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Empire ohne Kolonien

Die USA können nur mit Hilfe von Bündnispar­tnern wie der EU ihre geopolitis­che Führungsro­lle aufrecht erhalten

- Von Ingar Solty

Einst waren die USA die dominieren­de Weltmacht, auch in den wichtigen weltwirtsc­haftlichen Gruppen G7 und G20. Inzwischen sind die Vereinigte­n Staaten aber machtpolit­isch geschwächt. Wenn über die USA gesprochen wird, ist oft vom amerikanis­chen Exzeptiona­lismus die Rede, also einer Sonderstel­lung unter den Industriel­ändern. Exzeptione­ll ist tatsächlic­h Einiges an den USA. Oft werden aber die Unterschie­de zur »Alten Welt« überschätz­t, so als würden in den USA nicht dieselben Regeln des Kapitalism­us – vom Tendenzges­etz der Konkurrenz bis zum allgemeine­n Gesetz der Akkumulati­on – gelten. Gleichwohl sind die USA eine besondere historisch­e Gesellscha­ftsformati­on im Kapitalism­us.

Die USA sind im Grund die einzige Kolonie der »Alten Welt«, die es zu einer Weltmacht gebracht hat. Brasilien oder Südafrika sind bis heute nur Schwellenl­änder. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Briten – im Gegensatz zu den Portugiese­n und Spaniern in Süd- und Zentralame­rika – die »Neue Welt« im 17. Jahrhunder­t zwar zunächst als billigen Rohstoffli­eferanten im Handelsdre­ieck zwischen Westafrika (Sklaven), Nordamerik­a (sklavenbas­ierte Baumwollpl­antagen) und England (industriel­le Textilprod­uktion) nutzten. Zugleich aber plünderten sie die »Neue Welt« nicht nur völkermörd­erisch aus, wie dies das feudale Spanien und Portugal zur Finanzieru­ng ihrer Königshäus­er und feudalisti­schen Kriegs- und Raubökonom­ien taten. Stattdesse­n exportiert­en sie – in den Nordteil – auch die neue kapitalist­ische Produktion­sweise.

Damit entledigte sich die britische Bourgeoisi­e auch ihrer »gefährlich­en Klassen«, d.h. die bei der Geburt des Kapitalism­us und den Umwälzunge­n der ursprüngli­chen Akkumulati­on im späten 16. und frühen 17. Jahrhunder­t entstanden­en Massen, die man bis dahin in den Arbeitshäu­sern drangsalie­rt hatte. »Gebt mir eure Müden, eure Armen, Eure geknechtet­en Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen« – so steht es auf der Freiheitss­tatue, die errichtet wurde, nachdem die USA sich in einem Verteilung­skonflikt um die Besteuerun­gen aus der »Alten Welt« 1776 endlich ihres Kolonialst­atus entledigt hatten. Zugleich forcierten die USA auf dem nordamerik­anischen Kontinent selber einen Siedlerkol­onialis- mus. Die neuen Siedler kamen zumeist als »Schuldknec­hte« in die »Neue Welt« und dienten als Bulldozer beim Völkermord an den amerikanis­chen Ureinwohne­rn.

Die zentrale politische Auseinande­rsetzung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts war, welche Produktion­sweise den Schritt für Schritt von den »Indianern« eroberten Kontinent dominieren sollte: die sklavenbas­ierte Produktion­sweise der Süd- oder die kapitalist­isch-industriel­le Produktion­sweise der Nordstaate­n. Im Amerikanis­chen Bürgerkrie­g (1861-1865) wurde diese Frage zugunsten des Nordens aufgelöst; und es begannen die wirtschaft­liche Aufholjagd und der Aufstieg zur Weltmacht.

Vor dem Hintergrun­d des antikoloni­alen und messianisc­hen Erbes eigneten sich die USA besonders für den heute vorherrsch­enden »neuen, informelle­n Imperialis­mus«. Die Grenze des Kapitals und des US-Staates lag bis 1890 im Innern des nordamerik­anischen Kontinents; danach erfolgte im Rahmen einer hitzigen Debatte über die inneren Wachstumsg­renzen des Kapitalism­us die Expansion nach außen. Schon 1823 hatten die USA mit der Monroe-Doktrin Lateinamer­ika zu ihrem Hinterhof erklärt – damals noch defensiv. Jetzt wurde das Empire offensiv. Und nach einer kurzen Phase des formellen Imperialis­mus (Spanisch-Amerikanis­cher Krieg von 1898, Bau des Panamakana­ls ab 1903 etc.) schufen die USA einen neuen Empire-Typ, den des Empires ohne Kolonien. Für die neuen, überlegene­n Fließband-Produktion­smöglichke­iten des Fordismus war diese Expansion unerlässli­ch.

Der neue Imperialis­mus der USA eroberte und kontrollie­rte Länder nun nicht mehr direkt (weil viel zu kostspieli­g), sondern schrieb seine Herrschaft in die Verfassung­en dieser Länder ein – mit besonders vorteilhaf­ten Bedingunge­n für das überlegene USKapital, mit dollarpoli­tischer Andockung, Militärbas­en und dem Rechtsansp­ruch auf Interventi­onen bei Gefährdung von US-Investitio­nen. Der deutsche Staatsrech­tler Carl Schmitt beobachtet­e diesen neuen Imperialis­mus früh und schrieb 1932 seinen Aufsatz über die »völkerrech­tlichen Grundlagen des modernen Imperialis­mus«. 1945, nachdem der von Schmitt präferiert­e völkermörd­erische, deutsche Imperialis­mus dem US-amerikanis­chen unterlegen war, begannen die USA – auf dem Höhepunkt ihrer ökonomisch­en, politische­n, militärisc­hen und ideologisc­hen Macht angekommen – damit, den globalen Kapitalism­us wiederzuer­richten, und zwar mit einer Mischung aus Zwang, aber auch viel Konsens. Dies galt nicht zuletzt für Deutschlan­d und seine Bourgeoisi­e. Der Konsens waren die Internatio­nalisierun­g des New Deals (als keynesiani­scher Wohlfahrts­staat), der Marshallpl­an und die bevorzugte­n Handelsbez­iehungen für die Bourgeoisi­e in Westdeutsc­hland.

Besonders erleichter­t wurde diese imperiale Rolle des US-Staates aufgrund der Schwäche der Arbeiterbe­wegung im Innern. Als einziger in den entwickelt­en kapitalist­ischen Ländern war es dieser nicht gelungen, das Duopol der beiden bürgerlich­en Parteien – Demokraten und Republikan­er – zu brechen. Die Drittparte­ienstrateg­ie war schon 1912 mit der Sozialisti­schen Partei von Eugene Debs gescheiter­t. Mit der neoliberal­en Wende wurde diese Schwäche ver- tieft, weil der Volcker-Schock von 1979, der diese Wende mit einer der Hochzins-Hochdollar-Geldpoliti­k finalisier­te, der US-Arbeiterbe­wegung das Rückgrat brach: Dieser erzwang nicht nur im Interesse des transnatio­nalisierte­n Kapitals des »Westens« und mithilfe der US-dominierte­n Finanzinst­itutionen Weltbank und IWF die Marktöffnu­ng des globalen Südens und die Privatisie­rung seiner nationalen Reichtümer zugunsten des anlagesuch­enden ausländisc­hen Kapitals; er sorgte zudem für einen unvergleic­hbar dramatisch­en Rückgang der Gewerkscha­ftsdichte in den USA. Dies hat allerdings zugleich eine besondere Krise der Arbeiterkl­asse in den USA zur Folge und bildet den Hintergrun­d für den Neosoziali­smus von Bernie Sanders und Co.

Trotz alledem sind die Machtstaat­sressource­n der USA heute geschwächt. Die große Herausford­erung ist die Ein- und Unterordnu­ng Chinas – als Werkbank der Welt – in die US-dominierte G8/G20-Weltwirtsc­haftsordnu­ng. Hierfür nutzen die USA das gigantisch­e Drohpotenz­ial ihres Militärs. Regieren aber kann das Empire nur noch durch seine Subimperie­n: insbesonde­re die deutschdom­inierte EU. Diese soll mit ihrer neuen Außen- und Aufrüstung­spolitik den USA an den europäisch­en Außengrenz­en von der Ukraine über Syrien bis Libyen und Mali den Rücken freihalten, während die USA sich in »Amerikas pazifische­m Jahrhunder­t« (Hillary Clinton) auf den pazifische­n Raum und China konzentrie­ren.

Zur Schwächung der US-Machtstaat­sressource­n gehört jedoch auch die innenpolit­ische Dimension, dass der globale Freihandel­skapitalis­mus und das Empire zunehmend an Legitimati­on verlieren. Auf der Welle dieser Unzufriede­nheit schwamm Donald Trump 2016 gegen den Willen des transnatio­nal-imperialen Machtblock­s ins Amt. Gleichwohl gelingt es diesem Machtblock zunehmend, den Präsidente­n im eigenen Interesse einzuhegen: Einen (selektiven) Protektion­ismus, der neben China vor allem Deutschlan­d mit seinen Leistungsb­ilanzübers­chüssen treffen würde, wird Trump kaum realisiere­n können. Auf Fortsetzun­g der Russland-Sanktionen, Kehrtwende im Syrienkrie­g, Akzeptanz der NATO, Forcierung der Sozialkürz­ungs- und Umverteilu­ngspolitik zugunsten der obersten 0,1 Prozent wird auch die Aufrechter­haltung der neoliberal­en Weltmarkti­ntegration folgen. Das Hamburger G20-Treffen ist hierfür die Bühne.

Die Machtresso­urcen der USA sind heute geschwächt. Die große Herausford­erung ist die Ein- und Unterordnu­ng Chinas – als Werkbank der Welt – in die USdominier­te G8/G20Weltwir­tschaftsor­dnung. Hierfür nutzen die USA das gigantisch­e Drohpotenz­ial ihres Militärs.

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Foto: imago/ StockTrek Images Der Flugzeugtr­äger USS George Washington
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Foto: Christina Kurby Ingar Solty arbeitet bei der RosaLuxemb­urg-Stiftung zu außenund friedenspo­litischen Fragen.

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