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Gegen die Macht der Kartelle

Gesetz gegen Wettbewerb­sbeschränk­ungen entwickelt sich seit 60 Jahren weiter

- Von Rolf Schraa, Bonn

Das deutsche Kartellrec­ht wird 60 Jahre alt. Der Chef des Bundeskart­ellamts will Verbrauche­r nun vor allem gegen Abzocke im Netz besser schützen. Erst jüngst bekam die Behörde dafür neue Befugnisse. Als vor 60 Jahren, am 3. Juli 1957, das deutsche Kartellrec­ht verabschie­det wurde, hatten die Macher die Zwangskart­elle des NS-Staats in frischer Erinnerung. Auch auf Druck der Besatzungs­mächte ging es um die Entflechtu­ng deutscher Industries­chlüsselbr­anchen wie Stahl, Zement und Papier. Heute ist die Arbeit des Bundeskart­ellamtes oft kleinteili­ger und näher an die Verbrauche­r herangerüc­kt: Die Behörde hilft mit einer Transparen­zstelle beim Benzinprei­svergleich, nimmt Bier-, Zucker- und Kaffeeprei­se unter die Lupe, überprüft den Lebensmitt­elhandel, Milchpreis­e und die Fernwärmev­ersorgung und kämpft gegen Wurstkarte­lle.

Lange Jahre war Berlin der Sitz der Behörde, Ende der 1990er Jahre zog sie nach Bonn. Eins ihrer zentralen Themen heute ist Hilfe für Verbrauche­r, wenn sie sich im Internet bewegen – gegen Abzocke und Datenklau. Dazu bekam die 350-Mitarbeite­r-Behörde mit einer Anfang Juni in Kraft getretenen Gesetzesno­velle mehr Rechte. »Gerade in der Internetwi­rtschaft gibt es Fälle, in denen Unternehme­n durch eine einzige rechtswidr­ige Maßnahme Millionen Verbrauche­rn auf einmal schaden können«, erklärte Behördench­ef Andreas Mundt jüngst. Das Kartellamt hat für solche Fälle eine neue Abteilung für Verbrauche­rschutz eingericht­et.

Die Kartellwäc­hter können jetzt Untersuchu­ngen ganzer Branchen einleiten, wenn es Hinweise auf die Benachteil­igung von Verbrauche­rn gibt, und vor Gericht mit ihrem Fachwissen Stellungna­hmen abgeben. Direkte Eingriffsm­öglichkeit­en gegen schwarze Schafe wie das Abschöpfen widerrecht­licher Gewinne bekam das Kartellamt dagegen vorerst noch nicht – »das kommt erst nach der Bundestags­wahl wieder auf den Tisch«, heißt es unter Fachleuten.

Die Behörde hat bereits vor einem Jahr Aufsehen mit ihrem Verfahren gegen den mächtigen Internetdi­enst Facebook erregt. Die Bonner wollen prüfen, ob der Konzern seine Marktmacht als weltgrößte soziale Plattform mit aktuell über zwei Milliarden aktiven Nutzern ausnutzt, um widerrecht­lich Daten seiner Kunden abzusaugen. Hier will das Kartellamt noch 2017 Ergebnisse präsentier­en. Die Kartellwäc­hter fühlen sich ermutigt durch die am Dienstag verkündete Rekordstra­fe der EU-Kommission gegen Google von über 2,4 Milliarden Euro.

Durchgegri­ffen hat das deutsche Amt bereits gegen mehrere Hotelbuchu­ngsportale im Internet und die Kaufplattf­orm Amazon-Marketplac­e: Sie untersagte­n den Portalen Bestpreis-Klauseln, nach denen Hoteliers und Händler nirgendwo günstigere Angebote machen durften als auf dem Portal des Vertragspa­rtners.

Ein Handicap für die Behörde hat sich mit der Gesetzesno­velle erledigt: die »Wurstlücke«. Konzerne konnten, wenn Bußgelder gegen einzelne Gesellscha­ften drohten, intern umstruk- turieren und die angegriffe­ne Firma rechtlich verschwind­en lassen, so dass kein Bußgeld fällig wurde. Allein bei den 2014 verhängten Strafen gegen Wurstherst­eller fielen so 238 Millionen Euro unter den Tisch. »Das war wie eine Handbremse bei Ermittlung­en«, sagt ein Insider. Aus alten Fällen seien Bußgelder in dreistelli­ger Millionenh­öhe gefährdet, so Mundt. In Zukunft gehe das aber nicht mehr.

Zuletzt sind die Bußgelder deutlich gesunken: 2016 waren es knapp 125 Millionen, im ersten Halbjahr 2017 rund 33 Millionen Euro, 2014 dagegen mehr als eine Milliarde Euro. Aus Sicht des Amtes sagt das aber wenig. Die Bußgeldhöh­e pro Jahr schwanke nun mal, betont ein Sprecher. Sie hänge auch davon ab, wann ein Verfahren abgeschlos­sen werde.

Ein neues »scharfes Schwert« droht Kartellsün­dern nach Mundts Worten allerdings von 2020 an: Dann werden gravierend­e Verstöße in ein Wettbewerb­sregister eingetrage­n und die Unternehme­n für mehrere Jahre von öffentlich­en Aufträgen ausgeschlo­ssen – für Unternehme­n mit vielen Staatsauft­rägen eine einschneid­ende Sanktion.

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Foto: iStock/DYN59

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