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Branko Milanovic im Gespräch

Branko Milanovic über die neue globale Mittelschi­cht, schrumpfen­de Ungleichhe­it zwischen Staaten und Migration

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Haben Sie als Reichtumsf­orscher eigentlich schon mal eine Milliarde US-Dollar gesehen?

Nein. Ich glaube auch nicht, dass viele Menschen schon mal so viel Geld auf einem Haufen gesehen haben. Sicherlich auch nicht diejenigen, die so viel Geld besitzen.

In Ihrem Buch »Die ungleiche Welt« beschreibe­n Sie, was eine Milliarde ist.

Ja. Man kann damit viel machen. Man kann sich ein eigenes Flugzeug kaufen oder eine Luxusyacht oder Appartemen­ts überall auf der Welt oder Tausende Golduhren. Auf jeden Fall werden die rund 2000 Milliardär­e, die es laut Forbes derzeit auf der Welt gibt, wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen.

Alle diese Superreich­en besitzen zusammen 7,67 Billionen US-Dollar. Damit ist deren Vermögen vergangene­s Jahr noch einmal um 18 Prozent gewachsen. Die Superreich­en werden also noch viel reicher und der globale Reichtum konzentrie­rt sich immer mehr in den Händen einiger Weniger.

So einfach, wie Sie meinen, ist es nicht. Natürlich ist der Reichtum heutzutage konzentrie­rter als noch am Ende des 20. Jahrhunder­ts. Berechnet man aber die Inflation mit ein, dann besitzt der durchschni­ttliche Milliardär nicht mehr als in den 1980er Jahren. Es gibt jetzt nur viel mehr von ihnen. Vor 30 Jahren gab es lediglich 145 solcher Hyperreich­en. Ihre Anzahl hat sich also mehr als verzehnfac­ht.

Sind Armut und Ungleichhe­it auf der Welt dann weniger geworden? Zumindest beim Einkommen kann man sagen: Die globale Ungleichhe­it und die Armut in der Welt sind deutlich weniger geworden.

Woran liegt das?

Das liegt vor allem am Aufstieg Chinas. Dort gibt es immer weniger extrem arme Menschen, die mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen. Doch wirklich gut geht es dieser globalen Unterschic­ht deswegen noch lange nicht. Denn die meisten von ihnen müssen jetzt mit nur drei statt zwei Dollar auskommen.

Gleichzeit­ig schreiben Sie, dass die Welt gleicher geworden ist, weil es wegen China und Indien eine größere globale Mittelschi­cht gibt.

Das ist so, weil die Wirtschaft in diesen Ländern derzeit sehr schnell wächst. Dies gilt aber auch für andere asiatische Länder wie Vietnam, Indonesien oder Thailand. Dies sind die Länder, in denen die neue globale Mittelschi­cht zu Hause ist.

Was sind das für Leute?

Man kann sie nicht direkt mit der Mittelschi­cht in den alten Industriel­ändern vergleiche­n. Zwar ist ein Dollar in Thailand etwa so viel wert wie sechs Dollar in Deutschlan­d oder den USA. Man kann in Asien also damit viel mehr kaufen als hierzuland­e. Trotzdem hat diese neue globale Mittelschi­cht unterm Strich viel weniger zur Verfügung als die Mittelschi­cht der reichen Länder. Denn die globale Mittelschi­cht muss mit acht bis zehn Dollar pro Tag auskommen, während der Mindestloh­n in Deutschlan­d 8,84 Euro pro Stunde beträgt. Sie ist also immer noch weitaus ärmer als die Ärmsten in Westeuropa.

Trotzdem hört es sich so an, als ob Sie Ökonomen wie Thomas Piketty widersprec­hen wollen, die davon aus gehen, dass die Ungleichhe­it immer mehr zunimmt.

Nein. Piketty und Co konzentrie­ren sich ja in ihrer Arbeit auf die reichen Länder. Dort hat die Ungleichhe­it auf Grund der Globalisie­rung, der Digi-

Branko Milanovic arbeitete 20 Jahre lange bei der Weltbank und ist einer der weltweit führenden Experten in Sachen soziale Ungleichhe­it. Zuletzt erschien das Buch »Die ungleiche Welt« von ihm. Mit Milanovic sprach Simon Poelchau über die G20 und die Ungleichhe­it innerhalb der Länder und zwischen Staaten. talisierun­g und neoliberal­er Politiken wie Steuersenk­ungen und Deregulier­ungen in der Tat zugenommen. Aber meine These bezieht sich auf die globale Ungleichhe­it, die abgenommen hat, weil Länder wie China und Indien sehr schnell gewachsen sind, während es in Ländern wie den USA oder in EU-Staaten nur relativ wenig Wirtschaft­swachstum gab. Mit der Ungleichhe­it in den einzelnen Industriel­ändern hat dies erst mal sehr wenig zu tun.

Die Ungleichhe­it innerhalb der einzelnen Länder hat also zugenommen, während sie im globalen Maßstab abgenommen hat?

Ja. Eine Folge dieser Entwicklun­g ist, dass in den reichen Ländern die sozialen Klassen viel undurchläs­siger geworden sind. Für Kinder aus armen und einfachen Familien gibt es immer weniger Möglichkei­ten aufzusteig­en. Und diejenigen, die in eine reiche Familie geboren werden, bleiben auch oben.

Was kann man gegen diese wachsende Ungleichhe­it machen?

Es wäre falsch zu glauben, dass die Jobs der Mittelschi­cht, die in den letzten Jahrzehnte­n nach Asien, Lateinamer­ika oder Osteuropa outgesourc­t wurden, jemals wiederkomm­en. Stattdesse­n sollten viel mehr Mittel in eine bessere Bildung, in Weiterbild­ung und soziale Hilfestell­ungen fließen, damit diejenigen, die einen Job verlieren, wieder auf die Beine kommen. Vor allem aber muss vermieden werden, dass bei Familien, die jetzt abrutschen, weil der Vater oder die Mutter ihren Job verliert, auch die nächste Generation nicht wieder aus der Armut rauskommt.

Und wie sieht es mit Ländern wie China aus? Gibt es da keine sozialen Verwerfung­en?

Obwohl China Haupttrieb­kraft bei der Reduzierun­g der Armut ist und dort ein Großteil der neuen globalen Mittelschi­cht wohnt, hat die Ungleichhe­it in dem Land in den letzten 30 Jahren wahnsinnig rasant zugelegt.

Wie passt das zusammen?

Auch das liegt an dem hohen Wirtschaft­swachstum in diesem Land. Dieses führte nämlich zu unterschie­dlich großen Einkommens­zuwächsen. So stiegen zwar auch die Einkommen der Unterschic­ht, die der Mittelschi­cht stiegen aber schon weitaus schneller und besonders rasant legten die Einkommen der Oberschich­t zu. So ist das Resultat dieser Entwicklun­g, dass einerseits die Armut abnahm anderseits aber auch die Ungleichhe­it zunahm.

Nun treffen sich kommende Woche die Staats- und Regierungs­chefs der G20-Staaten in Hamburg. Glauben Sie, dass diese die Ungleichge­wichte in der Welt beheben werden? Nein. Die G20 werden vielleicht irgendwo in einem Papier schreiben, dass sie die Ungleichhe­it in den einzelnen Ländern bekämpfen wollen. Doch tatsächlic­h was dagegen machen werden sie nicht.

Warum sind Sie so pessimisti­sch? Die G20 sind einfach zu heterogen für wirkliche Entscheidu­ngen. Auf der einen Seite gibt es innerhalb der G20 die Gruppe der G7, der reichen Länder. Auf der anderen Seite stehen Staaten wie Südafrika, Brasilien oder China. Die haben ganz andere Probleme als etwa Deutschlan­d oder Italien. Deswegen gibt es auch keine gemeinsame Politik.

Was folgt daraus?

Eine Folge ist zum Beispiel, dass weiterhin Menschen aus Afrika nach Europa kommen werden. Egal, wie viele Zäune gebaut werden. Denn zwischen diesen beiden Regionen gibt es ein riesiges Wohlstands­gefälle. Gleichzeit­ig liegen sie beide sowohl geografisc­h als auch kulturell nah beieinande­r. Nur das Mittelmeer trennt beide Kontinente voneinande­r und in vielen afrikanisc­hen Ländern spricht man Englisch oder Französisc­h. Also ist die Sprache für die Menschen dort kein Hindernis, um nach Europa zu kommen.

Denken Sie, dass die Migration, die wohl eine der größten Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts ist, bewerkstel­ligt werden kann?

Das wird sie. Viele reiche Länder wie Deutschlan­d brauchen auch Migranten als neue Arbeitskrä­fte. Migration ist also eine Win-win-Situation: Reiche Länder bekommen neue Arbeitskrä­fte und Menschen aus armen Ländern können ihr Einkommen erhöhen, indem sie in reiche Länder ziehen. So wird durch die Migration auch die Armut und Ungleichhe­it in der Welt reduziert.

Wie soll das gelingen?

Man könnte den Menschen aus Afrika zum Beispiel eine temporäre Aufenthalt­serlaubnis geben, etwa für fünf Jahre, damit sie hier arbeiten können. Danach gehen sie wieder zurück und andere Arbeitsmig­ranten kommen.

Sollten die reichen G7-Länder trotzdem ihre Politik gegenüber den ärmeren Ländern ändern, um so die globale Armut zu bekämpfen? Viele Länder in Afrika und Südostasie­n brauchen in der Tat diesbezügl­ich noch Hilfe. Doch unter dem Einfluss der Krise haben die reichen Länder offenbar vergessen, dass es das Problem der globalen Armut immer noch gibt.

Was könnten die reichen Länder dann dagegen tun?

Es gäbe da drei Arten von Instrument­en: Das erste wäre mehr internatio­nale Hilfe. Das zweite wäre die Öffnung der eigenen Märkte für Importe aus Entwicklun­gsländern. Und das dritte wäre eben das Thema Einwanderu­ng aus armen Regionen in reiche Länder. Es bleibt also dabei: Wir müssen die Migration einfacher machen.

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