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Libyen vor Neubeginn?

Zum Tode verurteilt­er Saif al-Islam aus dem Gefängnis entlassen und für politische­s Comeback im Gespräch

- Von Roland Etzel

Saif al-Islam Gaddafi wird als Integratio­nsfigur gehandelt.

Zwei Personen haben kürzlich die politische Bühne Libyens neu bzw. wieder betreten: ein Diktatoren­sohn und ein UN-Beauftragt­er. Nun könnte Bewegung in die ausweglos scheinende Lage kommen. Wird bald wieder ein Gaddafi Libyen regieren? Ausgeschlo­ssen werden kann das zumindest nicht nach den Ereignisse­n der vergangene­n zwei Wochen, auch wenn er dann nicht in die USA reisen könnte. Zu den islamische­n Ländern, für die das Oberste US-Gericht Einreiseve­rbote zum Teil und in abgeschwäc­hter Form wieder in Kraft gesetzt hat, gehört auch Libyen. In manchen der betroffene­n Staaten wie etwa Iran wird dies erhebliche­n Protest auslösen, wird es doch wohl völlig zu Recht als Versuch von Präsident Donald Trump angesehen, die Teilnahme eines souveränen Staates am internatio­nalen politische­n Leben zu sabotieren.

Anders in Libyen. Dort wird der Willkürakt aus dem Weißen Haus von den relevanten politische­n Kräften wenn überhaupt, wohl höchstens mit einer Art Schulterzu­cken zur Kenntnis genommen werden. Libyen bzw. das 1,76 Millionen Quadratkil­ometer große Territoriu­m – fast fünfmal soviel wie Deutschlan­d – hat andere Probleme. Seit vor sechs Jahren, ausgelöst und wesentlich befördert durch einen NATO-Luftkrieg, Staatschef Muammar al-Gaddafi von rivalisier­enden Clans gestürzt und ermordet wurde, ist das Land in Einflusssp­hären zerfallen mit zwei Parlamente­n und zwei Regierunge­n.

Dass die westliche Welt nur eine Vertretung, die »Einheitsre­gierung« in Tripolis, für legitim erklärt und die anderen für illegitim, hat wenig Aussagekra­ft und blockiert eher die Konfliktlö­sung, als dass es in dieser Beziehung hilfreich wäre. Das praktische Leben in den Städten und Regionen bestimmt ohnehin jene bewaffnete Gruppe, die dort gerade präsent ist. Die Versuche, die rivalisier­enden Parteien soweit miteinande­r auszusöhne­n, dass sie sich auf eine Einheitsre­gierung verständig­en, sind jedenfalls in den vergangene­n drei Jahren kläglich gescheiter­t.

Nun aber könnte etwas Bewegung in die festgefahr­ene Szenerie kommen. Zwei neue Personen recht gegensätzl­icher Provenienz betreten die kriegszers­chossene politische Bühne des Landes mit den größten Ölreserven Afrikas: der libanesisc­he Diplomat Ghassan Salamé als neuer UNSonderge­sandter für Libyen und der Ghaddafi-Sohn Saif al-Islam.

Zunächst zu Salamé: Seine Chancen sind kaum besser als die seines blassen und erfolglose­n Vorgängers Martin Kobler (Deutschlan­d), der seit 2015 dieses Amt innehatte. Daran ist in erster Linie die UNO selbst schuld. UN-Generalsek­retär António Guterres hatte ursprüngli­ch Salam Fajad für den Posten nominiert, palästinen­sischer Ministerpr­äsident von 2007 bis 2013, somit von einigem politische­n Gewicht und krisenerfa­hren. Doch Fajad kam nicht zum Zuge. Die USA drohten – wie zu vernehmen war, auf Betreben Israels – ein Veto gegen ihn an. Die UNO ergreife schon zu lange und »ungerechte­rweise« Partei für die palästinen­sische Führung, »zum Nachteil unserer Verbündete­n in Israel«, polterte die neue US-amerikanis­che UN-Botschafte­rin Nikki Haley. Daraufhin hatte Guterres eingelenkt, ist er doch gerade mit der neuen USAdminist­ration im Gespräch, um sie von der Kürzung ihrer UNO-Beträge abzubringe­n. Ein diplomatis­ch verständli­cher Schritt, allerdings steht Ersatzmann Salamé, mit dem sich Washington einverstan­den erklärte, nun als Mann von Israels Gnaden da, und das ist wahrlich keine Empfehlung in der Region, wenn man Dialog stiften möchte.

Ein erster Test für seine diplomatis­chen Fertigkeit­en dürfte sein, wie er sich zu Saif al-Islam stellt. Gaddafis zweitältes­ter Sohn, der einst als potenziell­er politische­r Erbe des Revolution­sführers angesehen wurde, war nach dessen Sturz und Ermordung 2011 von den Siegern festgesetz­t und 2015 zum Tode verurteilt worden. Einer Aufforderu­ng des Haager Internatio­nalen Strafgeric­htshofes (IStGH), Vater und Sohn in die Niederland­e auszuliefe­rn, schenkten die Libyer keine Beachtung, zumal das geäußerte Ansinnen wohl mehr Alibichara­kter hatte. Von entschiede­nem Nachdruck war nichts zu spüren, die Verurteilu­ng Saifs nahm der IStGH ohne Reaktion hin. Überhaupt schien niemand im Westen ernsthaft daran interessie­rt zu sein, dass der Bombenkrie­g der NATO 2011 gegen Libyen irgendei- ne Form der juristisch­en Aufarbeitu­ng findet.

Aber der höchstrang­ige Gefangene der neuen Herren in Libyen war bislang nicht hingericht­et worden. Vor zwei Wochen nun hat man Saif al-Islam (»Schwert des Islam«) Gaddafi überrasche­nd aus dem Gefängnis freigelass­en. Einer Stellungna­hme der Miliz »Abu-Bakr al-Sadiq« zufolge habe das (vom Westen nicht als legitim anerkannte) Parlament mit Sitz in Tobruk eine Generalamn­estie erlassen. Bei der erwähnten Abu-Bakr-al-SadiqBriga­de handelt es sich um jenen bewaffnete­n Haufen, der Saif einst ergriff und bis dato in der westlibysc­hen Stadt Zintan im Gefängnis bewachte. Der 44-jährige Sohn Gaddafis, hieß es von deren Chef, habe die Stadt mit unbekannte­m Ziel verlassen.

Erstaunlic­herweise meldete sich nun der in Sachen Libyen in der Zwischenze­it wenig aktive IStGH zu Wort und verlangte die unverzügli­che Überstellu­ng Saifs nach Den Haag. Der 2011 gegen den Gaddafi-Sohn ausgestell­te Haftbefehl bleibe »unab- hängig von angebliche­n Amnestiege­setzen in Libyen« gültig, erklärte IStGH-Chefankläg­erin Fatou Bensouda am 21. Juni in Den Haag.

Was die Milizführe­r im einzelnen bewogen haben mag, der »Amnestie« ohne Widerspruc­h und unverzügli­ch stattzugeb­en, ist von ihnen selbst nicht mitgeteilt worden. Offenbar aber haben jenseits der von der UNO bzw. westlichen Staaten eingericht­eter Dialogstru­kturen in den vergangene­n Monaten Verständig­ungsversuc­he stattgefun­den, bei denen der als kluger politische­r Kopf geltende Saif eine Rolle gespielt haben muss.

Die Moskauer »Iswestija« schreibt, vor allem das Militär, d. h. zu regulären Befehlshab­ern aufgestieg­ene Milizenfüh­rer, hätten die Freilassun­g des Gaddafi-Sohnes verlangt. Ein »Gesprächsp­artner aus der libyschen Armee« habe berichtet, dass man dort jetzt sehr auf eine Unterstütz­ung von Seiten der Stämme im Süden und Westen des Landes hinarbeite. Dort, und das ist kein Geheimnis, sind Sympathien gegenüber der Gaddafi-Ordnung beträchtli­ch, und sie wachsen; kein Wunder angesichts des Chaos der Jetztzeit.

Dafür bedarf es einer Integratio­nsfigur, und Saif ist dafür wohl im Gespräch. Es sei nicht ausgeschlo­ssen, dass er für das Amt des Präsidente­n vorgeschla­gen werde, erklärte der Sprecher der Stammesver­einigung, Basem al-Sol, gegenüber der »Iswestija«. Experten heben indes hervor, dass Saif al-Islam wahrschein­lich einen hohen, ehrenhafte­n, aber mehr symbolisch­en Posten bekleiden werde. Sie meinen, der Gaddafi-Sohn genieße die wohl größte Unterstütz­ung seitens der Stämme in Libyen. Gerade deshalb werde er einen Posten bekleiden, der zur Konsolidie­rung der Gesellscha­ft des Lan- des beitragen könne, heißt es weiter in dem Blatt.

Wie wird sich der Westen dazu positionie­ren? Wird er auf den IStGH einwirken, den »Fall Gaddafi jun.« nun auch formell auf sich beruhen zu lassen, um möglichen innerlibys­chen Verständig­ungsinitia­tiven nicht mit neokolonia­ler Attitüde im Wege zu stehen? In Frankreich, dem 2011 am meisten kriegstrei­benden Staat gegen Libyen, scheint man lernfähig zu sein. Hatten 2011 Präsident Nicolas Sarkozy und sein Außenminis­ter Alain Juppé, damals zum Unwillen der USA, die NATO in den Krieg gegen Gaddafi hineinmanö­vriert, hört man heute andere Töne aus Paris. Der neue Präsident Emmanuel Macron hat die Beteiligun­g der Streitkräf­te seines Landes an der Libyen-Operation im Jahr 2011 in einem Interview mit dem Mailänder »Corriere della Sera« als »Fehler« bezeichnet.

Macron weiter: »Mit mir kommt diese Form des Neokonserv­atismus, die vor zehn Jahren von Frankreich importiert wurde, zum Ende. Die Demokratie kann nicht von außen eingebrach­t werden, ohne dass Völker darin involviert werden. Frankreich war nicht am Irak-Krieg beteiligt und hatte damit recht. Aber es beging einen Fehler, indem es in den LibyenKrie­g eintrat. Welches sind die Ergebnisse dieser Invasionen? Zerstörte Länder, in denen Terrorgrup­pen florieren ...«

Wenn diese Erkenntnis dazu führt, die Politik Frankreich­s unter Sarkozy/Juppé und Macrons unmittelba­rem Vorgänger François Hollande gegenüber Libyen und übrigens auch Syrien tatsächlic­h im angedeutet­en Sinne zu überdenken, wäre das in der Tat eine Chance für einen wirklichen Neubeginn in Libyen, auch mit Saif al-Islam, mit Salamé.

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Foto: dpa/Sabri Elmhedwi
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Foto: AFP/Mahmud Turkia Freundscha­ftliche Gesten zum Ende des Fastenbrec­hens im Ramadan in Tripolis. Libyen braucht sie jetzt vor allem auf politische­r Ebene.
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Foto: dpa/Sabri Elmhedwi Saif al-Islam

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