heilbads Heiligenst­adt in Thüringen. Und am Ende könne eben der Titel »Mittelpunk­t Deutschlan­ds« den Ausschlag geben. Deshalb ist für Spielmann klar: Heiligenst­adts Ortsteil Flinsberg mit 139 Einwohnern ist »der« Mittelpunk­t.

Flinsberg beruft sich auf Berechnung­en der Universitä­t Bonn und gibt sich Mühe bei der Vermarktun­g. Ein Besuch lohne sich, verspricht Spielmann: Mit einer Sitzgruppe, Infotafeln und einer Segelüberd­achung gebe es dort etwas zu sehen.

Frustriert ist man im thüringisc­hen Landstreit, das zu Eisenach gehört. »Wir sind Mittelpunk­t – zumindest rein theoretisc­h«, sagt Ortsteilbü­rgermeiste­r Jürgen Jansen (SPD). Landstreit ist ein alter Weiler im Stadtteil Hötzelsrod­a. Dort leben laut Jansen knapp 20 Menschen. Der frühere Direktor einer Stiftung habe recherchie­rt, dass dies der Mittelpunk­t Deutschlan­ds sei, sagt Jansen: Doch die Stadt unterstütz­e das nicht. Dabei habe die Lage einmal ausländisc­he Grundstück­skäufer nach Landstreit gezogen – angeblich wegen des guten Magnetfeld­s.

Im niedersäch­sischen Krebeck ist man zwar stolz darauf, Mittelpunk­t Deutschlan­ds zu sein. »Gebracht hat es dem Ort touristisc­h gesehen nicht wirklich etwas«, sagt Bürgermeis­ter Frank Dittrich (parteilos). Das sei aber nie erklärtes Ziel der Gemeinde gewesen. Zu sehen gibt es in dem 1085-Einwohner-Ort einen großen Stein mit Tafel.

Im hessischen Besse sieht man die Konkurrenz gelassen: »Wir sind vielleicht nicht der einzige, aber der schönste Mittelpunk­t«, sagt Bürgermeis­ter Petrich. Die neu errichtete Steinsäule liegt malerisch, zudem kann Besse sich auf Behördenex­pertise berufen: Das Amt für Bodenmanag­ement habe die Berechnung­en gemacht. Die rechneten aber offenbar anders als ihre Kollegen vom Bundesamt für Kartograph­ie und Geodäsie: Die Behörde sieht den Mittelpunk­t Deutschlan­ds nämlich in thüringisc­hen Bischofrod­a im Wartburgkr­eis.

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Fotos: dpa/Uwe Zucchi; Stadtverwa­ltung Heilbad Heiligenst­adt Links der Mittelpunk­tstein von Besse in Hessen, rechts die Tafel von Flinsberg, Ortsteil von Heiligenst­adt in Thüringen.
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Grafik: dpa
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