Kämpfer für ein gutes Gesundheitswesen
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Konowal ist in linken Gewerkschaftskreisen Russlands kein Unbekannter. Mit Mitte Dreißig hat er angefangen, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Das liegt mittlerweile über zehn Jahre zurück. Damals wurde er zum Abgeordneten des Stadtparlaments von Ischewsk gewählt, der Hauptstadt der Republik Udmurtien und Standort des Waffenherstellers Kalaschnikow. 2012 wandten sich Kinderärzte an ihn, weil sie ohne entsprechende Bezahlung angehalten wurden, Überstunden zu machen. Damit fiel der Startschuss für die Gründung der überregional organisierten Medizinergewerkschaft »Dejstwije« (Aktion).
Gleich ihre erste große Kampagne geriet zum Erfolg. »Dejstwije« konnte Gehaltserhöhungen von bis zu 35 Prozent und ein transparentes Bezahlungsmodell durchsetzen. Anfang 2017 wurde es allerdings durch ein wesentlich intransparentes Lohnmodell ersetzt. Gleichzeitig haben sich die Zustände im Gesundheitswesen seither generell verschärft. Andrej Konowal sieht einen direkten Zusammenhang zur Krise des Rohstoffkapitalismus. Sinkende Einnahmen aus dem Ölgeschäft belasten den Haushalt und führten in der Konsequenz zu immensen Einsparungen. Der Anteil staatlicher Ausgaben für das Gesundheitswesen gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt in Russland mit unter drei Prozent um die Hälfte niedriger als beispielsweise in Polen oder der Slowakei. Bei einem diversifizierten Wirtschaftssystem stünden mehr Gelder für den sozialen Bereich zur Verfügung, ist er überzeugt.
»Ganz offensichtlich soll das Gesundheitswesen kommerzialisiert werden«,
Astellt Konowal fest. Das Land liege damit im globalen Trend, auch hinsichtlich der Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse. Aber Russland gehe weiter und die Folgen davon seien hier wesentlich stärker zu spüren. Optimierung lautet das Stichwort, was bedeutet, dass der Anteil an stationärer Behandlung stark rückläufig ist. Hier muss wieder mal der Westen als Vorbild herhalten, entsprechende ambulante Angebote fördert der Staat allerdings nicht.
Von der Regierung geforderte Lohnerhöhungen finden auf dem Papier statt und durch horrende Mehrarbeit: Wenn beispielsweise ein Chirurg zusätzlich zur Tagesschicht noch zehn Mal pro Monat nachts arbeitet – bis zu 32 Stunden am Stück. Etwa zu 60 Prozent besteht die Bezahlung aus Prämien, die die Verwaltung willkürlich zurückhalten kann. Ärztemangel in staatlichen Einrichtungen treibt Patienten in kommerzielle Praxen, was sich nicht alle leisten können und mitunter zu späten Diagnosen schwerer Krankheiten führt. »Wir finden, dass der Paragraph 41 der russischen Verfassung unterlaufen wird, der eine kostenlose medizinische Grundversorgung garantiert.«
Viel Handlungsfreiheit hat eine unabhängige Gewerkschaft in Russland nicht. Extremismusvorwürfe seien keine Seltenheit, auch wenn der lokale Staatsapparat »Dejstwije« nicht unbedingt feindlich gegenüber stehe. Gerichte gingen jedenfalls in den Regionen nicht im Sinne der Arbeitnehmer vor. Als Druckinstrument bleiben Dienst nach Vorschrift und Öffentlichkeitsarbeit.
Nur allmählich erhöht sich die Mitgliederzahl und das Bewusstsein, dass der Ärzteeid nicht bedeuten kann, unhaltbare Arbeitsbedingungen einfach hinzunehmen. »Dejstwije« geht es aber um mehr: den Erhalt einer allen Bürgern in gleicher Weise zugänglichen medizinischen Versorgung. Dabei ist Andrej Konowal überzeugt: »Ich denke nicht, dass die jetzigen Machthaber bereit sind, ihre Interessen zurückzustellen zugunsten einer sozialeren Gerechtigkeit.«