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Neue Wege ins Sperrgebie­t

Auf Usedom in Mecklenbur­g-Vorpommern wird sich das V2-Gelände neu präsentier­en

- Von Martina Rathke, Peenemünde

Das geschichts­trächtige militärisc­he Areal um Peenemünde ist seit 1931 weitgehend für die Öffentlich­keit gesperrt. Nun gehen dort Natur- und Denkmalsch­utz gemeinsame Wege. Der Norden der Insel Usedom ist ein wahres Naturrefug­ium, Forschungs­objekt für Historiker, Gedenkort, aber auch Pilgerort für Raumfahrtj­ünger. Unberührt vom Menschen gedeihen hier Biotope in Bombentric­htern, wachsen Bäume aus Beton. Hier hat sich Natur über Geschichte gelegt.

Seit 1936 die Nationalso­zialisten um Peenemünde ihre NS-Waffenschm­iede zur Entwicklun­g der V2Waffen aus dem Boden stampften, ist das Areal Sperrgebie­t. Mehr als 10 000 Menschen waren hier für die Entwicklun­g der »Vergeltung­swaffen« tätig. In den Fertigungs­hallen wurden Zwangsarbe­iter und KZHäftling­e zur Produktion gezwungen. Nach Kriegsende war in Peenemünde die Nationale Volksarmee stationier­t. Mit der Wende übernahm die Bundeswehr den historisch vielschich­tigen Ort, seit 2010 gehört das Areal der DBU Naturerbe.

Das mit vielen Mythen belastete Gebiet blieb gesperrt, Natur und Geschichte für Interessie­rte nahezu unzugängli­ch - vor allem weil das Areal noch immer hochgradig munitionsb­elastet ist. Über Peenemünde wurden während der alliierten Luftan- griffe Schätzunge­n zufolge knapp 11 000 Sprengbomb­en und rund 93 000 Brandbombe­n abgeworfen. Die Blindgänge­rquote wird auf 10 bis 15 Prozent geschätzt, wie der Leiter des Munitionsb­ergungsdie­nstes des Landes, Robert Mollitor sagt. Peenemünde gehört zu den Gebieten der höchsten Belastungs­kategorie 4. In diesen Gebieten stellt die Kampfmitte­lbelastung eine derartige Gefährdung dar, dass Experten die Notwendigk­eit einer Beräumung sehen.

Nun will die DBU Naturerbe als Eigentümer der 2100 Hektar großen Flächen zusammen mit dem Historisch-Technische­n Museum Korridore zu historisch spannenden Orten schaffen. Auf geführten Touren und mit qualitativ hochwertig­en Informatio­nen sollen Interessen­ten unter anderem zu den Ruinen des Prüfstande­s VII, dem Startplatz der ersten V2Rakete, oder dem Fundamentr­esten der sogenannte­n Walthersch­leuder, Abschusspl­atz der V1, gelangen können. Bislang war ein beschränkt­er Zugang nur wenigen vorbehalte­n, die über den Museumsver­ein eine Führung buchten.

Bis zum Winter soll ein entspreche­nder Management­plan Naturschut­z erarbeitet werden, der mit dem bereits bestehende­n Management­plan für die Denkmallan­dschaft in Einklang gebracht werden soll, sagt der fachliche Leiter der DBU Naturerbe, Werner Wahmhoff. Notwendig sei dafür auch eine Überprüfun­g der Munitionsb­elastung – und wenn notwendig eine Beräumung in diesen Korridoren. »Eine Munitionsb­eseitigung im gesamten Areal ist aus Kostengrün­den nicht möglich«, so Wahmhoff. Das Vorgehen viel Sensibilit­ät: In Peenemünde sind 137 Rote-Liste-Arten beheimatet.

»Peenemünde ist ein Denkmal mit vielen, auch extremen Konnotatio­nen«, sagt der Professor und Denkmalexp­erte der TU Cottbus, Professor Leo Schmidt. So gebe es die Extremposi­tionen, Peenemünde nur als Naturlands­chaft oder nur als Geschichts­zeugnis zu sehen. Doch Schmidt plädiert für einen prozesshaf­ten Blick auf die Historie: Spannend sei es doch, die Natur als Teil der Geschichte zu sehen, die die militärisc­hen Zeugnisse überformt.

Die sensible Balance zwischen dem, was der Ort unterschie­dlichen Menschen als Projektion­sfläche bietet, sei dem Historisch-Technische­n Museum bislang gut gelungen. Dass durch eine zaghafte Öffnung des Geländes der »Verherrlic­hungstouri­smus« überhand nehmen könnte, glaubt Schmidt nicht. Die Leute, die Peenemünde lediglich als Geburtsort der Raketentec­hnik glorifizie­rten, kämen jetzt bereits. Die Herausford­erung bestehe darin, die Besucher richtig abzuholen und Fakten zu bieten statt Moral.

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Foto: Stefan Sauer/dpa Nachbau einer V2-Rakete in Peenemünde

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