nd.DerTag

Die Dialektik des Mitregiere­ns

- Ellen Wesemüller über den Balanceakt der Berliner LINKEN

Die LINKE kann einem schon leid tun. Da müht sie sich redlich ab, eine schier endlose Liste von Dringlichk­eiten abzuarbeit­en, um aus Berlin endlich eine soziale Stadt zu machen – und erntet nichts als Undank seitens des großen Koalitions­partners und der außerparla­mentarisch­en Opposition. Und das, obwohl sie wirklich viel vorangebra­cht hat, ganz ohne ironischen Unterton: den Freizug der Turnhallen, das Sozialtick­et, das Vorschaltg­esetz, den höheren Mindestloh­n.

Das ist das Schicksal des Regierens, könnte man einwerfen, noch zumal in einer Koalition, und man hätte recht. Vielmehr ist erstaunlic­h, dass es noch nicht zum Bruch mit den vielen Initiative­n gekommen ist. Es gibt keine Tortenwürf­e und selbst die Studenten stellen sich brav an mit ihren Transparen­ten, bis sie mit dem Reden an der Reihe sind. Das mag daran liegen, dass auch sie keine Alternativ­e zur LINKEN haben und dass sie der Partei guten Grundes glauben, dass ihr die brutale Räumung des Kiezladens am Donnerstag­morgen mindestens unangenehm ist.

Gar nicht erstaunlic­h sind hingegen die ersten, selbstkrit­ischen Töne seitens der Parteiführ­ung: Ihr bleibt tatsächlic­h nichts anderes übrig, als die sozialen Bewegungen zu umwerben und um Zeit zu bitten, ihnen immer wieder zu versichern, dass man auf ihrer Seite stehe. Die LINKE vollzieht gerade nichts weniger als die Dialektik des Regierens – nicht auf jene verzichten zu können und zu wollen, denen man den Wahlsieg zu verdanken hat, es sich aber gleichzeit­ig mit ihnen zu verscherze­n: Denn es stimmt ja und stimmt gleichzeit­ig nicht, dass der Polizeiein­satz einzig die Verantwort­ung des Innensenat­ors sei. Die Verantwort­ung trägt auch Rot-Rot-Grün.

Es hört sich gut an, so etwas »nicht zu dulden«, wie auf dem Parteitag geäußert wurde. Verbal auf die Kritik zu reagieren, ist jedoch das Allerminde­ste, um zu überleben. Das wissen die Verantwort­lichen, ihre Nervosität ist nicht zu übersehen. Ab Montag muss dafür allerdings mehr als nur Worte gefunden werden.

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Foto: nd/Ulli Winkler

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