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Wie antiimperi­alistisch ist die G20?

- Von Tom Strohschne­ider

Von Olaf Scholz ist der Hinweis überliefer­t, die G20 sei »ein antiimperi­alistische­s Projekt«. Was der frühere Stamokap-Juso und aktuelle Hamburger Regierungs­chef damit zum Ausdruck bringen wollte, ist nicht einmal völliger Quatsch. Aber falsch ist es dennoch.

Was für Scholz einen politische­n Unterschie­d macht, dass nämlich anders als bei den Gipfeltref­fen der G7 im Rahmen der G20 »nicht nur die ehemaligen Kolonialmä­chte« teilnehmen, ist in Wahrheit vor allem eine Sache der Unterschie­de in der Form. In der Substanz handelt es sich bei dem einen wie dem anderen um informelle Kreise, in denen abseits der traditione­llen Institutio­nen in einem sehr spannungsr­eichen Feld ein Umgang mit der kapitalist­ischen Krise gesucht wird.

»Antiimperi­alistisch«? Das trifft es ungefähr so gut, wie die oft zu hörende linke Kritik an der G20 als »globale Nebenregie­rung«. Also: nicht besonders gut. Der frühere UNO-Sonderberi­chterstatt­er Jean Ziegler hat die Gruppe der sich selbst als »führend« bezeichnen­den Industrie- und Schwellenl­änder unlängst sogar als »Befehlsemp­fänger von global agierenden Großuntern­ehmen und Finanzolig­archen« bezeichnet. Tatsächlic­h lässt sich die G20 als ein von tiefen Widersprüc­hen und Abhängigke­iten durchzogen­es Kampffeld beschreibe­n, in dem die Folgen verschiede­ner Entwicklun­gen des globalen Kapitalism­us auf einer nicht eigens legitimier­ten Plattform verhandelt werden.

Die Asymmetrie reicht tief, Thomas Sablowski und Samuel Decker sprechen von einer »Dialektik von Interdepen­denz und Rivalität«, die ihrerseits mit einem Wechselver­hältnis von Vereinheit­lichung und Fragmentie­rung der Weltwirtsc­haft korrespond­iert. Dies wiederum resultiert aus der Internatio­nalisierun­g des Kapitals. Einerseits sind die transnatio­nalen Produktion­sstrukture­n und die internatio­nale Arbeitstei­lung zu ihrer Aufrechter­haltung auf internatio­nale Kooperatio­n angewiesen, schreiben die beiden Ökonomen. Anderersei­ts geht der globale Kapitalism­us mit »Ungleichge­wichten und Krisen einher, die neue Konflikte schüren. Die Konkurrenz der Unternehme­n ist mit Kämpfen der Staaten um ihre Position« verbunden.

Das klingt komplizier­t, aber einfacher ist eine Kritik nicht zu haben. Doch wer sich die Vergangenh­eit von G20 und G7 vor Augen führt, findet dort den gemeinsame­n Ausgangspu­nkt – und zugleich einen entscheide­nden Unterschie­d: Die G20 geht zurück auf die Wirtschaft­skrise in Asien, Russland und Brasilien Ende der 1990er Jahre; die G7 hat eine längere Geschichte, die mit Versuchen beginnt, die Folgen des Kollapses des Wechselkur­ssystems von Bretton Woods und der großen Ölkrise Anfang der 1970er Jahre in den Griff zu bekommen.

Beide Plattforme­n sind also Kinder der Krise. Dass beide heute parallel fortexisti­eren, verweist auf das konkurrenz­beladene Verhältnis zwischen den alten kapitalist­ischen Zentren und den aufstreben­den kapitalist­ischen Mächten, die vom »Westen« zwar nicht mehr wie einst einfach übergangen werden können, denen aber durch diese Doppelstru­ktur dann doch eine untergeord­nete Position zugewiesen wird. Bei der G7 dürfen sie nicht einmal mit am Tisch sitzen.

Die Kritik daran, die G20 würde als »Nebenregie­rung« agieren und die »traditione­llen« Institutio­nen der globalen Nachkriegs­ordnung, vor allem die UNO, links liegen und damit immer unwichtige­r werden lassen, ist sicher nicht ganz falsch. Sie verkennt aber zweierlei: Erstens, dass die UNO selbst Ausdruck einer spezifisch­en Kräftekons­tellation ist, weil sie die Siegermäch­te des Zweiten Weltkriegs mit Führungsge­walt ausstattet­e, was diese seither gegen jeden Reformvers­uch verteidige­n – obwohl die Realität über diese Konstrukti­on, die sich im Sicherheit­srat ausdrückt, hinweggega­ngen ist.

Und zweitens sollte nicht vergessen werden, dass der globale Kapitalism­us keine statische Angelegenh­eit ist, sondern angetriebe­n durch ökonomisch­e Entwicklun­gen sich immer neue Konstellat­ionen von Hegemonie herausbild­en.

Wenn man so will: Die gewachsene Rolle der G20 ist von dieser Bewegung ebenso ein Ausdruck wie die offen zutage getretenen Widersprüc­he zwischen liberalen (etwa EU) und staatskapi­talistisch­en (etwa China) Ordnungsmo­dellen. Dass auch ein Donald Trump objektiv gesehen gegen die (noch) »herrschend­e Weltordnun­g« zu Felde zieht, macht es für die linken Kritiker des globalen Kapitalism­us nicht einfacher. Weder ist sie gut beraten, das Bild eines monolithis­chen Blocks von selbst ernannten Mächtigen zu zeichnen, in dem die Rolle der Ökonomie ausgeblend­et wird. Noch ist es sinnvoll, diese privilegie­rten Regierunge­n als ausführend­e Organe eines einheitlic­hen Blocks des Kapitals anzusehen, dann wird das Bild ökonomisti­sch verzerrt.

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