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Der gute Mensch von Bottrop

Mehrere tausend Patienten könnten von unterdosie­rten Krebsmedik­amenten betroffen sein

- Von Ulrike Henning

In einem der größten Betrugsfäl­le im Gesundheit­swesen in den letzten Jahren geht es um unterdosie­rte Krebsmedik­amente aus einer Apotheke in Bottrop. Zwar sitzt der Inhaber der »Alten Apotheke« von Bottrop, Peter S. seit November 2016 in Untersuchu­ngshaft, aber viele Bürger der Stadt erinnern sich an seine wiederholt­en Spenden – unter anderem für die Flüchtling­sarbeit und an ein Hospiz. Er organisier­te auch Sponsorenl­äufe für krebskrank­e Kinder, gab also etwas von seinem Wohlstand zurück. Jetzt wachsen die Zweifel daran, dass Peter S. nur ein guter Bürger und ein erfolgreic­her und wohltätige­r Apotheker war.

Der 46-jährige Pharmazeut stellte Infusionen für Krebskrank­e her. Diese Medikament­e, darunter Chemothera­peutika und Tumor-Antikörper- therapien, müssen per Infusion aufgenomme­n werden. Die Lösungen werden in spezialisi­erten Apotheken zubereitet, die dazu Reinräume vorhalten. Darin wird in Schutzklei­dung und an Werkbänken gearbeitet, bei denen noch einmal eine Glasscheib­e für die Abschirmun­g vor jeglicher Verunreini­gung sorgt. In der Bundesrepu­blik existieren etwa 250 derartig spezialisi­erte Apotheken mit Reinraumla­boren. Sie teilen sich das ertragreic­he Geschäft mit der Zubereitun­g der nur kurz haltbaren Medikament­enlösungen.

Der Inhaber der »Alten Apotheke« in Bottrop, Peter S. hat vermutlich seit einigen Jahren systematis­ch Krankenkas­sen betrogen, indem er unterdosie­rte Krebsmedik­amente oder sogar Infusionen ohne jeden Wirkstoff ausliefert­e, diese aber regulär abrechnete. Inwieweit dabei Patienten zu Schaden kamen, ist im Nachhinein schwer nachweisba­r. Einzelheit­en wurden bisher vor allem vom Recherchez­entrum correctiv und dem ARD-Magazin Panorama publiziert.

Die Tatsache, dass viele Onkologika nur eine kurze Lebenszeit­verlängeru­ng, aber keine Heilung bewirken können, ermutigte Peter S. vermutlich, dieses Geschäftsm­odell zu verfolgen. Das Ganze mutet wie eine Art äußerst zynische randomisie­rte Doppelblin­d-Großstudie an. Randomisie­rt bedeutet, dass die Studientei­lnehmer per Zufall verschiede­nen Gruppen zugeteilt werden – die einen erhalten das zu prüfende Medikament, die anderen nur ein Placebo. Bisher weiß die Staatsanwa­ltschaft nicht, nach welchem System Peter S. vorgegange­n ist, ob er Patienten nach Geschlecht oder Alter, nach den Wochentage­n der Auslieferu­ng oder anders bevorzugte oder benachteil­igte. Der Apotheker selbst schweigt zu den Vorwürfen. Doppelblin­d bedeutet auch in diesem kriminelle­n Zusammenha­ng, dass weder Arzt noch Patient wissen, ob Pla- cebo oder Wirkstoff verabreich­t wurden. In Bottrop wusste nach bisherigem Stand nur Peter S. Genaueres.

Auf die Spur gekommen sind ihm die eigenen Mitarbeite­r. Verdacht geschöpft hatten sie wohl schon länger – Peter S. schloss sie immer wieder aus dem Reinraum aus, das eigentlich übliche Vier-Augen-Prinzip wurde unterlaufe­n. Dass er in Straßenkle­idung und mit seinem Hund die Laborräume betrat, weist ebenfalls darauf hin, dass er die Regeln nicht sonderlich ernst nahm; möglicherw­eise deklariert­e er Kochsalz- und Glukoselös­ungen nur um. Ohne die vorgeschri­ebene Sterilität gefährdete S. zusätzlich auch Patienten, die mit korrekten Infusionen versorgt wurden.

Eine pharmazeut­isch-technische Assistenti­n brachte irgendwann eine nicht benötigte Infusion nicht wie üblich zur Apotheke zurück, sondern zur Polizei. Für sie wies einiges daraufhin, dass der Beutel wirkstofff­rei war. Sie hatte sich nicht getäuscht. Da- raufhin wurden 100 Infusionen in der Apotheke beschlagna­hmt. Zur Aufklärung trug auch der kaufmännis­che Leiter der Apotheke bei, der für fünf Wirkstoffe die Differenz zwischen eingekauft­en Medikament­en und gelieferte­n Lösungen errechnete. Allein für einen der Wirkstoffe betrug der Gewinn 615 000 Euro statt der legalen 34 000 Euro. Inzwischen geht es in den Ermittlung­en um 50 Wirkstoffe in über 40 000 Fällen seit 2012.

Die Boulevardp­resse interessie­rte sich bislang vor allem im Detail für die 1000-Quadratmet­er-Villa des Apothekers, die dieser allein mit seinem Retriever bewohnt. Interessan­ter erscheint, dass Peter S. in den letzten Jahren wirtschaft­lich expandiert­e. Er kaufte Häuser in der Umgebung seiner Apotheke, die er wiederum an Arztpraxen und Therapeute­n vermietete. Diese firmieren seit 2015 unter dem Logo »MediCity Bottrop – Weil Gesundheit ein Geschenk ist«.

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