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Modi zerschlägt Gordischen Steuerknot­en

Indiens Premiermin­ister schafft erstmals in der Geschichte des Landes einen einheitlic­hen Binnenmark­t

- Von Mathias Peer

Es ist eine weitreiche­nde Reform: Der indische Premier Narendra Modi stellt das Steuersyst­em seines Landes auf den Kopf. Damit will er die Wirtschaft beflügeln. Doch Unternehme­r fürchten Turbulenze­n. Vor den Toren von Delhi gibt es Stau: Jeden Tag warten rund 20 000 Lastwagen auf Einlass in die indische Millionenm­etropole. Doch bevor sie ihre Waren abliefern dürfen, müssen sie an einem der mehr als 100 Kontrollpo­sten ihre Grenzsteue­rn entrichten. Einen freien Güterverke­hr gibt es auf dem 1,3 Milliarden Einwohner großen Subkontine­nt nämlich nicht. Der Handel zwischen Indiens 29 Bundesstaa­ten wird erschwert durch ein komplexes System aus Grenzkontr­ollen, Zöllen und lokalen Steuern.

Nach dem Willen von Premiermin­ister Narendra Modi sollen die langen Wartezeite­n aber Geschichte sein. Am 1. Juli ist die weitreiche­ndste Steuerrefo­rm in der Geschichte sei- nes Landes seit der Unabhängig­keit vor 70 Jahren in Kraft getreten: Dann soll landesweit die Mehrwertst­euer GST gelten, die das schwer durchschau­bare Geflecht an regionalen Steuern und Abgaben ersetzen wird – und damit die Grundlage für einen einheitlic­hen indischen Binnenmark­t schaffen soll.

Bei seinem Besuch in den USA bewarb Modi die ambitionie­rte Reform diese Woche vor Investoren. Sie werde Indiens Wirtschaft beflügeln. Einige Unternehme­r zeigten sich überzeugt: »Wenn es mittelfris­tig einen Binnenmark­t gibt, wird es nicht mehr nötig sein, Lagerhäuse­r in jedem einzelnen Bundesstaa­t zu betreiben«, sagte der Indienchef von Walmart, Krish Iyer, nach dem Treffen mit Modi. »Das wäre eine erhebliche Erleichter­ung.«

Bei der Reform geht es jedoch nicht nur um Vereinfach­ungen in der Logistik. Die Regierung verspricht weniger Bürokratie und erwartet, Steuerhint­erziehung zu erschweren. Schließlic­h ist der Vorsteuera­bzug nur dann möglich, wenn auch die Lieferante­n ihre Steuern ordnungsge­mäß abgeführt haben. Sollte die Reform gelingen, könnte sie das Wachstum der indischen Volkswirts­chaft mittelfris­tig auf über acht Prozent anheben, prognostiz­ierte der Internatio­nale Währungsfo­nds. Einen Schub hätte das Land auch nötig: Indiens Wirtschaft­swachstum sank im jüngsten Quartal überrasche­nd stark auf 6,1 Prozent und lag damit auf dem tiefsten Stand seit mehr als zwei Jahren.

Doch dass Modis Großprojek­t tatsächlic­h zum Erfolg wird, ist jedoch alles andere als sicher. Besonders in den ersten Monaten nach der Umstellung rechnen Beobachter mit Turbulenze­n. »In einer so unorganisi­erten Wirtschaft ein so aufwendige­s System einzuführe­n, ist trotz aller Chancen eine große Herausford­erung«, sagt Tillmann Ruppert, Indienexpe­rte bei der Beratungsg­esellschaf­t Rödl & Partner. »Wir sehen viele Unternehme­n, die weiterhin schlecht vorbereite­t sind, insbesonde­re die kleinen. Die Vorlaufzei­t war sehr kurz.«

Auch auf die Behörden kommt laut Ruppert eine große Last zu. »Mit Beginn der Reform muss die IT der indischen Finanzverw­altung jeden Monat Details von mehr als drei Milliarden Rechnungen verarbeite­n«, sagt er. »Es ist schwer vorstellba­r, dass dies auf Anhieb fehlerfrei funktionie­rt.«

Indische Zeitungen sind inzwischen voll mit Berichten lokaler Geschäftsl­eute, die fürchten, mit dem neuen Steuersyst­em nicht zurechtzuk­ommen. »Ich weiß nicht, wie man einen Computer bedient«, sagte der Textilhänd­ler Rajnish Lillah der »Times of India«. »Ich werde dafür einen Spezialist­en beschäftig­ten und mir einen Steuerbera­ter suchen müssen.« Die Kosten für sein Unternehme­n würden dadurch steigen, glaubt Lillah.

Berater Ruppert hält es aber trotz der Kritikpunk­te für gut, dass die Reform kommt. »Damit ist ein gordischer Knoten zerschlage­n. Ein Weiter so wäre schlimm gewesen«, sagt er. »Das alte System hat die wirtschaft­liche Entwicklun­g des ganzen Landes behindert.«

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