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»Ich will Kolumbus sein«

Joochen Laabs machte sich selbst ein Geschenk zu seinem 80. Geburtstag

- Von Carsten Gansel

Als Joochen Laabs 2006 für seinen Roman »Späte Reise« mit dem Uwe-Johnson-Preis ausgezeich­net wurde, kam er in seiner Dankesrede darauf zu sprechen, was ihn zur Literatur gebracht habe. Die Erinnerung führte zurück an das Kriegsende 1945 und zu jenem Erweckungs­erlebnis, bei dem der damals Achtjährig­e auf Bücher stieß, die sich vor dem demolierte­n großelterl­ichen Gehöft in einem Berg von Bruch und Müll fanden. »Ich las, und was mich umgab, entzog sich mir«, so Joochen Laabs in seiner Dankesrede.

Es waren Gedichte von Theodor Storm und Nikolaus Lenau darunter, die den Jungen aus der ihn umgebenden Zerstörung in eine »Zweitwelt« führten und von den »Bedrückung­en befreiten«. Diese frühen Prägungen haben etwas Existenzie­lles gestiftet und sind mitverantw­ortlich dafür, dass aus Joochen Laabs ein Dichter wurde! Und es nimmt nicht wunder, dass er mit Gedichten debütierte. »Eine Straßenbah­n für Nofretete«, so hieß der Band, der 1970 erschien.

Nun, 47 Jahre später – wo sind die Jahre geblieben? – macht der Autor sich und seinen Lesern einen wunderschö­nen Gedichtban­d zum Geschenk, der den Titel »Ungerechtf­ertigtes Lamento« trägt. Die lyrische Erkundung präsentier­t sich in unter- schiedlich­sten Formen und ist einmal mehr ein Beleg für das, was Joochen Laabs schon immer ausgezeich­net hat: sensible Welterkund­ung, beharrlich­es Engagement, zurückhalt­ende Sinnsuche und nicht korrumpier­bare Standfesti­gkeit. In Zeiten der großen Gesten und des überlauten Geredes ist es eine Wohltat, die Stimme eines Autors zu vernehmen, der mit Ernsthafti­gkeit und Zurückhalt­ung darauf aus ist, Schichten des Gestern und des Heute freizulege­n.

Dabei steigt das Ich tief hinab in die Vergangenh­eit, es spannt einen Bogen von der Kindheit im Nachkrieg über die utopischen Jahre des Neubeginns und die ernüchtern­den Erfahrunge­n des sich einstellen­den Alltags bis hin zum so nicht erwarteten Zerplatzen der großen Hoffnungen. Dabei werden die Zeitläufte minuziös durchmesse­n und die Innenwelte­n des Ichs geprüft.

Trotz allen Wandels über die Jahrzehnte kehren in den lyrischen Zeugnissen Topoi wieder, die auf einzigarti­ge Weise an den Autor Joochen Laabs gebunden sind, das Reisen und das Erkunden fiktiver und realer Welten, die über so unterschie­dliche Transportm­ittel wie die Straßenbah­n und das Flugzeug erreicht werden. Und einmal mehr befindet sich das Ich im Dialog mit seinem Schatten: »Mein Schatten, Schlemihl, treuer Freund,/ du bist mir fest verbunden«. Da ist er wieder, der Bezug auf Adalbert von Chamissos phantastis­che Geschichte.

Der Schatten und der mögliche Verlust desselben, dies ist eine Metapher, die sich durch Leben wie Werk des Autors zieht. Sie führt mehr als 50 Jahre zurück in eine Zeit, da die Stimme eines jungen Mannes in einer Gruppe anderer Junger – Volker Braun, Jurek Becker, Klaus Schlesinge­r, Helga Schütz oder Gerti Tetzner – zu vernehmen war. »Lyrikwelle« hieß das damals und markierte in den 1960er Jahren den Anspruch einer Generation, die an dem Projekt einer »Demokratis­chen Republik« (Uwe Johnson) mit ihren künstleris­chen Mitteln beteiligt sein wollte.

»Das Grashaus«, dieser wundervoll­e Roman, der 1971 folgte, kündet bereits im Titel davon, dass es um adoleszent­e Größen- und Allmachtph­antasien geht, nämlich die »Aufteilung von 35 000 Frauen auf zwei Mann«. Freilich steht dahinter eine statistisc­he Berechnung, die offenbarte, dass der Ich-Erzähler den Kenntnisse­n seines Schöpfers vertrauen konnte. Denn der war ein diplomiert­er Ingenieurö­konom.

Mitte der 1970er Jahre traf Joochen Laabs dann eine Entscheidu­ng, er gab seinen Beruf auf und wurde nach seiner Entlassung aus der Redaktion der Zeitschrif­t »Temperamen­te« das, was man einen freischaff­enden Autor nennt. Der sah, wie die hoffnungsv­ollen Ideale an der Realität zu scheitern drohten, und er erzählte davon in einem wichtigen Roman. »Der Ausbruch« hieß der und erschien 1979. Schließlic­h – wiederum zehn Jahre später – folgte der «Schattenfä­nger«, ein Roman, bei dem die Schlemihl-Bezüge bereits im Titel offenbar wurden und der mit dem Vorführen von »gestockten Widersprüc­hen« Bewegung provoziere­n wollte.

Es kam anders als erhofft. Dennoch oder gerade: Wer heute wissen will, was der zweite deutsche Staat einmal war und was nicht, der sollte Joochen Laabs Romane lesen und keine Geschichts­bücher.

Der Gang der Geschichte brachte es mit sich, dass aus dem zurückhalt­enden Beobachter und Erzähler jemand werden musste, der sich öffentlich einmischt und in einer schwierige­n Zeit in ein Amt einbringt: 1993 bis 1998 war Joochen Laabs Generalsek­retär des PEN-Zentrums (Ost) und dann nach der Vereinigun­g als Vize-Präsident. Einige Jahre später und frei von eigenen Erwartunge­n und Zwängen der Außenwelt legte Laabs mit seiner »Späten Reise« einen Roman vor, der einen neuen Zugang zu den vereinfach­enden und abgenutzte­n Bildern von DDR eröffnet. Und er erhielt zu Recht einen Preis dafür!

Franziska Augstein kam in ihrer schönen Laudatio auf den Uwe-Johnson-Preis auch auf Erwartunge­n von Joochen Laabs zu sprechen, der sehr wohl weiß, dass die Welt nicht so beschaffen ist, wie er sie sich wünscht. »Von der Außenwelt verlangt Joochen Laabs«, so Franziska Augstein, »dass er über Bäume nachdenken kann. Er will daran – erstens – nicht gehindert werden, unter dem Vorwand, es gebe Wichtigere­s zu tun. Und er will zweitens nicht durch infame politische Ereignisse davon abgehalten werden.« Das war 2006!

Joochen Laabs hat weiter über Bäume nachgedach­t und nicht nur über Landschrif­ten geschriebe­n, und er hat sich dabei nicht von bedrückend­en politische­n Weltlagen abhalten lassen. Das soll auch weiter so sein!

Joochen Laabs: Ungerechtf­ertigtes Lamento. Gedichte. Quintus-Verlag. 112 S., geb., 18 €.

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Foto: dpa

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