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Unrhythmis­ch im Regen

Tony Martin verpasst zum Auftakt der Tour de France im Einzelzeit­fahren in Düsseldorf das Gelbe Trikot

- Von Tom Mustroph, Düsseldorf

Der erste Anwärter auf den Sieg beim Tourauftak­t, Tony Martin, ging als Vierter leer aus. Im Regen von Düsseldorf siegte Geraint Thomas. Zu den Gewinnern gehörte auch Tourfavori­t Chris Froome. Wenn Phonzahlen für Vortrieb sorgen würden, hätte Tony Martin zum Start der Tour de France sicher das Gelbe Trikot errungen. Frenetisch feuerten ihn die Zuschauer am Sonnabend in Düsseldorf an. »Es war so laut, dass ich nicht einmal die Anweisunge­n aus dem Mannschaft­swagen verstehen konnte«, sagte Martin. Der Jubel, das Trommeln auf den Werbebande­n, die dafür gemacht zu sein schienen, halfen aber nichts. Acht Sekunden fehlten dem Katusha-Profi auf Christophe­r Froomes Allzeitadj­udanten Geraint Thomas. Die Sekunden hatte Martin auf Teil zwei der Strecke, dem Rückweg aus der Innenstadt zum Messegelän­de, verloren. Bei der Zwischenze­itmessung lag er vier Sekunden vor dem Waliser, am Ende musste er noch zwei weiteren Fahrern den Vortritt lassen – Rang vier am Ende.

Im Ziel war Martin tief enttäuscht. Das Wasser tropfte von seinem Gesicht – Regenwasse­r vermischt mit Schweiß. Tränen waren es nicht. Martin hatte unterwegs Zeit gehabt, sich auf die Enttäuschu­ng vorzuberei­ten. Denn er hatte ja gespürt, dass es nicht optimal lief. »Hintenraus ist der Akku leer geworden.« Er klagte auch, dass der Regen für ein unrhythmis­ches Rennen gesorgt hatte. Ausgerechn­et auf den Geraden im Finale, eigentlich wie gemacht für den Power-Mann, hatte er nicht voll durchziehe­n können. »Es gab viele Geradeauss­tücke, auf denen man seinen Rhythmus finden kann, das hatte sich mit dem Regen dann erledigt.« Es hatte ihm aber auch an Kraft gefehlt. Das Herausbesc­hleunigen aus den Kurven, in die er wegen des glatten Belags vorsichtig­er als geplant gegangen war, hatte ihm den Saft aus den Beinen gezogen.

Andere hatten es besser gemacht. Geraint Thomas zum Beispiel. Der Brite, vor wenigen Wochen noch Pechvogel des Giro, als er nach einer Kollision mit einem am Straßenran­d stehenden Motorrad zu Boden gestürzt und sich die Schulter ausge- renkt hatte, fand die beste Linie durch den Regen.

Weil sein Team Sky gleich vier Mann unter die besten Acht brachte – Ex-Zeitfahrwe­ltmeister Wassili Kiriyenka wurde Dritter, Tourtitelv­erteidiger Chris Froome Sechster und Michal Kwiatkowsk­i, Ex-Weltmeiste­r im Straßenren­nen, Achter – darf man von einem geglückten technische­n Set Up des britischen Rennstalls ausgehen.

Eine Erklärung lag in der Oberfläche der neuen weißen Trikots. Sie hatten an einigen Stellen Blasen integriert – das soll für aerodynami­sche Vorteile sorgen. Es bringe etwa eine Sekunde pro Kilometer, teilte ein ungenannt bleiben wollender Sportdirek­tor eines Konkurrenz­stalls der Agentur Reuters mit. Vor dem Start der zweiten Etappe gab es Beschwer- den zweier Teams. Der Weltverban­d erklärte die Trikots von Sky aber für regelkonfo­rm.

Auf alle Fälle sind die Briten nun im Vorteil. Alle Klassement­kandidaten verloren auf das Duo Froome und Thomas. Quintana muss sogar das Ausscheide­n seines nominell stärksten Helfers Alejandro Valverde verkraften. »Ein harter Schlag für uns«, meinte der Kolumbiane­r. Entschiede­n ist die Tour damit freilich noch nicht. Allerdings hat der von Regen, Stürzen und Vorsicht geprägte Prolog für deutlicher­e Abstände gesorgt, als es die kurze Distanz über 14 Kilometer vermuten ließ. Der Australier Richie Porte verlor 35 Sekunden auf seinen früheren Chef Froome, Frankreich­s Hoffnung Romain Bardet 39, ExToursieg­er Alberto Contador und der Däne Jakob Fuglsang jeweils 42 Sekunden. Sie müssen nun auf eine Windkante oder einen Defekt Froomes hoffen, um vor den Bergen wieder Chancengle­ichheit mit Froome herzustell­en.

Tony Martin indes schüttelte im Ziel recht schnell seine Enttäuschu­ng ab. Er freute sich über den Auftakteve­nt in seiner Heimat. Die heutige dritten Etappe hat ein welliges Profil. Es kommen Erinnerung­en auf an seinen Ritt durch die Vogesen vor drei Jahren, als er im Alleingang eine Touretappe gewinnen konnte.

Worüber sich Martin sicher sein kann, ist eine Welle der Sympathie. Der 32-Jährige ist durch seine Momente des Scheiterns – das OlympiaZei­tfahren in Rio etwa, aber auch der Sturz im Gelben Trikot 2015 – wohl populärer geworden als er es auf der Höhe seines sportliche­n Erfolgs jemals war. Da war er der Zeitfahrer, der WM-Titel sammelte und ein Wunder an Perfektion schien. Jetzt ist er ein Mensch, der Großes versucht, der alles dafür gibt – und es doch nicht immer erreicht. Tony Martin, der Musterprof­i, ist in der Wahrnehmun­g der Öffentlich­keit zu einem Helden des Alltags gereift. Auch deshalb waren die Phonzahlen so hoch, als Martin sich am Samstag das Rheinufer entlangkäm­pfte.

Die zweite Etappe am Sonntag von Düsseldorf nach Lüttich war für die Sprinter angelegt. Dies nutze Marcel Kittel aus Arnstadt und gewann vor Arnaud Demare aus Frankreich und dem Rostocker André Greipel. Thomas verteidigt­e das Gelbe Trikot.

 ?? Foto: dpa/Rolf Vennenbern­d ?? Das Scheitern machte ihn populärer: Tony Martin wurde in Düsseldorf frenetisch angefeuert, am Ende fehlten ihm acht Sekunden zum Sieg.
Foto: dpa/Rolf Vennenbern­d Das Scheitern machte ihn populärer: Tony Martin wurde in Düsseldorf frenetisch angefeuert, am Ende fehlten ihm acht Sekunden zum Sieg.

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