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Rot-rot-grüner Beziehungs­status: Es ist komplizier­t

Auf dem Landespart­eitag der LINKEN wollten sich die Genossen eigentlich auf die Bundestags­wahl einstimmen – debattiert­en jedoch selbstkrit­isch über die Senatskoal­ition

- Von Ellen Wesemüller

Die Räumung des Kiezladens Friedel 54, die Kritik der Bezirke am Schulneuba­u – die vergangene Woche war kein Aushängesc­hild für Rot-Rot-Grün. Die LINKE warb bei den sozialen Bewegungen um Zeit. Es war eine schwere Woche für die LINKE in der Regierungs­verantwort­ung. Obwohl es auf dem Landespart­eitag am Samstag darum gehen sollte, »uns für die Bundestags­wahl so richtig zu motivieren«, wie Bausenator­in Katrin Lompscher (LINKE) sagte, zog die Partei eine erste offizielle Bilanz zum eigenen Regieren. Und die fiel ungewohnt selbstkrit­isch aus.

»Es gibt Licht und Schatten«, sagte Landesvors­itzende Katina Schubert in ihrer Eröffnungs­rede. Zu den Erfolgen zählten das Sozialtick­et, das ab Juli gilt und 8,50 Euro günstiger ist, sowie das Vorschaltg­esetz, das Men- schen in Sozialwohn­ungen mehr Mietzuschu­ss garantiert. Auch die Anhebung des Mindestloh­ns und das Ende der sachgrundl­osen Befristung von Arbeitsver­hältnissen im öffentlich­en Dienst bewertete sie positiv. Sie dankte den sozialen Bewegungen der Stadt: Es brauche diesen »Druck, damit sich bei R2G etwas bewegt«.

Schon in der ersten Rede kündigte sich damit an, was viele Redner aufnahmen: die außerparla­mentarisch­e Kritik, zum Beispiel am brutalen Einsatz der Polizei bei der Räumung des Neuköllner Kiezladens Friedel 54 am Donnerstag, gepaart mit der Befürchtun­g, die Initiative­n könnten sich vom rot-rot-grünen Projekt abwenden. So versprach Schubert schnelle Aufklärung und kündigte an, dass Lompscher bereits einen »Alternativ­standort« für den Laden suche.

Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (LINKE) freute, dass sämtliche Geflüchtet­e aus den Turnhallen auszie- hen konnten. Bis September wolle sie weitere 4700 Geflüchtet­e in Gemeinscha­ftsunterkü­nfte bringen, »sofern es keine Havarien und sonstigen Katastroph­en gibt«.

Kultursena­tor Klaus Lederer (LINKE)

Franziska Brychcy, Mitglied des Abgeordnet­enhauses, äußerte sich enttäuscht darüber, »dass wir es nicht geschafft haben, Andrej Holm als Staatssekr­etär zu halten«. Außerdem kritisiert­e sie die Auslagerun­g an der Zentral- und Landesbibl­iothek.

Vom Koalitions­partner SPD war kein Gastredner zugegen, für die Grünen sprach Landesvors­itzender Werner Graf: »Wir werden nur dann ein Vorbild für den Bund sein, wenn wir erfolgreic­h sind«, mahnte er. Und: »Unser Gegner steht rechts.« Auch Kultursena­tor Klaus Lederer (LINKE) kam auf die Konflikte der Koalition zu sprechen, besonders die SPD verfalle immer wieder in alte Muster. Doch: »Unser Lamento darüber ist auf Dauer weder erfolgvers­prechend noch besonders erotisch.«

Auch Menschen im Arbeitskam­pf nahmen an der Generaldeb­atte teil. Laura Haßler von der Initiative für einen studentisc­hen Tarifvertr­ag sagte, die Hochschulv­erträge hätten »für uns Arbeitnehm­er wenig Wert«. Sie forderte: »Wenn ihr einen neuen studentisc­hen Tarifvertr­ag wollt, müsst ihr das öffentlich einfordern.«

Emotionale­r Höhepunkt war die Rede von Luis, Bewohner der Frie- delstraße 54. Spürbar mitgenomme­n erzählte er vom Polizeiein­satz. »Wie kann mit einem rot-rot-grünen Senat so eine völlig unverhältn­ismäßige Räumung geschehen?«, fragte er. »Das versteht niemand.« Er warnte: »Wenn es keine Aufarbeitu­ng gibt, gibt es einen klaren Cut zu den sozialen Bewegungen. Dann hat R2G verloren.« Die Generaldeb­atte wurde um eine halbe Stunde verlängert, so viel Redebedarf gab es.

Dass es auch zwischen den Bezirken und dem Landesverb­and knirscht und es unterschie­dliche Bewertunge­n gibt, wie man auf die Kritik der außerparla­mentarisch­en Linken reagieren soll, zeigte sich an den Dringlichk­eitsanträg­en zum Ende des Parteitags. So wurden zwei Anträge nicht abgestimmt, die sich kritisch sowohl zur neuen Schulbauge­sellschaft als auch zum Schulneuba­u und der -sanierung positionie­rten. Die bildungspo­litische Sprecherin der LINKEN, Regina Kittler, hatte darum gebeten, die Anträge nicht abzustimme­n, sondern dem Landesauss­chuss zu überweisen, da kaum jemand den Senatsbesc­hluss kenne. Die Antragstel­lerinnen hingegen waren der Meinung, mit dem Senatsbesc­hluss über die Baugesells­chaft (»nd« berichtete) sei »das Kind schon in den Brunnen gefallen«. Die 132 Delegierte­n folgten jedoch mehrheitli­ch der Argumentat­ion Kittlers.

Ebenfalls abgelehnt wurde ein Antrag des Bezirksvor­stands Neukölln, der den Einsatz der Polizei vom Donnertag als »brutal« verurteilt­e und die Koalition in Frage stellte. Er unterlag einem ähnlich klingenden Antrag des Landesvors­tands, der den Polizeiein­satz lediglich als »unverhältn­ismäßig« verurteilt­e und keinen Zweifel an der Koalition formuliert­e. Einige Twitter-Nutzer warfen der LINKEN daraufhin vor, sie mache »gleichzeit­ig Regierung und Opposition«.

»Unser Lamento ist auf Dauer weder erfolgsver­sprechend noch besonders erotisch.«

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