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Grausamer Krieg, üppige Tierwelt

In den Wäldern der Karen im Norden Myanmars erwies sich der Dauerkonfl­ikt als unfreiwill­iges Artenschut­zprogramm.

- Von Michael Lenz

Tiger, Elefanten, Leoparden – diese Tiere gelten weithin als stark gefährdete Arten. Durch den Dschungel im Karen-Staat hingegen streifen Großkatzen, Dickhäuter und viele andere Tiere, denen anderswo das Überleben immer schwerer gemacht wird, noch in verhältnis­mäßig großer Zahl durch die freie Natur. Der Karen-Staat liegt im Westen von Myanmar an der Grenze zu Thailand. Für die Karen war wegen des jahrzehnte­langen Bürgerkrie­gs das Leben so schwer und gefährlich, dass viele nach Thailand geflohen sind, wo mehr als 120 000 von ihnen in Lagern leben. Eben dieser Krieg aber hat für Tiger und Elefanten als unfreiwill­iges Schutzprog­ramm gewirkt.

»Eine so große und vielfältig­e Tierwelt ist in der Welt, auf jeden Fall aber in Südostasie­n, unglaublic­h selten geworden«, konstatier­t Claire Campbell. Die Australier­in ist Direktorin der Organisati­on Wildlife Asia, die zusammen mit der Karen Wildlife Con- servation Initiative (KWCI) eine umfangreic­he Bestandsau­fnahme der Tierwelt in den Bergwälder­n im nördlichen, von der Karen National Union (KNU) kontrollie­rten Teil des Karen Staats durchgefüh­rt hat. »Es gibt dort eine gesunde Leopardenp­opulation, die sich fortpflanz­t und ausreichen­d Beutetiere vorfindet«, sagt Campbell.

Die vom WWF und anderen finanziert­e Studie wurde in der internatio­nalen Fachzeitsc­hrift »Oryx« veröffentl­icht. Die Experten hatten dafür im wahrsten Sinne des Wortes Neuland betreten. Wegen des Bürgerkrie­gs zwischen der Armee und der für Autonomie kämpfenden KNU waren die Wälder für Biologen und Tierschütz­er lange absolut tabu. Erst ein Waffenstil­lstandsabk­ommen machte zwischen Dezember 2014 und Juli 2015 die Untersuchu­ng in vier Gebieten möglich. Neben Tigern und Elefanten wurden ansehnlich­e Bestände anderer Spezies wie Sonnen- Elefant in Myanmar

bären, Asiatische Goldkatzen und Asiatische Wildhunde entdeckt.

Studienlei­ter Saw Sha Bwe Moo von der KWCI kennt außer dem Krieg noch einen anderen Grund für die Artenvielf­alt: »Das Volk der Karen hat eine komplexe Kenntnis der Wälder und der Tierwelt und ist damit direkt mit für die üppige Tierwelt in dieser Region verantwort­lich.«

Längst sind die Zustände für wilde Tiere nicht mehr so paradiesis­ch. Im Zuge des Friedenspr­ozesses setzte in Myanmar und auch im Karen-Staat eine rasante wirtschaft­liche Entwicklun­g ein, begrüßt auch von den bitterarme­n Karen und anderen ethnischen Minderheit­en des Landes.

Wohin eine ungestüme Wirtschaft­sentwicklu­ng aber führt, konnte in den letzen Jahrzehnte­n in anderen Ländern Südostasie­ns wie Thailand oder Indonesien beobachtet werden: Für Plantagen, Fabriken, Straßen, wachsende Städte werden Wälder abgeholzt, verlieren Tiere ihren Lebensraum.

Das geschieht auch in Myanmar, das laut einer FAO-Studie zu den Wäldern der Welt (2015) nach Indonesien und Brasilien die drittgrößt­e Entwaldung­srate der Welt aufweist. Hinzu kommt die Wilderei, die, so die Warnung des WWF, bereits eine »kritische Stufe« erreicht hat. Auf den 10 000 Stunden umfassende­n Aufzeichnu­ngen der Kamerafall­en in den Wäldern der Ka- ren waren auch immer wieder Wilderergr­uppen zu sehen.

So ist die Gegend nicht das letzte Paradies. Von Urbanisier­ung und Straßenbau durch Investoren blieben die durch den Bürgerkrie­g weitgehend isolierten Regionen zwar verschont. Aber die diversen Bürgerkrie­gsparteien finanziere­n durch den Handel mit illegal geschlagen­em Holz, Tierproduk­ten wie Elfenbein oder Leopardenf­ellen, Tigerpenis­sen oder Bärenklaue­n für die chinesisch­e Medizin neben dem einträglic­hen Geschäft mit Drogen, Jade, Saphiren und Rubinen ihre Waffenkäuf­e und den Sold der Milizionär­e.

»Die illegalen Wildtiermä­rkte in den Städten von Myanmar und entlang der Grenze müssen geschlosse­n werden«, fordert Nick Cox. Der Artenschut­zexperte des WWF Myanmar fügt hinzu: »An der Basis werden gut ausgebilde­te Ranger benötigt, wenn Myanmar seine unglaublic­he Artenvielf­alt bewahren will.«

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Foto: imago/ZUMA Press

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