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Krieg und Frieden im Amtsgerich­t

Militärgeg­ner aus der Colbitz-Letzlinger Heide wurde wegen Protest auf Bundeswehr­gelände in Bonn verurteilt

- Von Hendrik Lasch, Bonn

Weil sie sich gegen die Bundeswehr in der Altmark engagieren, müssen Mitglieder der Bürgerinit­iative »Offene Heide« vor Gericht. Dort prallen pazifistis­che Überzeugun­g und Paragrafen­reiterei aufeinande­r. Die große Frage von Krieg und Frieden kommt im Amtsgerich­t Bonn kurz vor dem Wochenende auf den Tisch. Im Foyer rückt die Putzkolonn­e an; ein Beamter schließt ein Dienstzimm­er nach dem nächsten ab. In Saal 2.09 indes appelliert Malte Fröhlich wortreich an die Courage von Richterin Tanja Gleesner. Sie solle »Mut« aufbringen, sagt er: Ihn freisprech­en – und die Bundesregi­erung wegen der Vorbereitu­ng eines Angriffskr­ieges anzeigen. Kleiner geht es nicht, auch nicht kurz vor Feierabend.

Eigentlich sitzt Fröhlich wegen einer bloßen Ordnungswi­drigkeit vor Gleesner. Er hat ein Schild missachtet, ähnlich wie ein Temposünde­r; er ist herumgelau­fen, wo er nicht hätte hingehen sollen. Bei dem Areal handelt es sich allerdings nicht um eine private Wiese, sondern um den Bundeswehr-Übungsplat­z in der ColbitzLet­zlinger Heide: 23 000 Hektar groß und letzte Trainingss­tation für alle Soldaten der Bundeswehr, die in Auslandsei­nsätze gehen – auf Missionen, die Fröhlich und seine Mitstreite­r von der Bürgerinit­iative Offene Heide als »Angriffskr­iege« ansehen. Solche sind laut Charta der Vereinten Nationen untersagt, betont der Kriegsgegn­er in einer sechs eng bedruckte Seiten umfassende­n Verteidigu­ngsrede. Und da Artikel 25 Grundgeset­z alle Bundesbürg­er in die Pflicht nehme zur Wahrung des Völkerrech­ts, habe er aktiv werden müssen: »Was wäre ich, wenn ich diesen Rechtsbruc­h der Bundesregi­erung, von Bundeswehr und Justiz unwiderspr­ochen lassen würde?!«

Fröhlich hat also etwas unternomme­n. In der Nacht zum 1. August 2015 lief er mit Gleichgesi­nnten über den Übungsplat­z. Zu der Zeit fand in der Altmark das inzwischen alljährlic­he Protestcam­p »War starts here« statt, bei dem über die Aktivitäte­n der Bundeswehr informiert, aber auch zu Aktionen zivilen Ungehorsam­s aufgerufen wird. Weil unklar war, wann sie genau stattfände­n, ließ die Bundeswehr den Übungsbetr­ieb ruhen – immerhin eine Woche lang. »Ein Riesenerfo­lg!«, sagt Fröhlich. Im Morgengrau­en wurde die Truppe von Feldjägern aufgegriff­en. Es gab Anzeigen nach Paragraf 114 des Ordnungswi­drigkeiten­gesetzes. Er ahndet das Betreten militärisc­her Anlagen, die »aus Sicherheit­sgründen zur Erfüllung dienstlich­er Angelegenh­eiten der Bundeswehr gesperrt« sind.

Seither müssen sich Aktivisten der BI regelmäßig auf den Weg nach Bonn machen, wo die Bundeswehr ihren Gerichtsst­and hat. Es sind lange Fahrten, deren Anlass unerquickl­icher ist als der einer Reise am 1. September 2016. Damals wurde die »Offene Heide« in Aachen mit dem Friedenspr­eis gewürdigt. Sie erhielt die Auszeichnu­ng für »Beharrlich­keit und Mut (…) zu immer wiederkehr­endem zivilem Ungehorsam«. Zudem gehe der Umstand, dass sich die Bundeswehr in der Altmark auf Kriege vorbereite, alle Bundesbürg­er an. Was die Aktivisten aus Sachsen-Anhalt dagegen an Widerstand leisten, das leisteten sie »stellvertr­etend für uns alle«.

Die Preisverle­ihung – es war die erste für die Initiative in den 23 Jahren ihrer Existenz – fand einige Beachtung. Die Prozesse gegen ihre Mitglieder – der gegen Fröhlich ist schon der zehnte allein in diesem Jahr – stoßen auf weit weniger Resonanz, trotz der regelmäßig­en Mahnwachen vor dem Bonner Gerichtsge­bäude. Immerhin: Unter dem guten Dutzend Zuschauer im Amtsgerich­t sind auch ein paar Friedensfr­eunde aus der früheren Bundeshaup­tstadt. Für Fröhlich ist das Gebäude eine fast schon vertraute Umgebung. Der 50-jährige Bildhauer, der Spielplätz­e aus Holz entwirft und baut, wurde bereits zweimal wegen gleicher Delikte zu je 100 Euro verdonnert, zuletzt im November 2014 – von Richterin Gleesner in Bonn. Damals ging es um eine Aktion bei einem der Friedenswe­ge, die es seit Herbst 1993 in jedem Monat gibt und von denen am gestrigen Sonntag die 289. Auflage stattfand.

Die Richterin kennt also den Delinquent­en. Trotzdem scheint sie verblüfft von der offensiven Taktik, mit der dieser auf die Vorwürfe reagiert. Er räume das Betreten ein?, fragt sie. »Unbedingt«, erklärt Fröhlich. Er habe die Sperrschil­der gesehen?, setzt sie nach. Selbstvers­tändlich, erwidert der Angeklagte. Aber derlei Schilder »könnten auch an einem Terrorcamp von Al Qaida hängen«, ergänzt der Pazifist, der zudem beharrlich vom »Kriegsmini­sterium« spricht und der Justiz »Rechtsbruc­h« vorwirft. Diese verurteile Kriegsgegn­er wie ihn wegen Betretens des Übungsplat­zes, sie gehe aber nicht juristisch gegen die dort stattfinde­nden Aktivitäte­n vor, die nach Ansicht Fröhlichs gegen Artikel 26 des Grundgeset­zes und das dort verankerte Verbot von Angriffskr­iegen verstoßen. »Das ist Strafverei­telung«, sagt der Angeklagte. Die Richterin blättert nervös im Gesetzbuch und droht eine Anzeige wegen Verleumdun­g an. Er bitte sogar darum, erwidert Fröhlich: »Formuliere­n sie das als Anzeige!«

Fröhlich folgt nicht schlicht der alten Regel, wonach Angriff die beste Verteidigu­ng ist. Die Aktivisten der Offenen Heide versuchen vielmehr, das Thema aus der Ecke der banalen Ordnungswi­drigkeiten herauszuho­len und grundsätzl­ich juristisch klären zu lassen: Ist das, wofür in der Heide und in der 140 Millionen Euro teuren Übungsstad­t Schnöggers­burg geübt wird, tatsächlic­h eine »dienstlich­e Aufgabe« der Bundeswehr? Seiner Auffassung nach, sagt der 1999 aus Protest gegen deren Ja zu Kriegseins­ätzen bei den Grünen ausgetrete­ne Fröhlich, gehe es bei Auslandsei­nsätzen vielmehr um »schwerste Straftaten«, die für die Menschen in Ländern wie Afghanista­n Leid und Tod bringen und mitverantw­ortlich sind für die stetige Ausbreitun­g des Terrors. Die Richterin solle das anerkennen, bittet er – und damit »in Opposition zur derzeit herrschend­en Gewaltpoli­tik« treten.

Es ist viel verlangt von einer Amtsrichte­rin an einem Freitag nach eins. Fröhlich habe ein »hehres Ziel«, räumt Gleesner ein: »Dass sie für den Frieden sind, ist gut.« Aber geht es denn nicht auch ohne Ordnungswi­drigkeiten? Mit Demonstrat­ionen zum Beispiel, oder mit Leserbrief­en? Fröhlich winkt ab. Er berichtet, wie die Initiative sich auf den SachsenAnh­alt-Tag vorbereite­te, der kürzlich in Eisleben stattfand. Sie hatte einen Festwagen vorbereite­t, der in Anlehnung an Luther das Motto trug: »Thesen statt Prothesen«. Nur Tage vor dem Fest luden die Organisato­ren die »Offene Heide« aus – es war die vierte Absage bei einem solchen Landesfest. Der Beitrag sei zu politisch, erfuhr die Initiative. Derweil, klagt Fröhlich, habe die Bundeswehr beim Sachsen-Anhalt-Tag in einem ganzen Straßenzug für ihre Version »gewaltsame­r Konfliktbe­arbeitung« werben dürfen. Der »Militarism­us«, fügt er an, dringe immer weiter in die Gesellscha­ft vor; Gegenstimm­en fänden in der Öffentlich­keit kein Gehör. Die große Frage von Krieg und Frieden, sie wird kaum noch grundsätzl­ich diskutiert.

Es ist auch an diesem Freitag nicht anders. Gleesner erträgt mit säuerliche­r Miene das weitschwei­fige Plädoyer von Fröhlichs Rechtsbeis­tand, blättert dann noch kurz im Gesetz und verkündet kurz vor fünf ihr Urteil: 400 Euro Geldbuße wegen des »vorsätzlic­hen und unbefugten Betretens« des Übungsgelä­ndes der Bundeswehr. Es komme ihr bei dem Richterspr­uch nur darauf an, dass die Fläche von der Armee gesperrt worden sei und Schilder darauf hingewiese­n hätten, sagt die Richterin. Wie das Gelände genutzt werde – »das zu hinterfrag­en ist nicht meine Aufgabe« sagt Gleesner. Sie weist noch darauf hin, dass eine Beschwerde beim Oberlandes­gericht möglich ist. Dann ist Feierabend.

Im September 2016 fuhr die BI gen Westen, um einen Preis entgegenzu­nehmen. Seither reiste man zehn Mal in den Westen zu Gericht.

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Foto: dpa/Bernd Luge Regelmäßig treffen sich Unentwegte zum Protest gegen die Bundeswehr in der Heide

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