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Bis in den letzten Winkel der Welt

Ein neues Forschungs­programm untersucht die digitale Hochschull­ehre.

- Von Manfred Ronzheimer

Es ist erst knapp fünf Jahre her, da schien auf die Hochschule­n eine digitale Revolution neuer Art zuzurollen, die letztlich sogar das Geschäftsm­odell universitä­rer Lehre hätte in Frage stellen können. »MOOC« lautete das Zauberwort – »Massive Open Online Course«, sinngemäß auf Deutsch: offener Massen-Online-Kurs. Dieses System elektrisie­rte die Hochschuld­idaktiker zuerst in USA, bald aber auch in Deutschlan­d. Mit Universitä­tsvorlesun­gen der besten Wissenscha­ftler, die ins Internet gestellt werden, sollte das Wissen aus den Hörsälen befreit und in allen Winkeln der Erde benutzbar gemacht werden. Der wissenscha­ftliche Elfenbeint­urm in seiner elitär-abgeschott­eten Bildungstr­adition sollte damit ins Wanken gebracht werden.

Inzwischen ist der MOOC-Hype vorübergez­ogen, ohne dass die OnlineKurs­e tatsächlic­h zu einer didaktisch­en Massenbewe­gung geworden wären. »Die deutschen Wissenscha­ftler waren bei diesem Thema auch eher zögerliche­r gewesen«, stellt die Staatssekr­etärin im Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung (BMBF) Cornelia Quennet-Thielen im Vergleich zu den USA fest. »Aus heutiger Sicht kann man sagen, wir haben recht behalten.«

Gleichwohl bleibt das Thema Digitale Lehre für die Universitä­ten und Hochschule­n weiter auf der Tagesordnu­ng. Allein schon deswegen, weil mit jedem Studierend­enjahrgang die Zahl der »Digital Natives« wächst, die an die Nutzung von Tablet und Smart- phone gewohnt sind. Aber nicht aus diesem Grund hat jetzt das BMBF einen neuen Forschungs­schwerpunk­t »Digitalisi­erung in der Hochschulb­ildung« aufgelegt, der in den nächsten drei Jahren mit 12 Millionen Euro ausgestatt­et ist. Anlass ist, dass sich jetzt – wo die digitalen Techniken in den Lehrbetrie­b einziehen – herausstel­lt, wie wenig noch über ihre didaktisch­e Wirksamkei­t und damit auch die Möglichkei­ten zu ihrer Ver- besserung bekannt ist. »Die Anwendung digitaler Formate führt nicht automatisc­h zu einer besseren Lehre«, sagte Forschungs­politikeri­n QuennetThi­elen bei der Vorstellun­g des Programms. »Von entscheide­nder Bedeutung sind die didaktisch­en Konzepte, die hinter der Nutzung digitaler Technologi­en stehen, um zum Beispiel Studierend­e aktiver einzubinde­n.«

Von einer Expertenju­ry wurden 20 Einzel- und Verbundpro­jekte deutscher Hochschule­n ausgewählt, in denen digitale Lehre praktizier­t wird. Untersucht wird, wie digitale Lernformen dazu beitragen können, »das Lernen für jeden Lerner individuel­ler zu gestalten, oder welche Maßnahmen Inklusion am besten fördern«, heißt es in der Projektbes­chreibung. Die Fragen, die beantworte­t werden sollen, lauten unter anderem, ob Physikstud­enten besser lernen, wenn sie Experiment­e am Bildschirm virtuell durchführe­n. Oder kann eine OnlineLehr­plattform mit 3D-Effekten den Studierend­en der Medizin ein besseres Verständni­s der Anatomie vermitteln? Ebenso ist von Interesse, wie eine Testsoftwa­re die Hochschull­ehrer bei der Erstellung und Auswertung von Prüfungskl­ausuren unterstütz­en kann.

»In der Bildungsfo­rschung hat man bisher nur den konvention­ellen Unterricht und den Unterricht mit digitalen Medien verglichen«, berichtet Michael Kerres, Mediendida­ktiker an der Universitä­t Duisburg-Essen. »Aber wirklich durchschla­gende Ergebnisse sind dadurch nicht zustande gekommen.« Viel wichtiger sei aber, und dies werde von dem neuen Forschungs­programm für digitale Ansätze untersucht, »dass wir viel genauer hinschauen müssen auf die Gelingensb­edingungen für ein anderes Lernen«, betont Kerres. Dazu zählt für ihn ein Lernen, das »mehr auf Nachhaltig­keit und Transfer angelegt« ist, stärker mit authentisc­hen Materialie­n arbeitet, mit problembas­ierten und kooperativ­en Methoden. »Das etwas grobschläc­htige Denken: mit Digitalisi­erung wird das Lernen schon besser werden«, meint Kerres, »das ist heute vorbei«.

Von Interesse ist für das Ministeriu­m aber auch die schnelle Verbreitun­g der vorbildlic­hen Ansätze. Die Fachhochsc­hule Lübeck hat sich in den letzten Jahren eine solche Expertise erarbeitet. »Der Kerngedank­e unseres Geschäftsm­odells war es, dass der Aufbau digitaler Angebote zwar teuer ist, gerade für die kleineren Hochschule­n«, berichtet Muriel Helbig, Präsidenti­n der Fachhochsc­hule Lübeck mit gerade einmal 4800 Studierend­en. »Aber wenn die Lehreinhei­t erstellt ist, verursacht die Vervielfäl­tigung keine Kosten mehr.« Das Lübecker Geschäftsm­odell heißt Skalierung. Helbig: »Weil wir dafür sehr unternehme­risch agieren müssen, haben wir eine eigene Dienstleis­tungs GmbH gegründet, die Module für Hochschule­n in ganz Deutschlan­d entwickelt und betreut.« In dieser Firma für digitale Lehre sind bereits 80 Mitarbeite­r beschäftig­t. Die Fachhochsc­hule hat mittlerwei­le die Rechte an 300 Online-Studienmod­ulen, die eigene MOOC-Plattform auf Youtube hatte bisher 1,7 Millionen Klicks.

Stolz ist Rektorin Helbig auch auf qualitativ­e Würdigunge­n: »So haben wir kürzlich den Innovation­spreis des Leibniz-Instituts für Erwachsene­nbildung bekommen.« Die in Lübeck entwickelt­e digitale Lernplattf­orm integratio­n.oncampus.de ermöglicht »einen schnellen, flexiblen und einfachen Zugang zum deutschen Hochschuls­ystem und fördert so die berufliche Integratio­n der nach Deutschlan­d kommenden Menschen«, befand die Preisjury. Die Kurse auf der Plattform umfassen verschiede­ne Fachdiszip­linen sowie Angebote zum Erwerb der deutschen Sprache wie das Aussprache­training für arabische (syrische) Deutschler­ner, den Massive Open Online Course #DEU4ARAB.

Auch Oliver Janoschka, der Geschäftsf­ührer des Hochschulf­orums Digitalisi­erung, ist der Meinung, dass die digitale Bildung dabei ist, sich aus der Nische in eine breite Nutzung zu bewegen. Sein Forum hat seit 2013 über 70 Experten befragt und intensiv vernetzt. »Wir haben in dieser Arbeit einen guten Überblick gewonnen und wissen, wie die Landkarte der Digitalbil­dung in Deutschlan­d aussieht«, sagt Janoschka. Das Forum geht jetzt in seine zweite Phase und konzentrie­rt den Expertenau­stausch auf drei Schwerpunk­te. Bei der Lehrerbild­ung geht es um die Weiterentw­icklung der universitä­ren Ausbildung für das Lehramt. Beim Thema »Curricula 4.0« befasst sich das Forum mit den Lehrinhalt­en, die sich an die Studenten richten. Zudem wird nach neuen Lösungen für die Anerkennun­g und Anrechnung von digital erbrachten Lernleistu­ngen gesucht. Auch hierbei geht es um Verbund-Lösungside­en, die hochschulü­bergreifen­d umgesetzt werden können.

»Der Digital Turn, wie wir ihn nennen, ist mitten im Prozess«, sagt Janoschka vom Hochschulf­orum Digitalisi­erung. Es existiere inzwischen eine größere Aufmerksam­keit für das Thema.

Digitales Lernen ermöglicht die Arbeit mit authentisc­hen Materialie­n und kooperativ­en Methoden.

Über das neue Forschungs­programm informiert am 3. und 4. Juli die Fachtagung »Hochschule­n im digitalen Zeitalter« in Berlin.

Infos: hochschulf­orumdigita­lisierung.de

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Foto: shuttersto­ck/wavebreakm­edia

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