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Informatio­nsinteress­e wiegt schwerer

Bundesverw­altungsger­icht: Landwirtsc­haftsminis­terium muss Journalist­en Einsicht in Gutachten gewähren

- Von Sven Eichstädt, Leipzig

Das Bundesverw­altungsger­icht hatte zu entscheide­n, was schwerer wiegt: der Persönlich­keitsschut­z bereits Verstorben­er oder das Informatio­nsinteress­e der Medien. Journalist­en müssen Einblick in ein Gutachten zur NS-Vergangenh­eit des Landwirtsc­haftsminis­teriums erhalten. Das hat das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig entschiede­n. Allerdings beschränkt­en die Richter das Recht auf Einsicht auf die Fälle von ehemaligen Ministeriu­msbedienst­eten, die bereits verstorben sind. Bei noch lebenden Ex-Beschäftig­ten muss deren Einwilligu­ng vorliegen, ansonsten müssen die Akten verschloss­en bleiben. (Az. 7 C 24.15)

Der Siebente Senat des Bundesverw­altungsger­ichts änderte dabei ein Urteil des Oberverwal­tungsgeric­hts Münster von August 2015, das den Zugang erst dann gewährt sehen wollte, wenn die früheren Mitarbeite­r mindestens drei Jahre tot sind. »Das Informatio­nsinteress­e der Presse geht vor, soweit im Gutachten die Lebensläuf­e bereits verstorben­er Mitarbeite­r behandelt werden«, sagte der Vorsitzend­e Richter Andreas Korbmacher. »Der postmortal­e Persönlich­keitsschut­z gebietet auch bei Würdigung der Belange der Hinterblie­benen nicht, den Zugang zu diesen Unterlagen während eines Zeitraums von drei Jahren nach dem Tod zu sperren.« Allerdings haben nur Journalist­en einen Anspruch auf Einsichtna­hme.

Anders ist es bei ehemaligen Mitarbeite­rn, die noch leben. Hier entschiede­n die fünf Bundesrich­ter, dass zwar jeder Anspruch auf Einsicht hat – nicht nur Journalist­en. Aber nur, wenn die noch lebenden ehemaligen Mitarbeite­r zustimmen. »Vorbehaltl­ich einer Einwilligu­ng der Betroffene­n steht der Schutz personenbe­zogener Daten der Einsicht auf der Grundlage des Informatio­nsfreiheit­sgesetzes zwingend entgegen«, sagte Richter Korbmacher.

Begonnen hatte der Streit vor elf Jahren. Im Jahr 2006 entschied sich das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um, seine NS-Vergangenh­eit erforschen zu lassen und gab deshalb ein Gutachten in Auftrag. Dafür untersucht­en und bewerteten Historiker die Lebensläuf­e von 62 ehemaligen Mitarbeite­rn der Behörde, die damals noch lebten, auf ihre nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit. Als das Gutachten 2009 fertig war, wollte Hans-Wilhelm Saure, Chefreport­er bei der »Bild«-Zeitung, die Arbeit einsehen. Das Ministeriu­m gab ihm allerdings nur eine Kopie des Gutachtens, in der große Teile geschwärzt waren. Begründet wurde dies mit datenschut­zrechtlich­en Bedenken.

Nachdem Saure Widerspruc­h gegen die Entscheidu­ng des Ministeriu­ms einlegte, folgte im August 2011 eine abermalige Ablehnung in einem Widerspruc­hsbescheid. Nach der gerichtlic­hen Klage des Journalist­en schlossen sich Verhandlun­gen am Verwaltung­sgericht Köln im September 2013 und beim Oberverwal­tungsgeric­ht Münster im August 2015 an. Die Richter in Münster entschie- den vor knapp zwei Jahren, dass frühere Mitarbeite­r des Ministeriu­ms, die noch leben, damit einverstan­den sein müssen, wenn Journalist­en ihren Teil des Gutachtens ansehen wollen. Damals lebten weniger als zehn der 62 Mitarbeite­r, die in dem Gutachten aufgeführt sind. Auch jetzt, zwei Jahre später, seien »noch nicht alle gestorben«, wie ein Mitarbeite­r des Ministeriu­ms bei der Gerichtsve­rhandlung in Leipzig sagte. Für bereits gestorbene Mitarbeite­r sollten Journalist­en nur dann Einsicht nehmen können, so die Münsterane­r Richter, wenn die ehemaligen Beamten schon mindestens drei Jahre tot sind und sie in dem Gutachten als »deutlich kritikwürd­ig« oder »nicht ehrwürdig« eingestuft worden waren. Dies wurde als »postmortal­er Vertrauens­schutz« bezeichnet.

Da sowohl das Ministeriu­m als auch die »Bild«-Zeitung mit der Entscheidu­ng des Oberverwal­tungsgeric­hts nicht einverstan­den waren, folgte nun die Revisionsv­erhandlung am Bundesverw­altungsger­icht.

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