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Ein europäisch­er Abschied

Helmut Kohl wurde der erste europäisch­e Trauerakt überhaupt zuteil. Es wurde ein Gedenken mit Botschaft

- Von Tom Strohschne­ider

Helmut Kohl wurde in Straßburg unter der EU-Flagge verabschie­det. Ein Signal an jene, die darin keine europäisch­e Geste erkennen wollten, sondern Verrat an einem deutschen Staatsbegr­äbnis witterten. Als Angela Merkel nach ihrer Trauerrede für Helmut Kohl im Europaparl­ament der Ehefrau des Altkanzler­s noch einmal persönlich kondoliert, sieht es fast so aus, als drücke Maike Richter-Kohl die Hand der vor ihr stehenden CDU-Vorsitzend­en ein bisschen länger als diese damit gerechnet hat. Merkel lächelt. Und auf den Lippen jener Frau, die in ins Zentrum der Konflikte um den Abschied von Helmut Kohl geraten ist, liest man ein Dankeschön.

Der Tod des Altkanzler­s hatte einerseits die nächste Folge eines ohnehin schon medial ausgebreit­eten Familiendr­amas in Gang gesetzt. Anderersei­ts war Maike Kohl-Richter für einige zur Unperson geworden, weil sie in der Frau die Gegenfigur zu dem sehen wollten, was als »richtiges KohlGedenk­en« zu gelten habe – mal mit nationalis­tischer Verve, mal in parteipoli­tischem Zorn.

Beide Nuancen kommen an diesem Samstag in Straßburg im Europaparl­ament zur Sprache – sie werden zurückgewi­esen in leisen Nebenbemer­kungen und doch in aller Deutlichke­it. Etwa in der Rede des EUKommissi­onspräside­nten Jean-Claude Juncker, der den ersten europäisch­en Trauerakt gegen jene verteidigt, die darin so etwas wie den Verrat an einem deutschen Staatsbegr­äbnis sehen. Die Trauerfeie­r in Straßburg, so sagt es Juncker, sei »nicht nicht-deutsch, sie ist europäisch, also auch deutsch«.

Es ist der Hinweis auf eine Haltung, die viele der Redner von Straßburg an Kohl herausstre­ichen. »Er sprach von einem europäisch­en Deutschlan­d und wollte nie wieder ein deutsches Europa erleben«, sagt etwa der frühere spanische Ministerpr­äsident Felipe González.

Natürlich, das bei diesem Trauerakt so oft gebrauchte Wort vom »Großen Europäer« überdeckt, dass der Altkanzler mitverantw­ortlich für das ökonomisch­e »Wie« einer marktkonfo­rmen EU-Integratio­n zu machen ist. Dass er bei aller Anerkennun­g der Notwendigk­eit politische­r Vertiefung nichts Wesentlich­es dazu beitrug, dass politische und soziale Rechte gegenüber den »Marktfreih­eiten« gestärkt wurden. Es überdeckt, dass nun auch Leute Kohls Distanz zu einem deutschen Europa abfeiern, die selbst tatkräftig die Berliner Hegemonie zu wahren trachten.

Ein zweiter Konflikt um die Straßburge­r Trauerfeie­r hatte eine parteipoli­tische Schlagseit­e. Es ging um die Frage, ob eine Rede Merkels in Straßburg am Sarg verhindert werden sollte und warum der Bundespräs­ident nicht sprechen würde – der einen wurde innerparte­iliche Feindschaf­t nachgesagt, dem anderen parteiüber­greifende. Auch hier wurde Maike Kohl-Richters Name genannt. Als mutmaßlich­er Strippenzi­eherin.

Steinmeier ist als Gast dabei, die Kanzlerin spricht. Politisch ist das, was sie sagt, so richtig, wie es ohne Ausrufezei­chen bleibt. Ohne Kohl wäre das Leben von Millionen »völ- lig anders verlaufen«, das ist wahr – es ist vielen aber auch die Möglichkei­t genommen worden, darüber selbst zu entscheide­n, wie dieser andere Verlauf hätte aussehen können. Und wahr ist auch, Kohl hatte eine »außenpolit­ische Maxime« – ein Europa, in dem es nie wieder Krieg gibt. Doch hatte der Altkanzler nicht ebenso das Glück, rechtzeiti­g abgewählt zu werden, bevor erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Bomben auf ein europäisch­es Land fielen?

Merkel dankte Kohl nicht zuletzt für die Chancen, die er ihr selbst gab – im politische­n Leben. Es waren Chancen, die die Ostdeutsch­e in einer Weise ergriff, die sich der Altkanzler aus dem Westen vielleicht nie vorstellen mochte. Doch darum, um Rückblick, geht es an diesem Samstag in Straßburg weniger.

Was hier an erinnernde­n Worten ausgesproc­hen wird, gilt der Zukunft. Und wenn auch die Botschaft, Europa zu reformiere­n, weil es mehr sein kann als die Summe seiner nationalen Teile, nicht notwendige­rweise eine linke Richtung nehmen muss, so ist sie doch besser als jeder Versuch, die Geschichte zurückzudr­ehen und irgendein Heil im nationalen Rückzug zu suchen.

In seinen Erinnerung­en hat Helmut Kohl einmal von »Begräbnisd­iplomatie« gesprochen. Was der Altkanzler meinte: Der Ehrung für prominente politische Tote wohnt immer auch eine Chance der Verstän- digung bei. Kohl habe mit seinem Tod und dem europäisch­en Trauerakt sozusagen erzwungen, so hat es die Grüne Renate Künast an diesem Samstag formuliert, »dass sich alle versammeln und sich fragen: Was ist unsere Verantwort­ung für Europa?«

Das ist es, was dieser Trauerakt schafft. Ein letzter Gruß von Kohl. Die, die anreisen, werden von den drei Spitzen der EU begrüßt. Am Ende seiner Ansprache dankt EU-Kommission­schef Juncker in allen europäisch­en Sprachen. Der Sarg mit der EU-Flagge wird herausgetr­agen. Um 13.09 Uhr fahren die Wagen mit dem Sarg und den Angehörige­n davon. Zu den nächsten Stationen des Abschieds. In eines der EU-Länder. In eine Kirche.

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Foto: dpa/Marijan Murat Trauerakt in Straßburg

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