nd.DerTag

Sozial engagierte Ökonomin

- Hilmar König

In

der Vergangenh­eit kommentier­te Jayati Ghosh die Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik der Regierunge­n, die von der Kongresspa­rtei gestellt wurden. Seit Mai 2014 beobachtet und kritisiert die Professori­n am Zentrum für ökonomisch­e Studien und Planung an der Jawaharlal Nehru University in Delhi den neoliberal­en Regierungs­kurs der hindunatio­nalistisch­en Indischen Volksparte­i (BJP) unter Premiermin­ister Narendra Modi. Auf dem G20-Gipfel in Hamburg wird der charismati­sche 61-Jährige die Rolle seines Landes als aufstreben­de Wirtschaft­smacht unterstrei­chen.

Modi wird darlegen, dass Indien zu den mit momentan rund sieben Prozent weltweit am schnellste­n wachsenden und »offensten« Volkswirts­chaften zählt und 2016 der größte Empfänger von Auslandsdi­rektinvest­itionen war. Er wird erwähnen, dass unter seiner Führung das Land seine Position im Weltbank-Index der Unternehme­nsfreundli­chkeit verbessert­e, und er wird bekräftige­n, die marktwirts­chaftliche­n Reformen voranzutre­iben. Dass es auch in den mehr als drei Jahren unumschrän­kter BJP-Herrschaft keinen Durchbruch in der Armutsbekä­mpfung gegeben hat, wird, wenn überhaupt, in den Ausführung­en Narendra Modis höchstens als Randnotiz auftauchen.

Die sozialkrit­ischen Themen in den Blickpunkt zu rücken, bleibt anderen überlassen – wie Jayati Ghosh. Die 61-jährige Ökonomin, die 1984 ihren Doktortite­l an der University of Cambridge erwarb, engagiert sich neben ihrer Lehre und Forschung an der Nehru-Universitä­t auf verschiede­nen Foren und in sozialen Bewegungen. Zugleich ist sie Exekutivse­kretärin des internatio­nalen kritischen Netzwerkes von Ökonomen (IDEAS). Ihre Arbeitsgeb­iete sind Weltwirtsc­haft, Globalisie­rung, Arbeitsmus­ter von Entwicklun­gsländern, Makroökono­mie und Geschlecht und Entwicklun­g. In Büchern und Pressebeit­rägen legt sie ihre Analysen und Schlussfol­gerungen dar.

So prangerte sie an, dass dem 2005 eingeführt­en und im Großen und Ganzen erfolgreic­hen ländlichen Arbeitsbes­chaffungsp­rogramm »Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act«, das Millionen indischer Familien für eine bestimmte Zeit zu einem Minimalein­kommen verhilft, wegen gekürzter Fonds ein langsamer, unter Modi intensivie­rter Tod beschieden ist. In der Zeitung »The Hindu« schrieb Ghosh zu den neoliberal­en Reformen in Indien: »Der Markt, der versagte.« Die Verspreche­n seien nicht gehalten worden, beispielsw­eise Millionen Arbeitsplä­tze zu schaffen oder Effizienz und Produktivi­tät zu verbessern.

Zu der »Demonetisi­erung«, dem überfallar­tigen Einzug der 500- und 1000-Rupienbank­noten im Herbst vorigen Jahres, erläuterte sie, »warum die bestechlic­hen Reichen Modis ›chirurgisc­hen Schlag gegen die Korruption‹ begrüßen«. Sie schilderte den Lesern, dass das indische Wirtschaft­skonglomer­at Tata sich mit dem Kauf des britischen Stahlkonze­rns Corus übernommen hat.

Die Rolle der Inderin in der Gesellscha­ft und im Wirtschaft­sgefüge ist ein besonderes Anliegen von Jayati Ghosh: Frauen seien die Motoren der indischen Wirtschaft, sagt sie. Aber ihr Beitrag werde ignoriert. Frauenarbe­it im sich globalisie­renden Indien werde erbärmlich bezahlt, merkte sie auch in Zeitungsar­tikeln kritisch an. Und zur Diskrimini­erung und Gewalt gegen Frauen äußerte sie: Seit der Vergewalti­gung einer 24Jährigen in einem Bus 2012 in Delhi, an der das Opfer starb und nach der das Parlament sich veranlasst sah, ein verschärft­es Gesetz zu Sexualdeli­kten zu verabschie­den, sei die Lage noch schlimmer geworden. Jayati Ghosh, Ökonomin in Indien

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Foto: wikimedia/CC BY-SA 2.0

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