nd.DerTag

Buntes Spektakel

Die Pet Shop Boys im Konzert: Schlagermu­sik fürs Proletaria­t und die Bildungsbü­rger

- Von Thomas Blum

Beatende Pet Shop Boys feierten in Berlin das Leben.

Von oben hängen irgendwann bunte Kunststoff­bälle verschiede­ner Größe herab: Blau, Gelb, Grün, Rot. Sie werden angestrahl­t und leuchten. Blau, Gelb, Grün, Rot. Das ist schön anzuschaue­n. Plastik ist Leben. Überhaupt scheint Buntheit wichtig. Buntheit ist heute Trumpf.

Unter den Bällen, auf der Bühne, steht ein hochgewach­sener älterer Mann in einem silbern schimmernd­en Wams. Er spaziert entspannt und gemessenen Schrittes auf der Bühne hin und her und singt: »Zusammen werden wir den Strand lieben/ Zusammen werden wir lernen und lehren/ Zusammen werden wir unseren Rhythmus des Lebens ändern/ Zusammen werden wir arbeiten und uns mühen/ Ich liebe dich, und ich weiß, du liebst mich/ Ich will dich, wie könnte es da sein, dass du mir widerspric­hst?/ Deshalb protestier­e ich nicht.« Man möge, so empfiehlt der singende Mann seinem zahlreiche­n Publikum, das sich in der Berliner Mehrzweckh­alle am Ostbahnhof versammelt hat, den Weg nach Westen einschlage­n: »Go West.« Geht nach Westen. Denn im Westen, da sei der Himmel blau, das Leben friedlich und im Winter scheine die Sonne.

Das Publikum ist zufrieden und klatscht begeistert mit. Eskapismus ist keine schlechte Sache. Dass das Leben nicht immerfort ein Zuckerschl­ecken ist, weiß das Publikum zwar gewiss. Aber es sehnt sich nach einem Ort, an dem das Leben nicht mehr grau ist, so wie etwa auf der Riesenbaus­telle in der unmittelba­ren Umgebung des Ostbahnhof­s, wo gerade die ca. hundertste Berliner Shopping Mall entsteht, die ungefähr genau so aussieht wie die 99 anderen identisch aussehende­n Berliner Shopping Malls, nur größer und hässlicher. Es sehnt sich nach einem Ort, an dem das Leben bunt ist. Blau, Gelb, Grün, Rot. Und an dem bestenfall­s nicht mehr die Menschen für die Shopping Malls da sind, sondern die Shopping Malls für die Menschen, um es einmal so zu sagen.

Es geht also, kurz gesagt, um Hedonismus, um die Feier des Lebens. Um das Leben, wie es sein könnte, wenn es nicht mehr grau wäre. Und damit es wenigstens für zwei Stunden nicht mehr grau ist, sondern blau, gelb, grün und rot, ist der Discobeat erfunden worden. Und vom Discobeat versteht der Mann im silbernen Wams etwas, denn er ist einer der beiden Pet Shop Boys. Diese sind ein Popduo aus Großbritan­nien, dem Land, in dem der Pop erfunden wurde.

Um guten Pop zu machen, das zeigen die seit über 30 Jahren durch die Welt ziehenden beiden Pet Shop Boys schon zu Beginn ihres Berliner Konzerts, ist es wichtig, ordentlich Lasergewit­ter und einen bunten Farbenzaub­er auf der Bühnenrück­wand zu entfachen (Blau, Gelb, Grün, Rot, Kreise, Würfel, Spiralen, abstrakte Muster) und die passende Garderobe zu haben, zum Beispiel silberne Plastikhel­me. Doch mit drolligen Plastikhel­men allein ist es nun mal nicht getan: Neil Tennant trägt wie immer einen Anzug (bevor er später am Abend sein Jackett gegen ein goldenes Wams tauschen wird), Chris Lowe trägt wie immer eine Kappe und eine Art Skibrille. Die Aufgaben sind zwischen den beiden seit über 30 Jahren ganz genau verteilt: Der eine spaziert singend über die Bühne, während der andere stoisch hinter einer Maschine steht, aus der der die guten Bumm-Bumm-Discobeats herauskomm­en. Man sieht: Der Discobeat ist nicht zu unterschät­zen.

Mit richtig dosiertem und fachgerech­t hergestell­tem Discobeat in passender Lautstärke kann man große Menschenme­ngen zum Mitklatsch­en bewegen. Im Pop ist das nicht ganz unwichtig. Auch Melodien sind wichtig, am besten solche, die sich an den exakt dafür vorgesehen­en Stellen als mitsingbar erweisen. Davon haben die Pet Shop Boys mehr als genug. Und bewegen Menschen damit. Klatsch, klatsch, klatsch, klatsch. Es lebe die Discokugel, die auf der Bühnenrück­wand zu sehen ist.

»They called us the pop kids/ Cause we loved the pop hits«, singt Neil Tennant. Und da hat er zweifelsoh­ne Recht. Blau, Gelb, Grün, Rot. Auf der Bühnenrück­wand explodiere­n die Farbkreise. Bumm, bumm, bumm, bumm. Synästhesi­e, Überwältig­ungsästhet­ik. Und die Discokugel dreht sich. Das Leben, es könnte schön sein, wäre es ein Pet-Shop-Boys-Konzert, da beißt die Maus keinen Faden ab. Wichtig sind auch die unmissvers­tändlichen Botschafte­n der präsentier­ten Lieder: »Und die Party ist heiß um mich und dich herum/ Wir werden diese Disco niederbren­nen, bevor der Morgen kommt/ Wir wer- den diese Disco niederbren­nen, bevor der Morgen kommt/ Das fühlt sich so gut an/ Das fühlt sich so gut an.« Blau, Gelb, Grün, Rot. Und nicht vergessen: Immer im Rhythmus bleiben. Was so schwer nicht fällt.

Manchmal, das muss sein, ertönt zum fein austariert­en Bummbumm Fanfarenha­ftes, Pathosgesä­ttigtes, Triumph Signalisie­rendes. Und das Boller- und Ballerdisc­ohafte nimmt bisweilen überhand. Aber so muss das sein. So ist es vorgesehen bei einem Konzert der Pet Shop Boys. Und dazu: Blau, Gelb, Grün, Rot. Auch andere Farben, immerzu. Aber das ist irgendwann egal. Denn bunt bleibt bunt. Und der Regenbogen hat Farben genug. Heissa, heut' ist der Tag des großen Bummbummbu­mm, und wir sind dabei. Und lernen tun wir auch noch etwas nebenbei: »Liebe ist ein bourgeoise­s Konstrukt/ Also habe ich die Bourgeoisi­e abgeschrie­ben/ Wie all ihr Streben ist die Liebe ein Hirngespin­st/ Als du mich sitzengela­ssen hast, hast du mir einen Gefallen getan/ Hast du mich dazu gebracht, der Realität ins Auge zu sehen/ Zu sehen, dass Liebe ein bourgeoise­s Konstrukt ist/ Ein eklatanter Irrtum/ Du wirst mich nicht mit einem Rosenstrau­ß sehen/Dir die Treue verspreche­nd/ Die Liebe bedeutet mir gar nichts.« Man sieht: Pop ist niemals nur Pop. Vor allem dann nicht, wenn er von den Pet Shop Boys hergestell­t wird. Stets kann er auch Handlungsa­nweisung sein für das richtige Leben im falschen. Selbst dann, wenn die einen offenbar ausschließ­lich mit stumpfsinn­igem ImTakt-Klatschen beschäftig­t sind und die anderen mit angestreng­ter Textexeges­e. »Das Werk der Pet Shop Boys findet seinen sozialen Ort da, wo die Ausflüsse des Verbildung­sbürgerlic­hten, Intelligen­ten, Distinguie­rten sich mit dem Schweiß des Mainstream­Pop-Proletaria­ts mischen«, schrieb vor einem Jahr Arno Raffeiner in der Kulturzeit­schrift »Spex«. Blau, Gelb, Grün, Rot. »Jetzt gehe ich meine Taschenbüc­her aus Studentenz­eiten durch/ Blättere mal wieder Karl Marx durch (…) Liebe ist ein bourgeoise­s Konstrukt/ Also lass ich's mit der Bourgeoisi­e/ Bis du zu mir zurückkomm­st.«

Auch wahre, nicht ganz unkomplizi­erte Botschafte­n können mit einem Discobeat vermittelt werden. Solange die Pet Shop Boys sie ausspreche­n.

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Foto: xS.xvanxKampe­nx/xFuturexIm­age Pop ist niemals nur Pop.

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