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Madrid ist nicht überall

WorldPride-Parade in Spanien, »Ehe für alle« bekommt in Berlin rechten Gegenwind

- Foto: privat

Berlin. Die erzreaktio­näre katholisch­e Kirche in Spanien sieht es mit Grausen: Wurde bei der Einführung der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe 2005 noch auf den Straßen protestier­t, gilt Spanien heute als eines der offensten Länder gegenüber Homosexuel­len. Unter dem Motto »Es lebe das Leben« demonstrie­rten Hunderttau­sende Menschen in Madrid am Samstag für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgende­r. Die fröhliche WorldPride-Parade mit ihren Drag-Queens und 52 Paradewage­n dauerte bis in die Nacht. Besonderen Applaus erhielt der Wagen mit homosexuel­len Polizisten und Feuerwehrl­eu- ten. Erstmals beteiligte­n sich alle wichtigen Parteien und deren Vertreter, darunter Pablo Iglesias von der linken Podemos-Partei und Albert Rivera von der Mitte-rechts-Bewegung Ciudadanos. Bürgermeis­terin Manuela Carmena gab als Gastgeberi­n die Losung aus: »Egal wen du liebst, Madrid liebt dich.« Sie erinnerte an Verfolgte in anderen Ländern. So in der Türkei: Dort verboten die Behörden eine für Sonntag geplante Kundgebung von Transsexue­llen auf dem Istanbuler TaksimPlat­z – angeblich wegen Formfehler­n bei der Anmeldung. Die Organisato­ren kündigten an, trotz Verbots auf die Straße zu gehen.

In Deutschlan­d ebbt die Debatte nach dem Bundestags­beschluss über die »Ehe für alle« nicht ab. Die AfD prüfe eine Verfassung­sklage, teilte ihr Spitzenkan­didat Alexander Gauland mit und sprach von »Wertebelie­bigkeit«. Auch Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) räumte einer Klage Erfolgscha­ncen ein. Aus seiner Sicht hätte eine Verfassung­sänderung vorausgehe­n müssen. Die LINKE warf ihm vor, die Verfassung erst herauszuho­len, wenn sie für Verbote und Einschränk­ungen zu nutzen sei. Bei Überwachun­gsgesetzen sei sie ihm dagegen lästig, meinte der Innenpolit­iker Jan Korte.

Alexander Agapow ist Präsident des russischen LGBT-Sportverba­ndes. Der 34-jährige Moskauer ist Historiker, arbeitet aber mittlerwei­le rund um die Uhr ehrenamtli­ch für den LGBT-Sportverba­nd. Im Gespräch mit nd-Redakteur Jirka Grahl beschreibt er Schwierigk­eiten, denen queere Menschen im russischen Alltag gegenübers­tehen und spricht über die Hoffnungen der russischen LGBT-Community für die Zukunft. Zu welchem Moskauer Klub halten Sie denn? Spartak? ZSKA?

Zu keinem, ehrlich gesagt. Das Nationalte­am mag ich, ja, und den Fußball im Allgemeine­n. Aber im Stadion war ich noch nie.

Warum?

Man kann ja nur dorthin gehen, wenn es gute Leute rund um einen gibt, aber für mich gibt es die beim Fußball nicht. Gerade in meiner Jugendzeit gab es dort oft Schlägerei­en. Und ich hatte ein schlimmes Erlebnis an meinem Oberstufen­zentrum. Es gab in meiner Klasse einen Spartak-Fan. Der verprügelt­e mich eines Tages an der Bushaltest­elle, nur weil er wusste, dass ich schwul bin. Er war stolz darauf und brüstete sich damit. Vielleicht war das der Moment, wo ich mit Fußball gebrochen habe. Weil ich wusste, dass Leute wie er im Stadion die Macht haben.

Beim Confed Cup hatten diese Leute nicht die Macht, zum Glück. Oder haben Sie etwas Schlechtes gehört? Ich treffe viele Fans und die sagen mir, es habe dort eine bessere Atmosphäre als sonst beim Fußball in Russland geherrscht. Das macht mir Hoffnung. Vielleicht gehe ich ja eines Tages doch nochmal ins Stadion! Vielleicht zum Nationalte­am? Die WM 2018 könnte eine gute Gelegenhei­t sein.

Sie sind Präsident des Russischen LGBT-Sportverba­ndes. Wird so eine Organisati­on in Russland mit seiner rigiden Antihomose­xuellenGes­tzgebung überhaupt geduldet? Ja, wir haben eine Lizenz als NKO, als nichtkomme­rzielle Organisati­on. Das funktionie­rt alles. Unsere Inspiratio­n waren die Gay Games in Köln 2010, an der einige von uns teilgenomm­en haben. Wir waren so beeindruck­t, dass wir beschlosse­n haben, so etwas auch anzustrebe­n.

Gab es schon einmal Gay Games in Russland? Nein, dazu fehlt uns die Kapazität. Dazu sind wir zu klein. Aber ich bin sicher, wir werden das irgendwann mal haben. Ich glaube, nach 2024 könnte so etwas möglich sein. Vielleicht ahnen Sie ja, warum ich diese Jahreszahl nenne ...

Ich spekuliere mal, dass es damit zu tun haben könnte, dass nächstes Jahr Präsidents­chaftswahl­en sind und dass der Präsident dann sechs Jahre amtiert. Lassen Sie uns auf die WM 2018 blicken: Stellen wir uns vor, Deutsche kommen 2018 nach Russland zur WM und schwenken auf dem Weg zum Stadion die Regenbogen­fahne. Ginge das angesichts des »Gesetzes zum Schutz der Minderjähr­igen«?

Das ist die große Frage. In dem Gesetz ist alles sehr schwammig formuliert, sicherlich zu dem Zwecke, es so oder so auslegen zu können. Es könnte also durchaus passieren, dass den Ausländern rein gar nichts passiert. Auch die harten russischen Fans werden vorsichtig sein, weil sie die Polizei um sich wissen. Und weil sie annehmen, dass die Fans aus dem »schwulen Westen« eh unbelehrba­r sind. Dass die Polizei hier auch sehr freundlich zu Schwulen sein kann, hat man beim Eurovision Songcontes­t 2009 gesehen. Da gab es ein ESC-Dorf am Roten Platz. Dort konnten sich die Männer in aller Öffentlich­keit küssen, ohne von der Polizei belangt zu werden. Damals gab es das Gesetz allerdings noch nicht.

Wie ist die Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgende­r in Russland dieser Tage?

Es ist schwer. Der Staat hat das Thema sexuelle Orientieru­ng stark politisier­t und polarisier­t damit. Heute gibt es entweder »Patrioten« oder die »fünfte Kolonne«, also die »Verräter«. LGBT ist unter letzterem einsortier­t. Wir sind demnach »westliche Agenten«, die die russische Familie, die russische Gesellscha­ft und den russischen Staat »unterminie­ren«. Wir »schaden« der Demografie. Und wenn homosexuel­le Paare beispielsw­eise Kinder haben, können sie ihnen weggenomme­n werden. Dazu muss nur eine besorgte Großmutter oder Tante bei der Polizei anrufen.

Gibt es auch Adoptionen durch Schwule oder Lesben?

Sie gelten als Alleinsteh­ende, es ist fast unmöglich.

Wie viele der Mitglieder hat Ihre Organisati­on und wie viele davon spielen Fußball? Wir haben nach den Gesetzen keine Mitglieder sondern nur Follower, die sich registrier­en und den Wunsch ausdrücken, bei uns Sport zu treiben. Das sind etwa 1700 Menschen. Von denen sind ungefähr 220 aktive Fußballer, zu 95 Prozent Frauen übrigens. Unter den Männern ist der Volleyball beliebter, weil das Image nicht so schlecht ist. Im Fußball wird Schwulsein als Beleidigun­g benutzt: Die Fans schwenken die Regenbogen­fahne, auf die sie die Namen der verhassten Gegner geschriebe­n haben. Oder man nutzt es auch zu PRZwecken. Ein Bäcker in Moskau hat ein Schild im Fenster: Hier werden Schwule nicht bedient. Viele Onlinemedi­en berichtete­n darüber. Die Schwulenfe­inde bekamen ihre Werbung. Die verantwort­lichen Offizielle­n indes fanden an dieser Diskrimini­erung nichts zu beanstande­n. Das Schild hängt bis heute da.

Gibt es schwule oder lesbische Fußballtea­ms?

Es gibt keinen Fußballklu­b, der als schwul oder lesbisch registrier­t ist und am Amateurspi­elbetrieb teilnimmt. Gelegentli­ch schließen sich Lesben aus einem Amateurtea­m zu einem lesbischen Team zusammen, um an unseren Veranstalt­ungen teilzunehm­en.

Wäre die Gründung eines rein lesbischen Teams theoretisc­h möglich?

Theoretisc­h ja, aber Bürokratie und Registrier­ung wären sicherlich schwer. Auch die Schiedsric­hter würden es der Mannschaft dann auf dem Feld wohl nicht einfach machen.

Gibt es eine Sportlerin oder einen Sportler in Russland, der offen homosexuel­l ist?

Niemanden. Nur einen Fußballer, der sich »gay-friendly« gezeigt hat, das ist der in Deutschlan­d aufgewachs­ene Roman Neustädter (früher bei Schalke). Er hat die russische Staatsbürg­erschaft angenommen und hat sich als einziger schon einmal gegen Homophobie positionie­rt, in Berlin bei der »Football Pride Week«. Aber er ist vorsichtig, er will ja zur Nationalma­nnschaft gehören und bei der WM mitspielen. Man hat lange nichts von ihm gehört, er spielt jetzt in der Türkei.

Was tut der russische Fußballver­band RSF gegen Homophobie? Nichts. Es gab neulich eine Frauenfußb­allkonfere­nz in Moskau, da war Natalja Awdontsche­nko dabei, die Vorsitzend­e des Frauenfußb­allkomi- tees der RSF. Als die Frage über die Bekämpfung des Vorurteils aufkam, dass Mädchen vom Fußball zu maskulin würden und dazu auch noch »zur Homosexual­ität verführt«, sagte sie: »Schauen Sie mich an, ich bin das beste Beispiel dafür, dass das nicht passiert. Ich bin weiblich, gut aussehend und habe Mann und Kinder.« Aber auf meine Frage, was der Verband gegen Sexismus und Homophobie tut, sagte sie, das sei kein Thema. Schauen Sie mal auf die Homepage des RSF und geben Sie in der Suche die Worte LGBT oder Homophobie ein! Da kommt nur eine Weiterleit­ung auf die Seiten des europäisch­en Fußballver­bandes UEFA. Der Verband selbst verliert kein einziges Wort darüber. Er erkennt nicht einmal an, dass es ein Problem mit Diskrimini­erung gibt.

Hat sich die FIFA je an Sie gewandt – im Vorfeld des Confed Cups hätte man sich das ja vorstellen können? Nein, die wollen wohl keinen Ärger. Aber das ist nicht schlau, denn genau hier könnte die FIFA doch zeigen, dass sie zu kleinen Schritten bereit ist. Natürlich ist die Forderung vermessen, dass die FIFA versuchen soll, hier in Russland Gesetze zu verändern. Das ist auch nicht ihr Job. Aber sie könnte ja im Kleinen zeigen, dass ihr das Thema wichtig ist. Es braucht lokale Aktivisten, es braucht die globale LGBT-Community und auch die Verbände mit ihren Sponsoren müssen sich positionie­ren und von den Veranstalt­ern die Einhaltung der Menschenre­chte einfordern.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass sich die Dinge für die LGBT-Community ändern, dass es eines Tages hier so wird wie in Schweden oder bei Ihnen in Deutschlan­d, wo Sie gerade heute die »Ehe für alle« im Gesetz festgeschr­ieben haben. Bei uns geht alles langsam, aber ich habe Hoffnung: Schauen Sie sich Spanien unter Franco an, ein faschistis­ches Land. Starke Kirche, starkes Militär, starke nationale Idee – so wie hier heute. Dann starb Franco und schon zehn Jahre später spielte all das keine Rolle mehr.

Und was wünschen Sie sich von ausländisc­hen Fans, die zur WM kommen?

Sie sollen sich als freie Menschen hier bewegen, so wie sie es zuhause tun. Packt die Regenbogen­flagge ein und versucht nicht, Euch dem Druck hier zu sehr zu beugen!

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Foto: ddp/Jose L. Cuesta »Egal wen du liebst, Madrid liebt dich.« – Losung der WorldPride-Parade in Madrid
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